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Teilnehmer der „Hygiene“-DemosMit Zollstock und Grundgesetz

Wer läuft bei den den sogenannten „Hygiene“-Demos mit? Im Fahrradladen von Mirko B. hängt das Grundgesetz – er leiste „demokratischen Widerstand“.

Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen in Stuttgart Foto: Jens Gyarmaty

Um den Hals trägt Mirko B., 50, ein rotes Bandana-Tuch mit schwarzer Musterung, das er sich über Nase und Mund zieht, sobald Kund*innen den Laden betreten. Vor acht Jahren hat er sich mit einem Fahrradgeschäft in Berlin-Mitte selbstständig gemacht. B. hält sich an die Verordnungen, witzelt über die Maskenpflicht, aber er boykottiert sie nicht. In seinem Schaufenster hängen das Grundgesetz und die Zeitung der Seuchenschutzkritiker, „Demokratischer Widerstand“ – für B. stiller Protest und ein Gesprächsangebot.

B. ist in Dessau geboren, aber in Ost-Berlin aufgewachsen. In seiner Jugend erlebte er mit, wie es sich anfühlt, in eingeschränkter Freiheit zu leben. „Das will man nicht ein zweites Mal“, sagt er und poliert weiter aufmerksam Speichen. Durch seine Ostsozialisierung hat er auch gelernt, wie viel Macht beim Volk liegen kann.

B.s Laden ist klein und alles hat hier seine Ordnung. Draußen hat er Blumen angepflanzt. Drinnen reihen sich Räder aneinander, gegenüber dem Eingang hängen Fahrradschlösser, darunter stehen kleine Fläschchen mit Kettenöl. Zwei hat er heute morgen schon verkauft. „Läuft wie geschmiert“, sagt er und lacht dabei.

Im Gespräch kommt er immer wieder darauf zurück, wie wichtig es ihm sei, Kritik zu üben, aber gleichzeitig friedlich, demokratisch und freundlich zu bleiben. Seine Kritik an der Regierung und den Beschränkungen des öffentlichen Lebens ist zugleich massiv: Verschwendung von Steuergeldern, heruntergewirtschaftete Krankenhäuser, nennt er als Beispiele. Nur bestimmte Firmen würden mit Geld überschüttet und manche Virologen gar nicht gehört.

Medien berichten alle „gleich“

„Früher wurde Wolfgang Wodarg als Experte eingestuft, heute gilt er als verrückt.“ Damals, das war 2009, als Wodarg in der Arte-Dokumentation „Profiteure der Angst“ zum globalen Umgang mit der Schweinegrippe auftrat. Die Regierung verteile außerdem Gelder an die falschen Stellen, kritisiert B.: „Lufthansa bekommt Milliarden, Krankenhäuser werden kaputtgespart.“

Mittlerweile informiert sich der Fahrradhändler fast ausschließlich im Netz: Die Medien berichten alle „gleich“, findet er. Dabei achte er auf valide Quellen, sagt er und führt „Wagenknechts Wochenschau“ vom 4. Mai als Beispiel an, in der die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht die Finanzierung der WHO sowie den Umgang mit Steuergeldern in der Pandemie kritisiert.

Vor einigen Wochen ist B. zum ersten Mal zu einer der „Hygiene“-Demonstrationen am Rosa-Luxemburg-Platz gegangen. Dort sieht er, wie eine ältere zierliche Frau mit grauen Locken von der Polizei festgehalten wird. Er beschließt, mit Grundgesetz und Zeitung in seinem Laden ein Zeichen gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu setzen. Schon beim zweiten Mal wird es B. zu voll am Rosa-Luxemburg-Platz.

Er verbringt seither seine Samstagnachmittage bei einer kleineren angemeldeten Versammlung in der Oderberger Straße in Mitte, die ein Freund organisiert hat, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Die freie Meinungsäußerung ist diesem besonders wichtig – auch bei Meinungsverschiedenheiten. „Als Demokrat musst du das gut finden“, sagt er. B. steht daneben und hält ein Tegernseer Bier in der Hand. Die Versammlung ist ebenso Kommunikationsraum wie Ersatz für die derzeit geschlossene Stammbar.

Corona-Kompass gegen „Demokratischer Widerstand“

Die Versammlung: zehn Personen und zwei Biertische. Darauf Grundgesetze, drei Zeitungsausgaben, Desinfektionsmittel und ein auf 1,5 Meter ausgezogener Zollstock. „Ich will später sagen können, dass ich mich für die Demokratie und das Grundgesetz eingesetzt habe“, sagt B., der sich politisch eher links verortet. „Wir wählen zusammen eine Regierung, deswegen müssen wir miteinander reden.“

Ein Straßenmagazin-Verkäufer läuft an den Biertischen vorbei. Er verkauft die Obdachlosenzeitung Karuna-Kompass, die diesen Monat mit „Corona-Kompass“ titelt. Der „Corona-Kompass“ und die Zeitung des „Demokratischen Widerstands“ – unterschiedliche Meinungen auf engstem Raum. Der Verkäufer fragt, ob jemand eine Zeitung kaufen will und B. greift in die Tasche. Er will keine Zeitung, aber reicht dem wohnungslosen Mann ein paar Münzen. „Das Menschliche geht immer vor“, sagt B.

