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Rückkehrpläne des Tennis-BetriebsEin bisschen realitätsfern

So reibungslos wie die Fußball-Bundesliga oder Formel 1 hat der Tennis-Restart während Corona nicht geklappt. Nun schwebt die Szene in Berlin ein.

Der Weltranglistendritte Dominic Thiem spielt eine Rückhand in Berlin Foto: reuters

Der Zirkus ist in der Schwebe. Der Tenniszirkus, wie man die globetrottende Blase von Spielenden und Funktionären gerne nennt, hat sich wie alle Großsportorganisationen lange ruhig verhalten, und ist dann vielfach negativ aufgefallen. So reibungslos wie die Fußball-Bundesliga oder tatsächlich auch die Formel 1 hat der „Re-Start“ der Tennisszene unter Coronabedingungen nicht funktioniert.

Am 31. August sollen jetzt die US Open beginnen, vorher soll „Cincinnati“ am selben Ort stattfinden, als örtlich verlegtes ATP-Turnier. Auch in Washington soll die gelbe Filzkugel fliegen. Aber: Das ist alles noch „on the fly“, in der Schwebe, steht noch nicht bei 100 Prozent, und so legen sich die Tennisprofis dieser Welt dieser Tage auch mal lieber nicht fest. Der allgemeine Tenor von Angelique Kerber bis zu Dominic Thiem: Wir warten ab. Mal sehen, was Phase ist.

Gespielt wird derweil in Bad Homburg, wo Kerber am Wochenende einen schönen Rasenplatz vor ­einer kleinen Liegestuhlparty einwei­hen durfte. Und in Berlin, wo das gute alte Steffi-Graf-Stadion steht, das nicht etwa so heißt, weil ­„unsere Steffi“ schon verstorben wäre, sondern weil „die Gräfin“ hier ihren ersten Turniererfolg im legendären Finale über Martina Navratilova feiern konnte.

1986 war das, das Turnier in Berlin fand noch auf Sand statt und hieß German Open. Das Finale lässt sich noch über die Mediathek des rbb finden. Ein Klick, der sich lohnt; denn beide Spielerinnen, besonders Navratilova, die eine unfassbare Sportbrille trägt, wirken in der Neubetrachtung wie Schauspielende, die ein großes Tennismatch nachspielen.

taz Sommerspiele

2020 ist ein Olympiajahr. Doch die Spiele von Tokio sind pandemiebedingt ins nächste Jahr verschoben worden. Trainiert und gesportelt wird trotzdem auch in diesem Jahr. Es wird geschwommnen, gefochten, gelaufen, gerungen und gesprungen. Den besonderen Herausforderungen des olympischen Sports zu Coronazeiten widmet die Leibesübungen-Redaktion der taz einen Schwerpunkt.

Ungemütliche Atmosphäre

In Berlin sollte 2020 auch wieder offiziell aufgeschlagen werden, doch coronabedingt wurde die Premiere der Matratzen Open ins nächste Jahr verschoben. Stattdessen gibt es ein Schauturnier, das merkwürdig zweigeteilt daherkommt. Im mit Rasen ausgestatteten Steffi-Graf-Stadion wurde bis einschließlich Mittwoch gespielt, danach folgen die Finals auf Sand auf dem Tempelhofer Feld im Süden der Stadt.

Gemütlich ist anders. „Wir sind Ma­tratze“, sagt der Sponsor trotzdem, den man von sehr nervigen TV- und Radiowerbespots kennt. Am Start in Berlin bei den „Aces“ sind unter anderen Dominic Thiem und Petra Kvitova dabei. Die Beschränkungen wegen Corona sind einerseits nachvollziehbar penibel, andererseits wirkt alles noch sehr improvisiert.

Es gibt alberne Fragebögen, Fiebermesspistolen, Maskenpflicht, eine lustig aussehende Desinfektionskabine, in der man 30 Sekunden lang von allen Seiten besprüht wird. Andererseits springt am Montag noch die abstandgeminderte Tennisjugend auf der Anlage des LTTC Rot-Weiss herum, die dort auf Sand spielt.

Das könnte noch interessant werden: Rasen ist so was wie der Belag der Stunde, jedenfalls für Turniere in Deutschland. Rund um Wimbledon, das in diesem Jahr recht easy abgesagt wurde, während sich die French Open in den September/Oktober verlegten, sind Plätze frei im Turnierkalender, neben Halle (Westfalen) bilden Bad Homburg und Berlin neue Optionen. Es bleibt abzuwarten, ob das Gelände im idyllischen Berlin-Grunewald nach und nach komplett auf Rasen umstellt. So sind es bislang nur das Stadion und ein Nebenplatz.

Hammerharte Spiele

Was die coronabedingten Maßnahmen betrifft, ist zumindest Adria-Tourist Dominic Thiem sehr zuversichtlich: „Ich denke, dass es hier total sicher ist. Die Regeln hier sind sehr strikt – so wie letzte Woche in Kitzbühel. Wir haben dort versucht, jedes Risiko zu vermeiden. Hier sind alle Maßnahmen ebenfalls perfekt.“

Die Hygieneregeln sind nachvollziehbar penibel und wirken doch improvisiert

Die Frage ist, ob sich die „Bubble“ in New York auch so schön an die Regelungen halten wird. Die Superstars wie Novak Djokovic, den es bei seiner Adria-­Tour letztlich selbst erwischt hat, werden auf ihre übergroße Entourage verzichten müssen. Alles ist ein wenig wie früher bei den Satellitenturnieren: überschaubar, klein, reduziert, wenig bis keine Zuschauer.

Auch im Steffi-Graf-Stadion verlieren sich einige wenige in den Boxen und auf den ausgesuchten Plätzen. Das hammerharte Spiel beim Eröffnungsspiel am Montag von Jan-Lennard Struff gegen Roberto Bautista Agut, das der Spanier in drei Sätzen gewann, wirkte wie die Liveversion eines Onlinespiels. Digitale Werbebanner und eingespielter Jubel inklusive.

Der ganze Zirkus wirkt, sosehr man das Spiel auch liebt, in Zeiten von Corona noch absurder als vorher schon. Die Tenniswelt ist eh eine Scheinwelt, eine Blase, die nicht viel mit der ­Realität zu tun hat. Pferdebesitzer prügeln auf Bälle ein, die von Immobilienbesitzern retourniert werden; die Bad Boys der Branche wie die launische deutsche Nummer eins, Sascha Zverev, feiern unter merkwürdigen Umständen bei seltsamen Events, obwohl sie in Quarantäne sein müssten. „Wir haben ein bissl den Bezug zur Realität verloren“, sagt der Österreicher Thiem mit Red-Bull-Kappe in Berlin dazu. Welche Realität? Ihre eigene haben sie schon lange verloren.

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