Filmtipps für Berlin: Rückkehr auf Widerruf
Zur Wiederöffnung der Kinos läuft im Arsenal die Retrospektive zum Jubiläum des Berlinale Forums, im Zeughauskino eine Reihe über Hannah Arendt.
K ein Streamingangebot kann das Kino ersetzen. Wenn nun die Berliner Kinos endlich wieder die Türen öffnen, wird einem als Zuschauer einmal mehr bewusst, welche Bandbreite die Berliner Kinos Abend für Abend präsentieren. Die Rückkehr des Kinos als sozialen Ort für Streits und Schwärmereien, für das Nachsinnen auf Haupt- und Nebenwegen nach dem Film macht einmal mehr den Verzicht der letzten Monate fühlbar.
Die Wiederöffnung der Kinos wirkt einstweilen noch tastend, wie jedes soziale Leben bleibt sie auf Widerruf solange es weder Impfung noch verlässlich Behandlung gegen das Virus gibt. Genießen wir die Zeit im Kino also, solange es geht.
„Träume nicht, Genosse, träume nicht.“ „Ich träume wie verrückt“. Helvio Sotos „Voto más fusil“ (Stimmzettel und Gewehr) ist ein bisweilen surrealer Streifzug durch die chilenische Geschichte bis in die Gegenwart des Films. Der Film war Teil der ersten Ausgabe des Internationalen Forum des jungen Films im Sommer 1971, nun ist er Teil der Retrospektive zum Jubiläum des Forums, die auf der diesjährigen Berlinale begann.
Dass der Film Monate nach dem Beginn der Retrospektive im Berliner Kino Arsenal zu sehen ist, liegt wie so vieles dieser Tage am Coronavirus, doch die Verzögerung bietet die Chance, einen Eindruck von den Vorzügen einer Berlinale mitten im Sommer zu bekommen (2. 7. bis 12. 8.).
Experimentierwillen des Forums
Das Werk Helvio Sotos ist untrennbar verbunden mit der kurzen Regierungszeit Salvador Allendes, nach dem Sturz Allendes realisiert Soto im französischen Exil einen der zentralen Filme über den Staatsstreich. Die Einführung zur Wiederaufführung des Films hält die Leiterin des Forums Cristina Nord (2. 7., 20 Uhr). In fünf Filmen lässt sich im Berliner Arsenal den Sommer über zwischen den Perlen der „Black Light“-Retrospektive (1. 7. bis 26. 8.) dem Experimentierwillen der Gründerfilme des Forums nachspüren.
„Bloß Anmischen und fertig.“ Die Verheißungen von Backmischungen beim Brotbacken haben über die Jahre Federn gelassen. Die Backmischungen machten die Bäckereien zu ausführenden Organen und das Brot unterschied sich nicht mehr, egal ob es im Supermarkt gekauft wurde oder in der kleinen Bäckerei.
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Der österreichische Dokumentarfilmer Harald Friedl spürt in seinem neusten Film „Brot“ der Welt eines Grundnahrungsmittels nach: von der Biobäckerei bis in Nahrungsmittelkonzerne, von der Backstube bis in die Sauerteigsammlung mit Startern aus aller Welt. Zur Premiere ist der Regisseur im Kino in der Brotfabrik anwesend (2. 7., 19 Uhr, ab 3. 7. tgl. u.a. 20 Uhr).
Wie das Arsenal startet auch das Berliner Zeughauskino mit gleich zwei Reihen: einer Werkschau des Schauspielers Adolf Wohlbrück, der sich im Exil Anton Walbrook zu nennen beginnt (1. 7. bis 19. 9.) und einer Filmreihe mit der das Kino eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums zu Hannah Arendt begleitet (3. 7. bis 8. 8.). Arendt ist in der Filmreihe erfreulich abwesend, nur von Trottas Biopic (u.a. 5. 7., 20.30 Uhr) und ein aufgezeichnetes Interview bis heute uneingeholten Großmeister des Fernsehinterviews Günter Gaus (30. 7., 19 Uhr) tun der Schuldigkeit Genüge.
Materialien zum Eichmann-Prozess
Ansonsten widmet sich die Filmreihe vorrangig jenem Prozess, über dessen Berichterstattung Arendt schlagartig bekannt wurde: dem Prozess gegen Adolf Eichman 1961 in Jerusalem. Die Stärke der von Götz Lachwitz zusammengestellten Filmreihe besteht in ihrer Betonung der Zeitgenossenschaft. Zum Auftakt läuft die Fernsehdokumentation „Auf den Spuren des Henkers. Adolf Eichmann – Sein Leben in Dokumenten“ von Joachim Besser und Peter Schier-Gribowsky (3. & 10. 7., 21 Uhr).
Im Zuge der Recherchen zu diesem Film wurden bis dato unbekannte Materialien entdeckt, die wenig später als Beweismittel im Prozess verwendet wurden. Ergänzend laufen drei der insgesamt 36 produzierten Folgen von „Eine Epoche vor Gericht“, einer Sendereihe mit der der NDR den Eichmann-Prozess begleitete (4. & 11. 7., 21 Uhr).
Eine ganz besondere Gelegenheit stellt die Vorführung zweier Filme des israelischen Dokumentarfilmers David Perlov im Rahmen der Reihe dar. „B'damayich Chay“ („In Thy Blood Live“), ein früher Kurzfilm Perlovs ist im direkten Umfeld des Eichmann-Prozesses entstanden und dokumentiert fotografische Spuren der Shoah.
„Zichronot Mishpat Eichmann“ („Memories of the Eichmann Trial“) zeigt ein Mosaik von Stimmen, die durch fotografische Zeugnisse des Eichmann-Prozesses zum Sprechen gebracht werden (beide Filme 6. 8., 19 Uhr). Perlovs Film zeigt den Eichmann-Prozess als Schritt, die eigene Geschichte verstehbar werden zu lassen.
Schon in der ersten Woche der Wiedereröffnung fragt man sich angesichts dieses Angebots wie man als Kinogänger die letzten Monate überlebt hat. Ob bei der Präsentation politischen Kinos, präzise beobachteter Dokumentarfilme oder in der kontextualisierten Aueinandersetzung mit filmischen Zeitzeugnissen: Kein Streamingangebot kann das Kino ersetzen.
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