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Die Dominanz der Unterdrückung

In Afrika reagieren viele Staaten mit Repression auf die Ausbreitung des Coronavirus, sagt der Bremer Sozialwissenschaftler Klaus Schlichte. Nun drohen Hungersnöte und Unruhen

Ruanda setzt im Kampf gegen Corona konsequent auf Hightech Foto: Cyril Ndegeya/dpa

Von Jan Zier

In Afrika reagieren nach Einschätzung des Bremer Sozialwissenschaftlers Klaus Schlichte viele Regierungen repressiv auf die Coronapandemie. „Je schlechter das Gesundheitssystem, desto repressiver die Reaktion“, sagt der Politologe, Afrikanist und Volkswirt mit Professur im Sonderforschungsbereich „Globale Entwicklungsdynamiken“ der Uni Bremen. So gebe es in Uganda oder Nigeria Ausgangssperren, die von der Polizei „massiv“ durchgesetzt würden, sagte er in einem Podcast. Trotz aller Unterschiede zwischen den Ländern – „die repressive Politik ist die dominante“.

Ob das dann auch nach der Coronakrise so bleiben wird? Da ist Schlichte zurückhaltend: „Das lässt sich nicht auf Dauer aufrecht erhalten. Der Aufwand ist enorm.“ Zudem sieht der Sozialwissenschaftler die Gefahr von sozialen Unruhen, insbesondere dann, wenn die Preise vor allem für Lebensmittel steigen. Schon vor der Pandemie hätten viele Menschen in afrikanischen Städten Nahrungsmittel kaum bezahlen können.

Derzeit scheint der afrikanische Kontinent noch vergleichsweise wenig von der Coronapandemie betroffen zu sein, aber die Entwicklung ist schwer abschätzbar: Noch Ende April hatte Nigerias Polizei 18 Menschen erschossen, weil sie die Ausgangssperre verletzt hatten – das waren mehr, als das Land damals an Toten infolge der Corona-Erkrankung zählte. Doch die Zeiten sind vorbei: Die Sicherheitskräfte sind zwar immer noch brutal. Aber laut den Zahlen der Johns Hopkins University ist das Virus tödlicher, auf 7.839 Infektionen kommen 226 Sterbefälle. Rund 23.000 Infizierte werden aus Südafrika, 18.000 in Ägypten, etwa 8.500 in Algerien, rund 6.700 in Ghana gemeldet. In Namibia sind es 21, in Angola 69 und in Simbabwe 56.

Burkina Faso mit 20 Millionen Einwohner*innen verzeichnet 52 Corona-Tote, 814 Infektionen wurden dort bestätigt. Schlichte erklärt die Zahlen mit der geringen internationalen Mobilität der Bevölkerung: „Ist das Virus erst einmal in den Städten angekommen, dürfte die Verbreitung schneller verlaufen als etwa in Europa.“ Die Menschen lebten oft enger beieinander und hätten weniger Rückzugsräume. Wie sich die Pandemie in Afrika entwickeln wird, ist nach Meinung Schlichtes durch die schlechte Datenlage schwer abzuschätzen.

„Die afrikanischen Gesellschaften sind viel jünger als etwa die europäischen. Es gibt vergleichsweise wenig alte Menschen, bei denen Covid-19 häufiger besonders schwere Verläufe nimmt.“ Dieser positive Effekt werde womöglich durch die Mangel- und Unterernährung vieler Menschen aufgewogen.

Die Welthungerhilfe warnt bereits vor der Gefahr, „dass das verhängnisvolle Zusammenspiel aus Coronapandemie, bewaffneten Konflikten und Klimawandel zu einer Hungerkatastrophe größten Ausmaßes führt“. Die ob der Pandemie verhängten Beschränkungen verschlimmerten überall die ohnedies schwierige Ernährungslage: „Viele Menschen, die in Afrika das Coronavirus überleben, werden später an Hunger sterben.“

Die Altersstruktur vieler afrikanischer Staaten könnte zwar vorübergehend ein Puffer sein, sagt Maximilian Gertler von „Ärzte ohne Grenzen“. Aber soziale Distanzierung sei in großen Armenvierteln keinesfalls so umsetzbar wie hierzulande und sauberes Wasser gebe es teilweise nur an Brunnen außerhalb der eigenen Wohnung. Und das Arbeiten von zu Hause sei für viele Menschen auch keine Option. Zudem mangele es oft an Desinfektionsmitteln, Seife, Schutzmaterial und Fachpersonal, so der Epidemiologe. „Ganz zu schweigen von Intensivkapazitäten, die sind quasi nicht vorhanden.“

Es gibt Positiv-Beispiele. Ruanda etwa, das seit zwei Jahrzehnten massiv in den Ausbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung investiert hat – und auch mit der Pandemie mit 330 Infizierten und 0 Toten mustergültig klarkommt. Dort hat man sogar an den Schutz von Pflegekräften und Ärzt*innen gedacht und im Zuge der Krise vermehrt Roboter in Krankenhäusern eingesetzt.

„Die afrikanischen Gesellschaften sind viel jünger als etwa die europäischen“

Prof. Klaus Schlichte, Institut für interkulturelle und internationale Studien, Uni Bremen

Für die chronisch unterfinanzierten Gesundheitssysteme vieler Staaten des Kontinents sind vor allem auch die derzeitigen Preissteigerungen verheerend. „Für ein Produkt, das zuvor einen Dollar gekostet hat, muss jetzt das Hundertfache bezahlt werden“, sagt Ahmed Ogwell, stellvertretender Leiter der Africa Centres for Disease Control and Prevention. Die Länder des globalem Nordens treiben mit ihrer Nachfrage die Preise nach oben.

Mit „unverantwortlichem Verhalten von reicheren Ländern“ sei die Pandemie aber nicht zu überwinden, sagt Amit Thakker, Leiter der in Nairobi ansässigen Africa Healthcare Federation. Die Pandemie könnte laut einer neuen Studie am Ende zu einer erheblichen Zunahme der Kinder- und Müttersterblichkeit in ärmeren Ländern führen.

Auch wirtschaftlich treffe die Coronapandemie die afrikanischen Gesellschaften hart, glaubt Schlichte. Und zwar nicht nur, weil etwa der Safari-Tourismus in Kenia oder im Senegal einbricht. Wichtiger sei der Rückgang der Geldüberweisungen von Familienangehörigen, die etwa in Europa arbeiteten. „Dadurch bricht die wichtigste Devisenquelle afrikanischer Ökonomien ein“, so Schlichte. Denn in der Summe seien diese Zahlungen höher als die gesamte Entwicklungshilfe, die afrikanische Staaten erhielten.

Deutschland stellt bisher 300 Millionen Euro für den Kampf gegen das Coronavirus in armen Ländern bereit. Die Hilfswerke der UN, das Rote Kreuz und andere humanitäre Organisationen haben dafür bislang 625 Millionen US-Dollar erhalten.

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