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Beate Zschäpe legt Revision einNSU-Urteil auf dem Prüfstand

Im NSU-Verfahren legen die Verteidiger von Beate Zschäpe ihre Revisionsbegründung vor. Der Bundesgerichtshof ist nun am Zug – und das kann dauern.

Akzeptiert ihre Strafe nicht: Beate Zschäpe, hier mit ihrem Verteidiger Mathias Grasel Foto: Peter Kneffel/dpa

BERLIN taz/dpa | Im NSU-Verfahren geht es in die nächste Etappe. Am Montag reichten die Verteidiger von Beate Zschäpe und des Mitangeklagten Holger G. ihre Revisionsbegründungen ein. Jetzt muss sich der Bundesgerichtshof mit dem Urteil im NSU-Prozess befassen.

Das Oberlandesgericht München hatte am 11. Juli 2018, nach gut fünfjähriger Verhandlung, Beate Zschäpe wegen der zehnfachen NSU-Mordserie zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt. Vier Mitangeklagte erhielten Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren Haft. Im April legte das Gericht seine schriftliche, 3.025 Seiten starke Urteilsbegründung vor. Die Verteidiger hatten anschließend einen Monat Zeit für ihre Revisionsbegründungen. Nur ein Angeklagter, Carsten S., hatte sein Urteil akzeptiert. Er hatte der Terrorgruppe eine Waffe übergeben und verbüßt dafür nun eine Haftstrafe von drei Jahren.

Im Fall von Zschäpe wurden jetzt gleich drei Revisionsbegründungen eingereicht, weil sich die 45-Jährige im NSU-Prozess mit ihren ursprünglichen Pflichtverteidigern Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl überworfen hatte und einen vierten Verteidiger, Mathias Grasel, durchsetzte. Sturm und Heer verfassten nun eine gemeinsame Begründung, die laut SWR insgesamt 2.300 Seiten und sieben Verfahrensrügen umfasst. Stahl bestätigte der taz, dass er einen eigenen Schriftsatz mit einer Sachrüge einreichte, weitere Ausführungen werde er nachreichen. Den dritten Antrag reichte Grasel nach eigener Auskunft am Montag ein.

Alle Zschäpe-Verteidiger halten es nicht für tragbar, dass die Angeklagte als gleichwertige Mittäterin neben ihren Untergrundkumpanen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verurteilt wurde – obwohl sie an keinem Tatort war. Die Morde, Anschläge und Raubüberfälle hätten vielmehr allein die Männer zu verantworten. Grasel sagte der taz, er sehe „erhebliche Rechtsfehler“ bei der Verurteilung von Zschäpe.

Auch Mitangeklagte wollen Revision

Auch der Mitangeklagte Holger G. reichte laut Gericht eine Revisionsbegründung ein. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er dem Trio eine Waffe überbracht und Papiere überlassen haben soll.

Die zwei weiteren Mitangeklagten André Eminger und Ralf Wohlleben haben für ihre Begründungen noch bis Freitag Zeit, weil sie die schriftlichen Urteilsgründe erst später erhielten und die Frist für die Revisionsbegründung erst ab Empfang läuft.

Im Fall André Eminger hatte auch die Bundesanwaltschaft Revision angekündigt – und ihre Begründung laut Gericht ebenfalls bereits eingereicht. Der Zwickauer hatte dem NSU-Trio bis zum Schluss die Treue gehalten und den TerroristInnen Wohnwagen, eine Wohnung und Bahncards beschafft. Die Bundesanwaltschaft stellte gar Überlegungen an, ob Eminger das vierte Mitglied des NSU gewesen sei, und forderte für ihn zwölf Jahre Haft. Das Oberlandesgericht aber sah das anders: Für die Richter wurde Eminger erst kurz vor Ende der Anschlagsserie in die Morde eingeweiht. Das Gericht verurteilte den bis heute bekennenden Neonazi deshalb nur zu zweieinhalb Jahren Haft.

