: Der Leerstand wird kommen
Bremerhaven hat es eh nicht leicht und nun schließen mit Karstadt und Saturn zwei große Geschäfte. Ein Alternativkonzept müsste her
Aus Bremerhaven Selma Hornbacher-Schönleber
Es ist grau in Bremerhaven, aber das kann jetzt auch am Wetter liegen. Irgendwie passt es aber zum angekündigten Abgang von Karstadt. Zwischen den Häusern der Bürgermeister-Smidt-Straße ist der wolkenverhangene Himmel zu sehen – und eine Girlande mit kleinen Flaggen – USA, Deutschland, Italien, Rumänien und so weiter. An der Straße erstreckt sich das Einkaufszentrum „Columbus Center“, das die Fußgänger*innenzone von der Wasserkante, vom Hafen, von den Museen trennt. Über dem Gebäuderiegel ragen zwei Wohnblocks in die Höhe. Wer in eine der 555 Wohnungen will, muss durch die „Obere Bürger“, eine Straße quer durch das Einkaufszentrum. Vorbei an einem geschlossenen McDonalds und dem längst aufgegebenen Fischrestaurant „Abelmann“. Bald wird es hier noch mehr Leerstand geben: Die Karstadt-Filiale wird geschlossen, der Elektromarkt Saturn auch. „Es wird trostloser“, sagt eine 83-Jährige, die die „Obere Bürger“ entlangkommt. Seit Corona werde es noch schlimmer. Und dann auch noch Karstadt.
Die beiden Wohntürme, die das Einkaufszentrum mit ihren 25 Etagen überragen, gelten als ein Wahrzeichen der Stadt. Die eine Seite der Häuser ist auf die Wesermündung gerichtet, auf die Nordsee. Die andere auf die Innenstadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg ganz den Bedürfnissen der Nachkriegszeit entsprechend wieder aufgebaut wurde – Wirtschaftswunder, Kaufhäuser, Konsum.
Das Stadtmarketing spricht heute selbstbewusst von Bremerhaven als „eine von Norddeutschlands schönsten Innenstädten“. Die Wahrheit ist aber auch, dass der Einzelhandel überall mit den Folgen der veränderten Einkaufsgewohnheiten kämpft. Auch in Bremerhaven stehen sich, so der Deutsche Gewerkschaftsbund, ein Überangebot von Verkaufsfläche und eine unterdurchschnittliche Kaufkraft in den Innenstädten gegenüber. Schließt nun die Bremerhavener Karstadt-Filiale, werden auf einen Schlag weitere 12.000 Quadratmeter Verkaufsfläche Leerstand hinzukommen. Unklar ist, wer diese Lücke füllen soll.
Corona hat die Situation in Bremerhaven, ohnehin eher strukturschwach, verschlimmert: Geschäfte blieben geschlossen, bei laufenden Kosten für Miete und Angestellte. Die Konsequenz: Online-Shopping statt Schaufensterbummel. Auch der Galeria-Karstadt-Kaufhof-Konzern spricht davon, dass Corona ihnen den Todesstoß versetzt habe. Tobias Uelschen von Ver.di hält das für eine Ausrede. „Das sind alles hausgemachte Fehler“ sagte er Radio Bremen. Jedenfalls hat der Konzern Ende Juni Insolvenz angemeldet und die Schließung vieler Filialen angekündigt.
Viele Angestellte kennen das noch von 2009: Auch damals steckte Karstadt in der Krise. Der Mutterkonzern Arcandor meldete Insolvenz an und schloss Filialen. Auch damals gingen Arbeitsplätze verloren, mussten Angestellte um ihre Existenz bangen. Heute ist das wieder so: Aktuell plant die Galeria-Gruppe, mehr als 50 der über 170 Filialen zu schließen. Dieses Mal soll Karstadt in Bremerhaven dazugehören: Am 31. Januar 2021 soll hier Schluss sein.
1875–1881 Als Tempel und als mörderisches Monster beschreibt Romancier Émile Zola die Warenhäuser, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris entstehen in „Au Bonheur des Dames“. Noch während er an dem Roman arbeitet, greift die konsumistische Revolution auf Deutschland über. Es kommt in Mode, Stoffe und eine große Warenvielfalt mit Festpreis, also ohne Feilschen, anzubieten. Anders als in Frankreich sitzt hier die Avantgarde aber in der Provinz: In Stralsund haben die Brüder Wertheim Deutschlands erstes Kaufhaus gegründet. Leonhard Tietz nimmt die Idee von dort mit, als er ins Stoffhandelszentrum Elberfeld im heutigen Wuppertal zieht, um dort ein Geschäft unter seinem Namen zu etablieren: Die Nazis werden es 1933 in Kaufhof umbenennen. Und Rudolph Karstadt eröffnet sein „Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft“ am 14. Mai 1881 in Wismar.
