: Maulwurf-Liebhaber schreibt an Gartenfreundin
Bücher zum Garten und Texte über Blumen, sie laufen unserem Autor Helmut Höge zu, in Coronazeiten mehr denn je. Im taz-Haus ist er ein vielbeschäftigter Gießer und Notgießer
Von Helmut Höge
Mitten in der Coronazeit begann die Gartensaison. Das „Homeoffice“ einiger taz-Redakteure ist jetzt ein „Datschen-Büro“. Ein Verlag schickte mir ein kleines Buch mit dem Titel „Im Garten“ – von einer Journalistin mit Garten: Susanne Wiborg. Die etwa 30 alphabetisch geordneten (also nicht geordneten) Kapitel haben Überschriften wie „Holunder“, „Quitte“, „Nelke“ usw. Der Witz oder die Idee daran ist, dass sie in der Literatur gesucht hat, wo jemand sich über diesen oder jenen Gegenstand ihres Buches/Gartens geäußert hat. So beruft sie sich z. B. beim „Holunder“ auf ein Holunder-Gedicht von Peter Huchel, um fortzufahren: „Das Christentum bemühte sich nach Kräften, dieses stolze heidnische Gehölz zurechtzustutzen.“
Ich fühlte mich fast beschämt von ihrer Literaturkenntnis. Per Mail schrieb ich ihr, dass ich mit dem Buch etwas anfangen könne, aber derzeit sei wegen Corona alles durcheinandergeraten, und deswegen … Was auch stimmte. Zudem hatte ich den zu Hause bleibenden tazlern leichtsinnig versprochen, mich im verwaisten taz-Gebäude um ihre privaten Topfpflanzen zu kümmern, nicht wissend, dass es über 50 waren. Hinzu kamen noch die sozusagen tazeigenen Pflanzen in einem Großraum, auf zwei Dachterrassen und auf dem Hof. Und weil es so warm und trocken war, gierten alle nach Wasser, nach mir. Die Autorin/Gärtnerin hatte Verständnis.
Diese Entschuldigung für etwas „Liegengebliebenes“ hört man jetzt im Übrigen von allen Seiten. Als ich zur taz-Gartenbau-Redakteurin ging, um ihr eine Rezension über Wiborgs Buch anzubieten, war ihr Schreibtisch verwaist – natürlich. Es lag darauf die neue Ausgabe der Zeitschrift Sinn und Form. Im Inhaltsverzeichnis stieß ich auf zwei Texte des Sprachtheoretikers Francis Ponge – über „Die Nelke“ und „Die Mimose“, die ich mir kopierte. Im ersten schreibt er: „Meine Nelke muß nichts Besonderes sein: Man muß sie nur zwischen zwei Fingern halten können.“
Dann regnete es doch noch ein bisschen – und die Schrebergartenbesitzer waren wieder guter Laune. Ich bekam von der auf Gartenthemen spezialisierten Journalistin Sigrid Tinz gleich drei Gartenbücher geschickt: ein „Lob der Unordnung im Garten“, ein Plädoyer für einen „Frieden mit den Maulwürfen“ und eine Konzeption für eine auf die Pflanzen vertrauende „Gartengestaltung“. Hört sich alles gut an, obwohl das Letzte eher praktisch ausgerichtet ist und ich ja eigentlich kein Gärtner bin, sondern eher ein Gießer und derzeit mehr ein Notgießer.
Zu dem Unordnungsbuch schrieb ich der Autorin, dass ein taz-Mitarbeiter unlängst das Buch „Der Gärtner im Dschungel“ eines Garten-Unordnungs-Theoretikers wiederveröffentlicht hat. Zu ihrem Maulwurfsbuch: dass ich schon mehrmals in der taz Artikel über Maulwürfe (deutsche und russische) veröffentlicht hätte und ein weiterer in meiner Schublade läge – über englische Maulwürfe aus der Sicht eines Maulwurfjägers, der Tausende Maulwürfe landauf, landab getötet hat, aber sie nun, altersmilde geworden, sogar in seinem Garten leben lässt. Er schreibt: Sein Gesinnungswandel könnte aber auch auf den moralischen Einfluss seiner Frau zurückzuführen sein.
Über ihr „Einfach gärtnern“-Buch schwieg ich. Sigrid Tinz schrieb mir zurück, sie freue sich über die schnelle Antwort – auch noch von einem „Maulwurf-Liebhaber“. Das stimmte, die Maulwürfe gefallen mir. Mit dem eher praktischen Gartenbuch von Sigrid Tinz – „Selbst ist die Pflanze“ – könnten vielleicht die „Urban Gardening“-Leute neben dem taz-Gebäude etwas anfangen, überlegte ich.
In einer anthroposophischen Buchhandlung fand ich dann im Schaufenster ein dünnes Büchlein, das mir schon vom Titel her so gefiel, dass ich es kaufte: „Über das Geistige in der Möhre“. Da haben nämlich die wenigsten Pflanzenkundler und -grübler etwas drüber veröffentlicht. Außer Rudolf Steiner natürlich – zu dem ich in landwirtschaftlicher Hinsicht sowieso viel Vertrauen habe, seitdem ich weiß, dass er bereits 1921 den Rinderwahnsinn und das Bienensterben vorausgesagt hat – und das mit den richtigen Begründungen. Das ist doch irre oder?
Das Möhren-Büchlein enttäuschte mich jedoch: Es handelte sich dabei um eine Wiederveröffentlichung von Steiners „Kurs für Landwirte“, den er 1924 auf einem schlesischen Gutshof vor geladenem Publikum durchführte und woraus dann die „biologisch-dynamische Landwirtschafts“-Bewegung hervorging. Aber ich suchte das Geistige in der Möhre, und die Möhre kam in dem Büchlein nicht ein einziges Mal vor, zudem war das „Geistige“ von Steiner derart ins Gestirn gedacht worden, dass es mir nicht gelang, es zurück auf die Erde zu beziehen bzw. unter die Erde, wo die Möhre ja bekanntlich steckt.
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