Die Bundesanwaltschaft hätte für ihre Revisionsbegründung im Fall Eminger noch länger Zeit gehabt, als die anderen Verfahrenbeteiligten: bis zum 12. Juni – wegen eines Fauxpas. Das Gericht hatte der Anklagebehörde zwei Seiten der Urteilsgründe nicht übersandt, wie ein Gerichtssprecher der taz bestätigte. Das Dokument musste deshalb noch mal neu übersandt werden. Die Frage, ob das Urteil von André Eminger Bestand hat, ist von weitreichender Bedeutung: Denn wenn schon der engste Vertraute nichts von den NSU-Morden gewusst haben soll, sind Anklagen gegen weitere Terrorhelfer weitgehend aussichtslos.

Liegen alle Revisionsbegründungen vor, beginnt vor dem Bundesgerichtshof ein mehrmonatiges Verfahren, in dem alle Seiten noch mal Stellungnahmen abgeben können. Die Richter prüfen dann, ob das NSU-Urteil inhaltlich und formal fehlerfrei war. Mit einer Entscheidung wird erst im nächsten Jahr gerechnet.

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8 Kommentare

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  • Bei der Revision werden die tatsächlichen Umstände eines Falles nicht noch einmal neu aufgerollt, sondern es wird lediglich geprüft, ob das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Da geht es im Wesentlichen um juristische Formalitäten. Die Frage, ob Beate Zschäpe selbst an den Tatorten war, oder selbst mal abgedrückt hat, ist für eine Revision letztlich irrelevant. Ohne sie wäre die Mordserie erst gar nicht möglich gewesen. Ihren vielfältigen Anteil an der Logistik, an der Finanzierung, am Untertauchen der Tätergruppe, an der Vorbereitung und Durchführung der Morde, bis hin zum Bekennervideo und schließlich zur Beweismittelvernichtung durch schwere Brandstiftung etc., hat das Gericht umfassend und akribisch dokumentiert. Dass sie selbst von Anfang an keinerlei Schuldbewußtsein entwickelt hat, steht ihrer Mittäterschaft nicht entgegen und wird auch keine Revision begründen können. Nach ihrer eigenen Aussage haben die beiden verstorbenen Uwes die Morde ganz allein begangen und sie selbst habe von den Morden immer erst nachher durch sie erfahren. Sie hätte es demnach in der Hand gehabt, die Mordserie nach dem ersten Mord zu beenden.

    • @Rainer B.:

      Das sehe ich so. Frau Zschäpe darf in unser Gesellschaft nicht frei herumlaufen und das lebenslänglich.

      • @HAHABerlin:

        Das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens als Zielvorgabe vorwegzunehmen liegt diametral zu unseren rechtsstaatlichen Prinzipien.

        • @JLloyd:

          So es denn die Unabhängigkeit der Richter und Gerichte gibt, wird man aus einzelnen aussergerichtlichen persönlichen Stellungnahmen und Einschätzungen zum Strafmaß wohl kaum jemals ernsthaft eine „Zielvorgabe“ konstruieren können.

  • Auch für mich ist das ein schlechtes Bild, was da die deutsche Rechtsprechung bietet. Überhaupt lässt Deutschland die Nazis, welcher Gruppierung auch immer, viel zu stark werden. Sicher ist es nicht einfach, man muss sich als Rechtsstaat an Gesetze halten, aber wenn das so weitergeht mit Anschlägen, Morden etc und der Staat sprich Polizei und Militär von Nazis auch noch durchsetzt ist...Das gab es doch schon einmal oder?

  • Kein gutes Bild, das die Republik hier abgibt.

    Ich bin ja kein Freund von Strafen. Mir geht es nicht darum wie lange wer hinter Gitter kommt. Aber hier wird ganz klar einer Aufarbeitung des Geschehens aus dem Weg gegangen.

    • @tomás zerolo:

      was soll die Nörgelei. Es geht in einem Strafverfahren weder um "Aufarbeitung" noch um "optimale Opferbeteiligung", sondern umBestrafung; und deren Berechtigung wurde mehr als sorgfältig abgeklärt. Wenn das Urteil gegen B. Z. rechtskräftig ist, kann man ja nachdenken, ob die Freigesprochenen zurecht entlastet wurden. Mehr kann ein Strafgericht nicht tun.

      • @Monika Frommel :

        Damit meine ich nicht die formaljuristischen Aspekte, sondern die entsetzliche Kette des Versagens, die diesen Fall von Anfang an begleitet. Bis hin zur Aktenvernichtung.

        Darauf können wir wirklich nicht stolz sein.