1884–1900 Rudolph Karstadt kann wirtschaften, hat schnell Erfolg und expandiert ab 1884 nach Nordwesten: In Lübeck, in Neumünster, in Braunschweig, Kiel, Mölln und Eutin eröffnet er Filialen sowie in Preetz. Ernst Karstadt hat auch schnell Erfolg, er kann aber nicht wirtschaften. Im Jahr 1900 sorgt er für die erste Karstadt-Pleite. Seine 13 Geschäfte, darunter die in Wandsbek, Schwerin, und – Tata! Man wird richtig großstädtisch! – in Hamburg, allerdings am Röhrendamm.
1902–1932 Während man vorher kaufkräftige Provinznester urbanisiert hat, ist man jetzt in der Lage, in richtigen Städten Impulse zu setzen: Bremen, Altona, Hamburg-Eimsbüttel, das militaristisch-boomende Wilhelmshaven und, Höhepunkt: die 1912 eingeweihte neue Unternehmenszentrale in Hamburg, in der Mönckebergstraße, 10.000 Quadratmeter. Noch vor dem Krieg beginnt man mit einer Hausmarkenpolitik, 1919 wird in Stettin eine eigene Fabrik für Herrenbekleidung etabliert. Der Konzern schluckt kleinere Konkurrenten im Westen, wird in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, Billig-Stores mit „Einheitspreis“ werden von der ausgegründeten EPA-AG betrieben. Und Karstadt macht in der Inflation 1923 Gewinn: Die AG kauft 19 Industrieunternehmen günstig ein. Man prägt nun das kulturelle Leben der Städte mit, etwa durch Lesungen von Bestseller-Autor*innen, auf die der örtliche Buchhandel eher skeptisch blickt. Hamburg reicht nicht mehr. Jetzt soll es Berlin werden. Klar geht das schief. Um in der Weltwirtschaftskrise die zweite Pleite abzuwenden, wird die EPA-Tochter verscheuert, Fabriken geschlossen, der Gründer scheidet aus der Unternehmensführung aus.
1933–1945 Karstadt kann gut mit den Nazis. Am 1. April 1933 entlässt der Konzern alle jüdischen Mitarbeiter*innen und wird deshalb vom anfänglichen NS-Kaufhaus-Boykott ausgenommen. Das megalomane Hermannsplatz-Kaufhaus (Baujahr 1929) mit eigener U-Bahn-Station, zwei Türmen und siebenmal so viel Verkaufsfläche wie das in der Mönckebergstraße steht zwar halb leer, aber ein Staatskredit hilft. Das ähnlich größenwahnsinnige neue Hauptgebäude am Alexanderplatz, das sich der Konzern nie hätte leisten können, kauft das Reich 1936 überteuert für 15 Millionen Mark. Es dient fortan als Statistikamt: Dort werden Juden gezählt.
1945–1999 Weil Karstadt im Norden und Westen präsent ist, aber kaum Häuser im Osten hat, kommt das Geschäft der AG nach der Währungsreform besonders schnell in Schwung. DDR-Zwangsarbeiter helfen dabei: Gefängnisinsassen fertigen für alle westlichen Kaufhäuser Waren, damit Devisen in die Staatskasse kommen. Zugleich werden Kaufhausketten zum erklärten Feindbild der militanten BRD-Linken. Ein anonymer Rebell erklärt 1980 in der Zeitschrift „radikal“ den bewaffneten Kampf samt Entführungen für verfehlt: Die einen würden Industriebosse klauen „und ich eben meinen Käse bei Karstadt“, schlägt er stattdessen als Zermürbungstaktik vor. Tatsächlich schrumpft seit Mitte der 70er-Jahre der Umsatz, was der Konzern durch eine Art Schneeball-Taktik zu überspielen versucht: Man wächst und diversifiziert sich, kauft Neckermann und Quelle, dreht das Rad wieder zurück, was einem halt so einfällt, wenn man in Essen sitzt.
Ab 2000 wird die Geschichte unseriös und laut „Wirtschaftswoche“ nur noch zu erzählen als „endlose Seifenoper“, mit schmierigen Protagonisten, die Pleiten in Serie verursachen: 2004, 2009, 2014 und 2020. Diesmal aber liegt es bestimmt nur an Corona.
Rund 100 Beschäftigten droht die Arbeitslosigkeit und der Gewerkschaft Ver.di zufolge gibt es kaum Möglichkeiten, sie an anderen Standorten unterzubringen. „Da geht so viel Erfahrung verloren. Das ist einfach nur schade“, sagt Matthias Büschking, Sprecher des Ver.di-Landesbezirks Niedersachsen/Bremen. „Völlig skurril“ nennt er die Entscheidung des Konzerns, die Filiale in Bremerhaven zu schließen. Der Standort in Bremerhaven schreibe laut Ver.di-Informationen schwarze Zahlen. Der Konzern schweigt sich dazu aus. Aber wieso sollte ein insolventes Unternehmen ausgerechnet einen der Standorte aufgeben, der Gewinn macht? „Oft liegt es an daran, dass Mietverträge auslaufen“, vermutet Büschking.
