das ding, das kommt: Freie Fahrt für freie Bürger – und gegen alles andere
Streng nach Logik hätte eine Sache erst mal richtig weg sein müssen, wenn sie nun ein Comeback feiern will – aber ein bisschen fühlt es sich beim Auto so an. Da trifft man dieser Tage auch hartnäckigste Bahnpendler:innen unmaskiert im Parkhaus, oder grüßt einander während der dritten oder vierten Rotphase etwas verschämt an der Ampel. Nicht nur zur Arbeit geht’s motorisiert: In Bremen demonstriert ein Autokorso gegen die Unterbringung von Geflüchteten in der Corona-infizierten Aufnahmestelle, andernorts fährt man gegen die Verschwörung der Hygieniker – in Hamburg tuckern Fahrlehrer:innen gegen ihr Arbeitsverbot symbolisch um die Binnenalster.
Nun ist diese Verbindung von Freiheit und Autofahren nicht neu. Der tolldreiste PR-Stunt der Industrie hat sich tief ins kollektive Unbewusste gewalzt: Wirklich frei ist nur, wer gut geschützt im Blechpanzer ins Polster pupsen darf, ohne dass es wer riecht. Die Geschichte hat sogar einen wahren Kern: Wer auf dem Land groß wurde, für den oder die war es schon wichtig, auch nach dem letzten Bus um 16.30 Uhr noch Freund:innen besuchen zu können, oder abends mal aufs Konzert zu rauschen. ADAC und Automobilindustrie haben genau diesen adoleszenten Etappensieg verewigt. „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist ein 18. Geburtstag, der niemals endet. Wir können abends raus mit den Jungs, aber vorher gibt’s noch Kuchen und Knutschis von Mutti.
Diese Krise im Moment stimmt alle regressiv, die Frage ist nur, wie tief man fällt: wieder wie mit 15 bekifft Verschwörungstheorien ersinnen oder Auto fahren wie mit 18. Wahrscheinlich müssen wir sogar dankbar sein, dass die Mehrheitsgesellschaft sich bislang mit der bockigen zweiten Variante zufrieden gibt. Und wer hätte nicht in den ersten Wochen beim Einkaufen noch eine Extrarunde gedreht, um das Lied im Radio zu Ende zu hören und dabei ein bisschen Apokalypse zu gucken? Autohäuser haben die Lockerungen angeführt. Damit auch jemand hingeht, wird auch die Anschaffungsprämie kommen. Und es ist traurig, aber wahr, dass die Autoliebe der Deutschen ihren Höhepunkt darin findet, das Ding zu verschrotten und ein neues zu kaufen. Jan-Paul Koopmann
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