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Ausgangssperren in den USA„Gehen Sie nach Hause“

Erstmals seit 1943 wird in New York wieder eine Ausgangssperre verhängt. Doch die DemonstrantInnen lassen sich nicht aufhalten.

Halten sich die BürgerInnen an die Ausgangssperre? Polizisten kontrollieren die Straßen New Yorks Foto: Wong Maye-E/ap

Auf der 125th Street hämmert es bis zum frühen Abend. Handwerker, die meisten von ihnen Latinos, nageln Holz vor Kleiderboutiquen, vor Bankfilialen und vor Supermärkte. Im Schritttempo rollt ein Polizeiwagen über die Hauptgeschäftsstraße von Harlem, in der das Wirtschafts­leben schon seit Beginn der Coronapandemie zum Stillstand gekommen ist. In einer Endlosschleife läuft die Durchsage über die Außenlautsprecher: „Gehen Sie nach Hause. Ab 20 Uhr heute Abend darf niemand mehr auf der Straße sein.“

Es ist die erste nächtliche Ausgangssperre New York Citys seit dem Jahr 1943. Damals galt die Ausgangssperre nur in Harlem – dieses Mal gilt sie in der ganzen Stadt. Beide Male waren der Anlass Unruhen nach Polizeigewalt gegen einen schwarzen Mann.

An diesem Dienstagabend verbarrikadiert sich das einstige Zentrum der afroamerikanischen Kultur gegen die befürchteten Zerstörungen. Weiter südlich in Midtown und in Downtown haben viele Geschäfte dies schon vor einigen Tagen getan. Hier waren ein paar Läden ausgeplündert worden.

Wie auch in anderen Städten quer durch das Land – von Philadelphia über Washington und Chicago bis nach Los Angeles – sollen die Menschen ihre Wohnungen nicht verlassen. Da sind sich der Bürgermeister der Stadt, Bill de Blasio, und der Gouverneur des Bundesstaates New York, Andrew Cuomo, ausnahmsweise einig. Sie haben gemeinsam die Ausgangssperre angeordnet. Sie soll Plünderungen verhindern und zunächst bis Sonntag gelten.

Immer wieder kommt es in New York zu Festnahmen von Demonstrierenden Foto: Eduardo Munoz/reuters

Die Fehde der mächtigen Männer New Yorks

Die beiden mächtigen Männer New Yorks gehören zur Demokratischen Partei, und sie tragen seit Jahren eine persönliche Fehde aus, die vermutlich nicht nur mit politischen Differenzen zu tun hat. Gouverneur Cuomo, ein Mann vom rechten Parteiflügel, dessen tägliche Pressekonferenzen in Albany seit Beginn der Pandemie zu einem live übertragenen nationalen TV-Ereignis geworden sind, weil er dabei jene Art von Besonnenheit zeigt, die US-AmerikanerInnen vergeblich von ihrem Präsidenten erwartet haben, hatte angedroht, Soldaten seiner Nationalgarde in die City zu schicken.

No justice, no peace – Ohne Gerechtigkeit kein Frieden – skandieren Zigtausende Menschen am Dienstagabend in Manhattan und in Brooklyn

Allein bekomme New York City die Gewalt nicht unter Kontrolle. Das war am Montag. Bürgermeister de Blasio konterte umgehend bei einer Pressekonferenz: „Da braucht jemand eine Geschichtslektion.“ Dieser Jemand müsse lernen, dass es nie gut sei, wenn auswärtige bewaffnete Kräfte in eine Stadt kämen. Nun überwacht die New Yorker Polizei die Ausgangssperre.

„No justice, no peace“ – Ohne Gerechtigkeit kein Frieden – skandieren Zigtausende Menschen am Dienstagabend an zahlreichen Orten Manhattans und Brooklyns. Ein anderer Singsang aus den Menschenmengen lautet: „Sagt seinen Namen“ und die Antwort: „George Floyd“. Binnen acht Tagen ist der 46-jährige Afroamerikaner, den ein Polizist am 25. Mai in Minneapolis getötet hat, eine nationale Figur geworden.

Sein Name eint Hunderttausende Menschen, die in dieser Nacht demonstrieren. Sie trotzen dabei vielen Gefahren: den nächtlichen Ausgangssperren, dem Coronavirus und dem US-Präsidenten. Donald Trump hat die DemonstrantInnen als „Schläger“ bezeichnet, nennt sie pauschal „Antifa“ und will die Antifa zu einer „terroristischen Organisation“ erklären. Immer wieder hat er den DemonstrantInnen und den BürgermeisterInnen in den Großstädten mit dem Einsatz der Armee gedroht.

