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Gar nicht matt: Schach als Schulfach

Lehrkräfte glauben, dass sich das frühe Spiel mit König, Dame und Bauern positiv auswirkt auf die Konzentration und das logische und strategische Denken ihrer Schüler*innen –und sogar für ein besseres Miteinander in den Klassen sorgt

Die Freude am Schach liegt nicht auf dem Y-Chromosom Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Von Joachim Göres

Vor einem Jahr war der Platz vor dem Bremer Rathaus voll: Rund 1.000 Mädchen und Jungen aus 43 Grundschulen saßen an Tischen, auf denen 500 Schachbretter lagen. Ein Jahr hatten die Kinder wöchentlich eine Stunde Schachunterricht gehabt, jetzt zeigten sie beim Abschlussturnier mitten in der Altstadt, was sie in dieser Zeit gelernt hatten.

Insgesamt 1.226 Schülerinnen und Schüler aus 56 Schulklassen hatten im ersten Jahr beim Projekt „Schach macht schlau!“ in Bremen mitgemacht. „Das ist ein großer Erfolg“, sagt Boris Bruhn, Vorsitzender der Deutschen Schachstiftung. Er freut sich, dass in diesem Schuljahr 2.400 Bremer Grundschülerinnen und Grundschüler wöchentlich eine Stunde Schachunterricht haben – Bremen ist damit bundesweit führend beim Schulschach.

Laut einer Befragung der an diesem Projekt beteiligten Lehrkräfte sprachen 72 Prozent davon, dass ihre Klassen mit Freude und Begeisterung an der wöchentlichen Schachstunde teilnehmen. 23 Prozent gaben an, dass viele Kinder mittlerweile auch in ihrer Freizeit Schach spielen. Warum überhaupt Schach in der Schule? Fast die Hälfte der Pädagoginnen und Pädagogen erwartete, dass dadurch das logische und strategische Denken gefördert werde. Jeweils 37 Prozent waren überzeugt, dass die Konzentration und ein besseres Miteinander in der Klasse so gefördert werden. „Nahezu alle befragten Lehrkräfte gaben an, dass sich ihre Erwartungen erfüllt hätten“, so die Wissenschaftlerin Iris Krimmel in ihrem Evaluationsbericht, der nicht verschweigt, dass sich mitunter gute Spieler langweilen und leistungsschwache Spieler die Lust verlieren.

„Ich bin in der Sowjetunion groß geworden, da ging es um Leistung und nicht um Spaß. Ich bin zum Schach gezwungen worden, da kann sich schnell Hass dagegen entwickeln“, sagt Nina Helmer. Sie leitet Schach-AGs in Hamburger Grundschulen und hat aus ihrer persönlichen Erfahrung ihre Schlüsse gezogen: „Man muss sich auf Kinder einstellen und ihnen die Liebe zum Spiel vermitteln.“

Darstellendes Spiel, kreatives Schreiben, Roboter-AG, Tanzen, Strategisches Denken – aus diesen Angeboten konnten die Gymnasiasten der 8. und 9. Klasse an der Theodor-Mommsen-Schule in Bad Oldesloe in diesem Schuljahr einen Wahlpflichtkurs auswählen. 18 Jungen und neun Mädchen zählt der Kurs Strategisches Denken bei Günter Klemm, bei dem das Schachspiel den Schwerpunkt bildet. „Es gab noch mehr Interessenten. Vorkenntnisse waren nicht nötig, aber Lust sollte man haben“, sagt Klemm. Immer Mittwochnachmittags findet die Doppelstunde statt. Neben dem Spielen legt Klemm Wert auf Theorie und das Besprechen von Aufgaben wie „Wie kannst du aus dieser Stellung einen Vorteil ziehen?“ oder „Denk dir ein Matt aus, wenn du eine Figur irgendwo auf dem Feld einsetzen könntest“.

Die Konsequenzen einer Entscheidung vorher abwägen, sich an Regeln halten, mit einer Niederlage umgehen – Klemm zählt einige der positiven Effekte des Schachspiels auf, das in seinem Kurs klassenübergreifend unterrichtet wird. „Jüngere können Ältere schlagen, auch Schwächere können bei bestimmten Vorgaben Stärkere besiegen. Es gibt in dem Kurs eine große Neugier“, sagt Klemm und fügt hinzu: „In der siebten Schulstunde lässt die Konzentration nach. Darauf muss man sich einstellen.“

An der Grundschule Genslerstraße im Hamburger Stadtteil Barmbek ist Schach in allen vier Schuljahren Pflicht. Es wird meist von den Klassenlehrern unterrichtet, die sich fortgebildet haben. Für die wöchentliche Schachstunde wird in der 2. Klasse auf eine Stunde Kunst/Musik verzichtet, in der 3. Klasse auf eine Stunde Mathematik und in der 4. Klasse auf eine Stunde Deutsch. Proteste der Eltern gibt es deswegen nicht. „Unsere Schüler schneiden bei ­Mathe gut ab, was bei der sozialen Zusammensetzung nicht unbedingt zu erwarten ist“, sagt Fachleiterin Gabriele Rietow. Nach mehr als zehn Jahren Erfahrung mit Schach als Schulfach spricht sie von positiven Auswirkungen auf den allgemeinen Leistungsstand, auf die Kommunikation zwischen jüngeren und älteren Kindern sowie auf Sozialverhalten und Konzentration.

Dabei fallen Rietow Unterschiede bei den Geschlechtern auf: Obwohl Mädchen im Unterricht nicht schlechter spielen als Jungen, nehmen sie wesentlich seltener an Turnieren teil. „Jungen wollen sich mehr in Wettbewerben vergleichen“, lautet ihre Erklärung.

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