Gastronomie in der Coronakrise: Warten auf Gäste
Dirk Zander und Sören Günther betreiben ein Restaurant in Berlin. Die Coronakrise könnte das Ende ihres Lebensprojekts bedeuten.
Brunch haben sie hier nicht, sondern was Ordentliches. „Nichts für Hipster, wir zaubern nicht mit Blattgold.“ Auf der Karte stehen „Halbe Brandenburger Landente, kross aus dem Ofen, an Apfelrotkohl und Kartoffelklößen“ und „Ofenfrischer Schweinebraten in Schwarzbiersoße“. Pommes sind nicht im Programm, eine Fritteuse sucht man in der Küche vergebens. „Schnitzel gehören in die Pfanne“, sagt Zanders Kompagnon Sören Günther. Vor allem kochen sie für ihre Stammgäste, die Leute aus der Gegend. Wobei auch Touristen kommen, weil der Laden im Reiseführer „Lonely Planet“ steht.
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Doch an diesem Sonntag Anfang Mai sprudelt die Oderquelle nicht. Die Inhaber, beide Mitte 40, sitzen wieder mal hinter der gläsernen Terrassentür ihres leeren Restaurants. Seit der coronabedingten Schließung der Gastronomie im März haben sie Holztische abgeschliffen und lackiert, die Küche renoviert. Nun ist eigentlich nichts mehr zu tun. „Es könnte sofort losgehen“, sagt Zander. Er trägt Jeans und T-Shirt. Ein paar graue Strähnen zeigen sich in Bart und Zopf.
Bis es losgeht, dauert es aber noch – wie der Berliner Senat einige Tage später entscheidet, bis zum 15. Mai. Währenddessen wird in der Oderquelle das Geld knapp. Die Berliner Volksbank hat sich nach Angaben der beiden Gastwirte geweigert, ihren Kreditantrag an die öffentliche KfW-Bankengruppe weiterzuleiten, die die Hilfsprogramme der Bundesregierung für Unternehmen umsetzt. Für Zander und Günther bedeutet die Coronakrise, dass sie seit Wochen null Einnahmen haben und trotzdem der staatliche Rettungskredit nicht kommt. Das Geschäft steht auf der Kippe.
Die Lage bleibt für viele prekär
Zahlreiche Firmen stecken deutschlandweit in derselben Bredouille. Die KfW spricht zwar nur von einigen hundert Beschwerden, nach Angaben des Gastronomieverbands Dehoga dagegen haben über 10 Prozent der Betriebe Probleme mit ihrer Bonität bei den Hausbanken. „Viele Kredite werden nicht genehmigt“, sagt Dehoga-Geschäftsführerin Ingrid Hartges. Aus anderen Branchen kommen ähnliche Hinweise. Auch wenn Gaststätten, Biergärten und Cafés ab Mitte Mai langsam und eingeschränkt wieder öffnen dürfen, bleibt die Lage prekär. Denn in den ersten Monaten werden die Firmen wegen der Abstandsregeln viel weniger verdienen als vor der Krise.
Die Oderquelle liegt in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg in Berlin. Fünfstöckige Altbauten, viel Grün, nebenan die Feuerwache. Gerade fahren zwei Leiterwagen raus. Die Mannschaft in den dicken Schutzanzügen winkt herüber. An der nächsten Ecke, wo früher die Mauer stand, wird die Sirene eingeschaltet. „Die sitzen ooch öfters hier“, sagt Günther, „dann hamwa Feuerwehrrabatt.“
Die Tür geht auf, ein Mann mit Sonnenbrille tritt ein. „Hallo Lutz“, sagt Günther. Auch ein Stammgast. Dessen Blicke wandern über den leeren Tresen, der früher in der Kantine der Filmhochschule Babelsberg stand, dann über den polierten Holzboden, die aufgearbeiteten Kirchenbänke und um die verwaisten Tische. „Wann macht ihr wieder alles auf?“ – „Morgen“, probiert Günther einen Witz. Das soll nach guter Laune klingen. Manchmal ist ihm eher zum Heulen zumute.
Als die Bundesregierung Ende März die Schließung verkündete, gab es Champagner für die Belegschaft. „In zwei Wochen sehen wir uns hier wieder“, hieß es. Nun sind sieben Wochen vorbei. Das Finanzamt hat die Steuerzahlung gestundet, der Vermieter die Pacht. 14.000 Euro Zuschüsse vom Berliner Senat und Bund hat die Oderquelle erhalten – wie Hunderttausende andere Firmen. Und Ende April ist endlich das März-Kurzarbeitsgeld für die neun Arbeitsplätze eingegangen. „Aber jetzt wird es schwierig“, sagt Zander. Nicht nur hier: Kürzlich meldete der Gastronomieverband Dehoga, dass bei „jedem dritten Betrieb die Liquidität weniger als 20 Tage reicht“.
