Rot-Grün beschneidet Bürgerbeteiligung: Behörden außer Kontrolle
Die Koalition will ihre verfassungsändernde Mehrheit nutzen, um die Deputationen abzuschaffen, die bei Behördenentscheidungen mitsprechen.
Die Deputationen sind als Beratungsgremien den Behörden zugeordnet und in Artikel 56 der Hamburgischen Verfassung verankert, wo es heißt: „Das Volk ist zur Mitwirkung an der Verwaltung berufen. Die Mitwirkung geschieht insbesondere durch die ehrenamtlichen Mitglieder der Verwaltungsbehörden.“
In der Praxis ist jede Behörde verpflichtet, ein Gremium aus 15 Deputierten zu schaffen. Die Auswahl der Deputierten entspricht dem Stimmenverhältnis der Bürgerschaftsfraktionen. Deputationen dürfen bei der Haushaltsplanung mitbestimmen, bei der Umstrukturierung einer Behörde sowie bei Personalentscheidungen. Außerdem genießen sie das Recht auf Akteneinsicht.
Auf die Abschaffung der Deputationen haben in den Koalitionsverhandlungen die Grünen gedrungen. Der Bürgerschaftsantrag sieht vor, den Artikel 56 in seiner jetzigen Form zu streichen und die Mitwirkung an der Verwaltung durch eine Verpflichtung zu Bürgernähe und Transparenz zu ersetzen. „Sie macht die bei ihr vorhandenen Informationen zugänglich und veröffentlicht bestimmte Informationen“, heißt es im Entwurf.
Veraltetes Beteiligungsinstrument?
Damit werde das richtungsweisende Hamburger Transparenzgesetz verfassungsrechtlich abgesichert, argumentieren die Grünen. Zusammen mit den in den vergangenen Jahren eingeführten Bürger- und Volksentscheiden mache es die Deputationen überflüssig. „Die Deputationen stammen als Beteiligungsinstrument aus einer Zeit als es die anderen modernen Kontrollinstrumente noch nicht gab“, teilte die grüne Bürgerschaftsfraktion mit.
Mehr noch: Weil die von den Regierungsfraktionen bestimmten Deputierten die Mehrheit hätten, komme es in den seltensten Fällen zu Entscheidungen gegen den Willen der Behördenleitung. Zudem seien die Sitzungen vertraulich und damit für die Öffentlichkeit nicht transparent. „Demgegenüber erzeugen die Deputationen einen unverhältnismäßigen Zeit- und Personalaufwand“, klagen die Grünen.
„Deputierte sind Ohr und Sprachrohr in die Behörden hinein“, sagt dagegen die Linken-Abgeordnete Ensslen. Transparenz könne Bürgerbeteiligung nicht ersetzen. Im übrigen hätten SPD und Grüne im Koalitionsvertrag zugesagt, als Ausgleich die Referentenentwürfe der Fachbehörden für Gesetzesänderungen zu veröffentlichen. Davon sei in dem Antrag nicht mehr die Rede.
„Zweidrittelmehrheiten bedeuten große Verantwortung gegenüber Minderheiten“, mahnte der CDU-Abgeordnete André Trepoll. Die Abschaffung der Deputationen als fachliche Kontrollinstanz sei das Gegenteil von Transparenz. Gerade die Mitsprache bei Personalfragen sei ein wesentlichen Faktor für ein Mindestmaß an Kontrolle. „Ansonsten stehen dem rot-grünen Filz Tür und Tor offen“, warnte Trepoll. Berufungen und Beförderungen nach Parteibuch wären ohne Kontrolle möglich.
„Die Zerschlagung gewachsener und bewährter Formen der Bürgerbeteiligung steht in krassem Widerspruch zu den Plädoyers der Parteien für mehr Basisdemokratie“, kritisiert der Verband Die Familienunternehmer. Der Senat dürfe auf das Einholen von Bürgerstimmen und Expertenmeinungen im Rahmen der etablierten Deputationen nicht verzichten.
Carola Ensslen, Die Linke
Der DGB findet, die Deputationen sollten reformiert, aber nicht abgeschafft werden. Ein „abstraktes Transparenz-Gebot“ sei „kein Ersatz“.
Anders sieht das die Bürgerrechtsaktivistin Angelika Gardiner, die im Kuratorium des Verbandes Mehr Demokratie sitzt. Die Deputationen seien überflüssig, weil sie faktisch nur beraten und nicht entscheiden würden. Sie seien ein Ort informeller Absprachen und dienten zum Ruhigstellen von Kritikern.
Gardiner fordert, Bürger sollten „in einem früheren Stadium“ in Pläne einbezogen werden. Zudem bemängelt sie, dass den Stadtteilbeiräten Gelder gekürzt worden seien und sie Schwierigkeiten hätten, Veranstaltungsräume zu mieten.
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