Juristisch betrachtet hat der Präsident nur in der US-Hauptstadt Washington das Recht, das Militär zu schicken. Doch er glaubt offenbar, seinen AnhängerInnen landesweit mit der Drohung imponieren zu können. Das erste Resultat aber ist: Die Demonstrationen wachsen.

Trumps Propagandabesuch in der Kirche

In Washington stellen sich auch zwei BischöfInnen mit starken Worten auf die Seite der Trump-KritikerInnen. Die episkopale Bischöfin Mariann Edgar Budde ist für St John’s zuständig, die „Kirche der Präsidenten“. Am Vortag hatte Trump die friedlichen DemonstrantInnen auf dem Lafayetteplatz zwischen Weißem Haus und St. John’s mit Tränengas vertreiben lassen, um selbst den Platz zu überqueren und sich anschließend mit einer Bibel in der Hand vor dem Kircheneingang zu zeigen, der bei einer vorausgegangenen Randale angekokelt wurde. In den USA erinnert so eine Pose an die spanischen Konquistadoren.

Bischöfin Budde nimmt ihm das so übel, dass sie am Dienstag Interviews quer durch die TV-Landschaft gibt. „Er war nicht zum Beten hier“, sagt sie. Die Geistliche, sie ist bei ihren TV-Interviews in rosa Farben gekleidet, erklärt in einem ruhigen und freundlichen Ton, dass der Präsident dem Friedensgebot der Bibel Hohn spricht. Und auch der katholische Bischof von Washington stimmt in die theologische Präsidentenkritik ein. Wilton Daniel Gregory ist der erste afroamerikanische Bischof Washingtons. Ihm missfällt, dass Trump eine radikal rechte katholische Kirche in der Stadt für einen Propagandabesuch benutzt hat.

Ein Stadtteil verbarrikadiert sich: In Midtown Manhattan werden Läden vor Plünderungen geschützt Foto: Brendan McDermid/reuters

Eine der New Yorker Demonstrationen im Greenwich Village beginnt am Dienstagabend vor dem Stonewall Inn. Dort begann vor 51 Jahren die moderne Lesben- und Schwulenbewegung. Normalerweise feiert die LGBTQ-Bewegung im Juni ihre Errungenschaften. Aber in diesem Jahr stellt sie den Auftakt zu ihrem Aktionsmonat in den Dienst des Antirassismus. Die Bilder von schwulen Männern, die im Jahr 1969 bei der legendären Polizeirazzia im Stonewall Inn von der Polizei verprügelt wurden, ähneln den Videos über die heutige Polizeigewalt gegen AfroamerikanerInnen.

Während die Demonstrierenden in New York losziehen, zeigen sich die Sprecher der Polizeigewerkschaften im rechten Fernsehsender Fox News und stellen putschistische Forderungen auf. Sie fordern eine Amtsenthebung des Bürgermeisters und das Eingreifen des Militärs. Ed Mulllins von der „Sergeants Benevolent Association“ spricht gar von „Rechtlosigkeit und Führungslosigkeit“ in der Stadt. Gerry McCarthy, ein ehemaliger Polizeikommandant, sagt, die DemonstrantInnen seien „so gut organisiert“, dass sie sogar „Sanitäter und Anwälte dabeihätten“. Moderatorin Laura Ingraham spricht von „bezahlten Demonstranten“.

„Peaceful protest“ skandieren die DemonstrantInnen

Am späten Abend, zwei Stunden nach dem offiziellen Beginn der Ausgangssperre, stecken 5.000 Menschen auf der Manhattan Bridge über dem East River fest. Die Polizei hat beide Enden der Brücke verbarrikadiert und sie eingekesselt. Immer wieder halten die DemonstrantInnen beide Hände in die Luft und skandieren vier Silben „Peace-ful pro-test“ – friedlicher Protest. Kurz vor Mitternacht führen die Verhandlungen zwischen DemonstrantInnen und Polizei, an denen sich auch New Yorker Lokalpolitiker beteiligen, dann zum Erfolg. Die Menschen können die Brücke auf der Seite nach Brooklyn verlassen.