Die Bank zieht nicht mit
Die Oderquelle hat einen Kredit über 50.000 Euro bei der KfW beantragt. Günther und Zander müssen schließlich auch jetzt die Miete für ihre Wohnungen weiterzahlen. Nach der Wiedereröffnung wird die ausgesetzte Restaurantpacht fällig. Und die Küche braucht für den Start frische Lebensmittel.
Dirk Zander, Gastronom in Berlin
Doch die Berliner Volksbank, bei der die Wirte ihr Geschäftskonto führen, zieht gerade nicht mit. Die Hausbanken nehmen bei den Corona-Hilfsprogrammen – wie auch bei normalen KfW-Krediten – die Anträge der Firmen an und prüfen deren Kreditwürdigkeit, um die Papiere dann an die Staatsbank weiterzuleiten. Letzteres mache die Volksbank in diesem Fall einfach nicht, sagen die Wirte. Das Institut selbst will sich dazu nicht äußern – Bankgeheimnis und Datenschutz.
Auf dem Tisch an der Terrassentür hat Günther Papiere ausgebreitet. Am 16. April schickte er den Kreditantrag an die Volksbank. Am 27. April habe ein Bankmitarbeiter ihm erklärt: Geht nicht. Als Grund sei angeführt worden, dass der Gewinn der Oderquelle 2019 weniger als 60.000 Euro betrug. Nach den internen Kriterien des Geldhauses reicht das anscheinend nicht, um die Firma als stabil einzustufen.
Zander und Günther sehen die Sache so: Seit dem Erwerb des Restaurants 2014 schwarze Zahlen, gleichzeitig über 100.000 Euro Kaufpreis abbezahlt, zusätzlich 50.000 Euro investiert. Sie hätten sich selbst nur 2.000 Euro pro Kopf und Monat als Gewinn überwiesen, um möglichst viel in die Firma zu stecken. „Es geht auch um unsere Altersvorsorge“, sagt Zander, „außer diesem Laden haben wir nichts.“ Corona, die Ausgangsbeschränkung, die Geschäftsschließung und jetzt das Nein der Bank – das alles fühle sich an „wie ein unerwarteter Todesfall. Mit den Wochen, die vergehen, wird es nicht besser, eher schlimmer.“
Hoffen auf Zuschüsse
Absurd mutet das alles auch deshalb an, weil das Risiko für die Volksbank wohl nur bei 5.000 Euro liegt. Denn würde die Oderquelle den KfW-Kredit bekommen und dann pleitegehen, übernähme die öffentliche Bank 90 Prozent der Haftung. Nur auf 10 Prozent der Kreditsumme, also 5.000 Euro, bliebe die Volksbank sitzen. Es könne sein, wurde den Wirten gesagt, dass das Institut ihnen demnächst einen Kredit aus eigenem Programm anbiete – aber wohl zu deutlich höheren Zinsen als bei der KfW, was die Zukunftsaussichten der Gaststätte nicht verbessert.
Auch politisch mag sich etwas tun. Man prüfe die Staatshaftung für KfW-Kredite, wie die Oderquelle einen braucht, auf 100 Prozent zu erhöhen, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium. Das erleichtert der Volksbank eventuell die Entscheidung. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will in diesen Tagen einen „Vier-Stufen-Plan“ vorstellen, ein Raus-aus-der-Krise-Programm, auch für die Gastronomie. Ein Punkt darin: Darlehen werden in Zuschüsse umgewandelt. Darin könnte eine Chance für Zander und Günther liegen – wenn sie den KfW-Kredit doch bekämen. Sowieso fordert der Gastronomieverband Dehoga einen zusätzlichen Rettungsfonds mit Bargeld für die Branche.
In der Tür der Oderquelle steht jetzt ein Paar von gegenüber. Die beiden wollen nicht reinkommen. Sören Günther geht ihnen entgegen. Mit gedämpfter Stimme bieten sie an, eine Monatsmiete zu übernehmen. Wenn es hart auf hart kommt. Dirk Zander schüttelt den Kopf, erstaunt, gerührt. „So ist das hier. Aber wir wollen unseren Gästen nichts schulden, sondern es selbst schaffen.“
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