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7 Kommentare

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  • Es ist doch großartig: diese Stellungnahme stellt es uns frei, wie wir Mirko B. einsortieren wollen:

    Mit seiner Medienschelte können wir ihn schnell als Corona-Leugner abstempeln, und noch eine Weile darüber schimpfen.

    Mit seiner Kritik an Investitionen an der falschen Stelle ist er doch eigentlich "einer von uns". Lasst uns gemeinsam gegen die Lufthansa-Milliarden und für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitsweisen demonstrieren!

    Und da ist die Krux: weil jetzt in kurzer Zeit viele politische Weichen gestellt werden, müssten nachdenkende Bürger eigentlich fast täglich zu zehntausenden demonstrieren, um zu verhindern, dass wir mit hohem finanziellen Aufwand wieder in altes Fehlverhalten zurück steuern. Selbst die (Verhinderung der) Abwrackprämie ist noch nicht ausgestanden.

    Vielleicht bin ich einfach nur neidisch, wie viele Leute da gegen Corona-Einschränkungen protestieren, während wir noch nicht mal für #LeaveNoOneBehind in den Massen protestieren, die dieses Thema verdient.



    Demo-Neid.

  • Weil hier wieder einmal behauptet wird, dass viele Wissenschaftler, und darunter insbesondere Herr Wodarg, nicht gehört würden: Ich kann mich kaum an eine Zeit erinnern, in der so viele verschiedene Wissenschaftler*innen (bzw. praktizierende Ärzte) mit unterschiedlichen. Meinungen zu einem Thema mediale Öffentlichkeitn erlangten. Insbesondere Herrn Wodargs Beiträge wurden rauf und runter diskutiert. Und man muss doch, im Hinblick auf die Länder und Regionen, die dem Virus zu Beginn wenig entgegengesetzt haben (USA, Hubei, Norditalien, Brasilien, Iran, Ecuador...), auch feststellen, dass Wodarg mit seinen Thesen schlicht falsch lag. Warum fällt es denn den, die nachträglich Maßnahme kritisieren, so schwer, über die Landesgrenzen hinweg zu schauen?

    • @Kolyma:

      Ich bin froh, dass durch Artikel wie diesen die Debatte etwas moderater geführt werden kann, es müssen nicht immer gleich alle Kampfbegriffen zum Einsatz kommen.

      Bzgl. Wodarg: ja, er wurde "gehört" im Sinne von: seine Aussagen sind in aller Munde, aber anstatt seine Appelle zu "erhören" wurde er für verrückt erklärt. Da war auch die taz bisweilen über's Ziel hinausgeschossen. Es reicht, sich darauf zu verständigen, dass wir mehrheitlich seine Einschätzungen für falsch halten, man muss ihn in keinster Weise diffamieren. Wir schenken im Gehör aber kein Gehorsam.

      Ich erinner mich noch, dass ich im März selber sehr gestaunt hab, wie stark der gesellschaftliche Konsens pro Lockdown war. Da finde ich es schon verständlich, dass eine Minderheit, die dies nicht teilt, gegenüber diesem Konsens argwöhnisch wird. Von dort ist es kein großer Schritt, zu vermuten, dass da etwas totgeschwiegen werden soll. Auch wenn diese Vermutung falsch ist.

      Konsens ist suspekt - auch wenn er gut begründet ist.

      Bzgl. Ländervergleich: "there is no glory in prevention" - das kann nicht oft genug wiederholt werden. Dass Maßnahmen in Deutschland nötig waren, hätte man in dem Sinne nur dadurch BEWEISEN können, dass man sie NICHT ergriffen hätte. Da das Schlimmste hier nicht eingetreten ist, hat die Fantasie leichtes Spiel, Gründe zu finden, warum es vielleicht sowieso nicht so schlimm gekommen wäre.

  • Und ganz nebenbei erfährt man, dass Mitte die Oderberger Straße annektiert hat. Au weia. Naja, waren ja auch alle durch Corona abgelenkt. Da sieht man mal.

  • RS
    Ria Sauter

    Aha, das sind also die Aluhutträger.



    Sieht aber nicht danach aus, dass dieser Fahrradhändler einer wäre.

    • @Ria Sauter:

      Darauf will der Artikel wohl hinaus

    • @Ria Sauter:

      Eventuell verkauft er Räder mit Alurahmen?