Frankfurter Spezialitäten in der Küche: Grüner wird’s net
Im Frankfurter Lokalkolirit hat Grüne Soße einen festen Platz. Ganze sieben Kräuter müssen geschnippelt werden. Wie bereitet man sie richtig zu?
Eines der Gründungsdokumente der hessischen Demokratie ist die erste Folge der Radio- und späteren Fernsehsendung „Die Hesselbachs“ von 1949. Sie heißt „Hesselbachs ihrn Hausschlüssel“, und gleich in der ersten Szene geht es nicht um die Wurst, sondern um die Soß’. „Hach, also das muss mer der Mama lasse: Grünsoß’ mache, das kann sie“, sagt der Familienvater, worauf die Mutter antwortet, da seien „aber auch drei Eiä eneigschnippelt“.
Doch schnell entbrennt Streit darum, ob Sohn und Vater nach Eiern „fischen“. Und die Mutter, die ihre Kinder kurz zuvor dafür gescholten hatte, ständig „rumzukritisieren“ (das habe sie bei ihren Eltern nicht gedurft), macht nun selbst kräftig mit. Die Geburt der Streitkultur im Geiste der Griesoß’.
Streit gibt es auch siebzig Jahre später noch um die Frankfurter Spezialität, über ihre Zubereitung nämlich. Das erfuhr ich, als ich nach meinem Umzug ins nichthessische Exil Köln eines Tages Lust auf einen Schluck Altbekanntes bekam; und da es in Nichthessen die Soß’ nirgends gibt, weder in Restaurants noch im Supermarkt, nahm ich mir vor, sie selber zu machen. Bloß wie? Auf „Chefkoch“, dem Portal für hysterische Hausmänner wie mich, stehen in jedem Rezept andere Zutaten!
Denn nur ein Aspekt der Griesoß’ ist eindeutig: die Kräuter. Die sind seit 2010 unter dem Namen „Frankfurter Grüne Soße“ als „geschützte geographische Angabe“ beim Patentamt registriert und umfassen Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. Keines der sieben Kräuter darf mehr als 30 Prozent des Gesamtgewichts ausmachen und mindestens 70 Prozent müssen in Frankfurt oder einer Nachbargemeinde angebaut worden sein.
Darüber hinaus werden ihnen, wie wohl allen Kräutern, diverse heilerische Qualitäten zugeschrieben, die von „allgemein kräftigend“ über „wassertreibend“ bis hin zu „appetitanregend“ reichen – wie passend. Gegen „Frühjahrsmüdigkeit“ sollen sie auch noch helfen. Heiliger Bembel!
Mit Ei oder ohne?
Gegessen wird die Grüne Soße kalt. In der Regel mit Kartoffeln und gekochten Eiern, manchmal auch mit Tafelspitz, Schnitzel oder Fisch. Leicht und frisch, für eine deutsche Soße beinah geschmackvoll, erscheint die Griesoß’ auf dem Gaumen. Ihre Grundlage variiert: Sauerrahm, Dickmilch, Jogurt, saure Sahne, Mayonnaise. Ebenso die Zubereitung – mal wird das hartgekochte Ei bloß danebengelegt, mal das harte Eigelb zerdrückt und unter die Soße gerührt. Aber wie wird sie so schön grün wie in der Apfelweinwirtschaft? Was tun die da rein? Und muss man die Kräuter unbedingt mit dem Messer hacken oder darf man auch einen Mixer verwenden?
„Auf keinen Fall!“, schreit Ingrid Schick am Telefon. Sie hat eine PR-Agentur für nachhaltige Restaurants und veröffentlichte 2010 ein Buch über Grüne Soße. „Wenn man die Kräuter mit einem Mixer oder mit einem Fleischwolf klein macht, dann zerstört das ihre Zellstruktur und die Soße kann bitter werden.“ Außerdem erhalte sie nur mit gehackten Kräutern die richtige Textur.