Bremerhaven will Karstadt nicht einfach so aufgeben
Die Stadt Bremerhaven jedenfalls will ihren Karstadt nach so vielen Jahren nicht so einfach aufgeben. Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) diskutiere noch, „ob und unter welchen Bedingungen“ die Filiale weitergeführt werden könne, lässt sein Sprecher ausrichten. „Die Gespräche werden voraussichtlich kommende Woche in das finale Stadium gehen“ Der Bürgermeister hofft, die Filiale retten zu können.
Kein Wunder, betrifft das Aus der Filiale eben nicht ausschließlich die Angestellten: „Karstadt gehört zur Innenstadt“, so formuliert es Sönke Allers, SPD-Fraktionsvorsitzender der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung. Als bekannte Warenhauskette ziehe sie Kundschaft in die Innenstadt. „Die Großen schließen und die Kleinen folgen“, befürchtet Allers.
Diese Sorge teilen viele kleine Läden und die Gastronomie in der Innenstadt. Ohne die Einkaufsmagneten Karstadt und Saturn kämen weniger Menschen in die Stadt und damit auch weniger potenzielle Kund*innen. Diese Befürchtung teilen auch die unmittelbaren Karstadt-Nachbarn im„Columbus Center“: Besonders für die kleinen Geschäfte in der oberen Etagen sei die Situation schwierig, sagt ein Kellner aus einem der Restaurants in der Innenstadt. „Aber für die Gastronomie ist es auch hart.“ Über ihm prasselt der Regen auf die gläsernen Arkaden, an manchen Stellen tropft Wasser auf die Außenbestuhlung des Restaurants.
Ist die drohende Schließung der Karstadt-Filiale also ein Schritt in Richtung einer verödenden Innenstadt? Die Stadt arbeitet dem entgegen, weist aber eine Verantwortung für Leerstand und Geschäftsaufgabe zurück: Wie Bremerhaven gehe es derzeit vielen Städten. Um die Innenstadt zu transformieren, halte Bürgermeister Grantz„ein ganzes Bündel von Maßnahmen“ für notwendig, so sein Sprecher. Welche Maßnahmen dieses Bündel genau enthalte, sagt er nicht. Einzig eine bessere Anbindung an touristische „Hotspots“ wie die Museen benennt er konkret. Innenstadt also ab jetzt vor allem für Tourist*innen? Eine Passantin sieht das Problem eh an anderer Stelle: Zu Karstadt gehe sie nie, erklärt die 53-jährige Bremerhavenerin: „Ich bin Alleinverdienerin für einen Vier-Personen-Haushalt. Das ist zu teuer.“ Auch ein anderer Passant schätzt Karstadt als zu teuer für die Seestadt ein: Wer es sich leisten könne, gehe sowieso eher nach Bremen zum Einkaufen.
Bremerhaven hat tatsächlich seit Jahrzehnten mit Erwerbslosigkeit und Armut zu kämpfen. 1998 lag die Arbeitslosenquote bei über 22 Prozent. Die traditionell durch Hafenarbeit geprägte Stadt strukturierte um, setzt mehr auf Bildung und Tourismus, holte mit Museen wie dem Auswandererhaus oder dem Klimahaus Besucher*innen von auswärts her. Es geht bergauf, zumindest relativ. 2019 lag die Arbeitslosenquote bei 12,2 Prozent. Das ist zwar ein Langzeittief für Bremerhaven, aber immer noch mehr als das Doppelte des Bundesdurchschnitts. Und Corona treibt die Zahl wieder nach oben: Im Juni waren in Bremerhaven wieder 14,6 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeitslos. Bürgermeister Grantz will trotzdem nicht irgendwelche neuen Mieter für die leeren Verkaufsflächen seiner Stadt. „Ramschläden“ statt Karstadt gelte es zu verhindern.
Was tun also mit einer Einkaufsmeile, die in Zeiten von Online-Shopping und Pandemie kriselt? Pläne dafür, was im Falle einer Schließung passieren soll, gibt die Stadtverwaltung noch nicht bekannt: Man solle das Fell des Bären nicht verteilen, ehe er erlegt sei, und die tierfeindliche Ausdrucksweise entschuldigen. Jetzt stelle sich die Frage nach „zukunftsfähigen Konzepten“ für die Innenstadt. Einzelhandel und Ladenketten allein hätten hierbei aus Sicht von Bürgermeister Grantz eher keine Zukunft.
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