Weiter nördlich in Harlem ist die Nacht unterdessen so mucksmäuschenstill, wie sie es nicht einmal in den härtesten Pandemiezeiten gewesen war. Nur gelegentlich rattern Hubschrauber über die Dächer und schallen die Sirenen von Kranken- und Polizeiwagen durch die Luft. Sowohl in New York City als auch in den anderen Städten der USA gehen in dieser Nacht die Plünderungen radikal zurück. Die Städte im Ausnahmezustand, sie gehören jetzt den friedlichen DemonstrantInnen. Auch an der 125th Street in Harlem bleiben die befürchteten Plünderungen aus.

Ein Konzern hat mit den Ausgangssperren bereits ein gutes Geschäft gemacht. Koch Industries, der Konzern der milliardenschweren Koch-Brüder, die einst die Tea Party finanzierten und damit den Weg für Donald Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 ebneten, stellt die dicken Pressspanplatten her, die jetzt landesweit Geschäftsfassaden schützen sollen.

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3 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Deutschland ist da weiter. Da wurden schon im März autoritäre Ausgangssperren verhängt.



    "Bleiben Sie zuhause! Der Weg zur Arbeit ist weiterhin gestattet!" Hauptsache, der Rubel rollt.

  • Man muss sich immer wieder klar machen, dass George Floyd von der Polizei festgenommen und getötet wurde, weil ein Ladenangestellter ihm unterstellte, mit Falschgeld bezahlt zu haben. Hier liegt das Grundübel: Geld zählt über alles. Und das Leben eines African-American dagegen?



    UND: Wie steht es um die kritische Selbstreflexion? Um Aufklärung im Lichte der eigenen Geschichte? Weitgehend Fehlanzeige!! Der Marsch geht offenbar trotz der aktuellen Proteste in die entgegengesetzte Richtung: Es gibt gute Gründe zu befürchten, dass Trump - auch aufgrund der ungerechten Wahlgesetzgebung in vielen Bundesstaaten - wieder gewählt wird.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Jemand, der nicht zum ersten Mal die richtigen Worte findet.

    Quelle WP, Salman Rushdie:

    In meinem Leben habe ich mehrere Diktatoren auf- und absteigen sehen. Heute erinnere ich mich an diese früheren Inkarnationen dieser unschönen Rasse.



    Vorsicht, Amerika.



    (...)



    Extremer Narzissmus, Loslösung von der Realität, Vorliebe für Sykophanten und Misstrauen gegenüber diejenigen, die versuchen die Wahrheit zu beschreiben, Besessenheit darüber, wie man öffentlich dargestellt wird, Hass auf Journalisten -- verbunden mit dem Temperament eines außer Kontrolle geratenen Bulldozers:



    Dies sind einige der Merkmale .

    Präsident Trump ist temperamentvoll und ein Westentaschen-Despot dieser Art.



    (...)



    Und doch steht der Mann im Rosengarten der USA, dessen Inkompetenz es der Pandemie ermöglichte, ihren tödlichen Griff um unseren Hals zu festigen, und dessen entzündliche Sprache voller rassistischer Hundepfeifen eine bedeutende Rolle dabei gespielt hat, weiß-supremazistische Bigotterie auf uns alle auszulösen

    Das Weiße Haus und kündigt ohne ein bisschen Scham an, dass er friedliche Demonstranten schützen will. Zu dieser Zeit, gleich die Straße hinunter, greifen seine Sicherheitskräfte, einige von ihnen zu Pferd, einen friedlichen Protest mit Tränengas und Gummigeschossen an.

    Einen Moment später charakterisiert er die Demonstranten als Terroristen und ihre Proteste als Verbrechen gegen Gott.

    Wir sind so an das Verhalten dieses Mannes gewöhnt, an seine Lügen, seine unerschöpfliche Selbstachtung, wir sind an seine Dämmlichkeit gewöhnt, dass wir vielleicht versucht sind, dies als einen weiteren Tag in Trumpistan zu betrachten.

    Aber diesmal passiert etwas anderes.

    Der Aufstand, der mit der Ermordung von George Floyd begann, brutzelt nicht, sondern wächst.



    (...)



    Wenn er die Handlungen einer Minderheit von Kriminellen nutzt, um den ehrenwerten Protest der großen Mehrheit gegen den Mord an Floyd zu diskreditieren - ist Trump auf dem Weg in die Despotie.