Schick verwendet für ihre Soße Schmand, nichts anderes. Einzig in der Eigelbfrage ist sie unentschieden. Warum es die Grüne Soße nur in der Rhein-Main-Region gibt, will ich noch wissen. „Das ist Legendenbildung. Überall gibt es Kräutersoßen, und die hier enthält eben die Kräuter, die vor Ort wachsen.“ Bagnetto verde in Italien zum Beispiel, oder jenseits des „Dill-Äquators“, in Nordhessen: Griesoß’, aber eben mit Dill. Eingesoßte Frankfurter*innen gruselt es bei dem Wort.
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Frappierend ist dennoch, dass kaum eine Kräutersoße einen solchen Kultstatus erreicht hat wie die in Frankfurt, wo sie neben Rippchen, Apfelwein und Handkäs’ ihren festen Platz in einem orthodox scheinenden Lokalkolorituniversum einnimmt. Mit verantwortlich dafür ist Maja Wolff, die als Kunstfigur Anton Le Goff seit mehr als zwanzig Jahren auf Kabarettbühnen auftritt. Seit 2008 veranstaltet sie nämlich das „Grüne Soße Festival“.
Hier kämpfen jedes Jahr 49 Gastronom*innen um den Preis für die beste Soße, dazu gibt es Musik, Kabarett, Fressbuden mit Kreationen wie Grüne-Soße-Eis oder Grüne-Soße-Döner – eine riesige Aufmerksamkeitsmaschine. „Das hat sich irgendwie verselbstständigt“, sagt Wolff. „Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es die Grüne Soße in Restaurants manchmal nur im Sommer.“ Eben damit die Kräuter auch frisch sind. Sowohl in Zubereitungs- als auch in Kombinationsfragen ist Wolff allerdings keine Dogmatikerin: „Abwandlungen sind super, genau wie in der Gesellschaft. Wir sind ja eine sehr internationale Stadt.“ Manchmal tue sie sogar Mayonnaise rein.
Auf keinen Fall Mayonnaise!
Robert Theobald, Wirt des Apfelweinlokals Zur Buchscheer, widerspricht: „Mayonnaise verwendet eigentlich niemand mehr, die Zeiten sind vorbei.“ Viel zu schwer und fett werde die Soß’ dann. „Saure Sahne, Jogurt und Schmand“ nehme er stattdessen. Und das Eigelb bleibe in seiner Küche im Ei, statt untergerührt zu werden. „Das mögen viele unserer Gäste lieber so.“ Aber auch er ist offen für Variationen.
„Anything goes“ gilt also für die Grüne-Soße-Herstellung, aber gleichzeitig auch: Wie man’s macht, macht man’s falsch. Und obwohl ich laut dem Online-Quiz des „Grüne Soße Festivals“, was die Soße angeht, „ein echter Traditionstyp“ bin, bestelle ich die Kräuter notgedrungen bei einer Darmstädter (!) Gärtnerei: die einzige, die einen Online-Shop betreibt. In Coronazeiten ist das ein echter Konkurrenzvorteil. Der Laden brummt, wie Mitarbeiterin Nicole Gläser am Telefon bestätigt. Exilhess*innen aus ganz Deutschland tun es mir gleich.
Noch nie musste einer der Paketboten mir „Frischware“ anliefern; jetzt aber ist es so weit. Die Kräuter kommen kurz nach dem Geldtransfer an, leidlich frisch, eher halbtot, und ich beginne sofort, keine Zeit zu verlieren. Bestimmte Orte innerhalb der Küche haben überdies eine andere Luft als andere; ich nehme, je nach Verwendungszweck, die jeweils beste Luft zu mir. Blöd bin ich nicht.
Eine Nacht „zieht“ die Soße durch, dann wird sie „aufgetischt“. Welches Rezept ich verwende, verrate ich nicht. So ist das in der Demokratie: Immer wird man enttäuscht.
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