50. Jahrestag des Falls Road Curfew: Der Marsch der Frauen
1970 verkündete das britische Militär eine Ausgangssperre in einem Teil von Belfast. Für viele war das Auslöser, sich offen politisch zu engagieren.
Die Militäroperation in einem Wohngebiet, das als Hochburg der katholischen Untergrundarmee Official IRA (Irish Republican Army) in Belfast galt, radikalisierte 1970 den Nordirlandkonflikt und ist ein wesentlicher Bezugspunkt irisch-feministischer Geschichtsschreibung geworden – denn es waren katholische Frauen, die massenhaft gegen die Maßnahmen der britischen Armee protestierten.
Eine Woche zuvor waren bei Ausschreitungen in Belfast überwiegend Protestanten getötet und verletzt worden. Die Folge: Am 3. Juli kam es nun zu Hausdurchsuchungen, um IRA-Waffenlager zu finden. Als sich daraus Gewalt entwickelte, verhängte die Armee noch am Abend die Ausgangssperre und setzte sie mit massiver Gewalt durch, es folgten Schusswechsel zwischen IRA-Kämpfern und Soldaten. Insgesamt tötete die britische Armee vier Zivilisten und verwundete etliche, achtzehn Soldaten wurden verletzt.
Zuvor hatte es innerhalb der katholischen Minderheit noch Stimmen gegeben, die in den britischen Soldaten eine neutralere Instanz als die mehrheitlich protestantische nordirische Polizei sahen und hofften, dass jene sie vor loyalistischen Angriffen schützen würde. Nun war das vorbei. „War das Vertrauen in den Staat bereits seit Sommer 1969 weitgehend verloren, wurde das Vertrauen in die britische Armee als unparteiisches Instrument der Westminster-Regierung nun in wenigen Stunden ebenfalls verspielt“, resümiert Anne Devlin.
ist Doktorandin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und an der HU Berlin. Sie forscht zu Geschlecht und Gewalt im Nordirlandkonflikt.
Eindringen ins Privatleben
Viele Katholik:innen deuteten die Ereignisse als Vorgeschmack auf die mögliche Nordirlandpolitik des neuen konservativen britischen Premiers Edward Heath. Tatsächlich war es, wie erst neuerdings bekannt ist, der protestantische nordirische Premierminister James Chichester-Clark gewesen, der den verstärkten Einsatz der Armee gegen „Schläger und Bewaffnete“ gefordert hatte.
In der Erinnerung der Bewohner:innen der Gegend war das brutale Durchsuchen von mehr als 1.000 Haushalten in kurzer Zeit durch bewaffnete Soldaten ein systematisches, gewaltsames Eindringen in das von Frauen organisierte Privatleben. Diese Wahrnehmung drückt sich auch darin aus, dass die Ereignisse auch als „Vergewaltigung der Falls“ bezeichnet werden. Das war für viele Frauen der Auslöser, sich erstmals öffentlich politisch zu engagieren: „Es waren gewöhnliche Frauen aus dem Viertel, die meinen Vater riefen, um die Zerstörung zu dokumentieren, und es waren diese Frauen, die gegen seine Verhaftung protestierten“, sagt Devlin.
In der Ausgangssperre durften knapp 10.000 Menschen ihre Häuser unter Androhung von Verhaftung nur für zwei Stunden verlassen, um einzukaufen. Ein Marsch von rund 3.000 Frauen und Kindern markierte das Ende der Ausgangssperre. Es ist umstritten, ob die Soldaten das zuließen, weil sie wortwörtlich überrannt wurden, weil die Sperre bereits aufgehoben war oder ein Niederschlagen als zu gewaltvoll erschien.
Fest steht: Der Falls Road Curfew ist ein frühes Beispiel für kollektive militante Proteste von nordirischen Frauen – und für die Katholik:innen eine schmerzliche Erinnerung. Wer die Falls Road entlanggeht, gelangt an ein Wandbild der marschierenden Frauen, das zum 40. Jahrestag angebracht wurde. Das Gedenken zum 50. Jahrestag findet online statt – Corona-Ausgangsbeschränkungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen