Jagen, studieren, Sekt trinken

Studentinnen im sächsischen Tharandt haben die bundesweit einzige Damenjagdverbindung gegründet.
Von Emanzipation wollen die Mitglieder der Skadi aber nichts wissen. Ein Besuch bei Frauen, die die Jagd lieben

„Es gibt nichts Schöneres, als auf dem Hochsitz der Hirschbrunft zu lauschen“, sagt Corinna, Mitglied der Damenjagdverbindung Skadi zu Tharandt Foto: Bernd Hartung

Aus Tharandt Helena Weise

Junge Frauen in Trachtenkleidern stoßen bei Kerzenschein mit Weingläsern an. Am Kopfende eines mit Geweihen dekorierten Tisches steht aufrecht ein ausgestopfter Fuchs mit einer Flinte über der Schulter. Die Fotos, die die Damenjagdverbindung Skadi zu Tharandt auf Facebook postet, wirken verstaubt. Einige muten skurril an: „Waidmannsheil und Horrido“ steht über dem Bild eines blutigen Jagdmessers, das von dreifarbigen Bändern eingerahmt wird: Grün für die Jagd, Bordeaux für die Weiblichkeit, Weiß für das Vertrauen. Venatio, Femina, Fides.

Jagd und Blut. Trachten und Tradition: Was den meisten jungen Menschen fremd sein dürfte, verbindet eine Gruppe von Forstwissenschafts-Studentinnen in einer Kleinstadt bei Dresden. Das grün-bordeaux-weiße Band, das auf der Facebook-Seite um ein Jagdmesser gelegt ist, leuchtet nun quer über der Brust der jungen Frauen, die in einem kleinen Café an der Ortsstraße warten.

Fünf der 16 Mitglieder der „Jagdlichen Akademischen Damenverbindung Skadi zu Tharandt“ sind gekommen. Sie lächeln höflich. Hinter ihnen erhebt sich die Burgruine von Tharandt. Der Ort passt zu den Skadis und er passt auch zu den Bildern auf Facebook, die das Einzige sind, was von dem abgelegenen Campus nach außen dringt. Jahr 1811 gründete Heinrich Cotta hier die zweitälteste Forstakademie der Welt, die heute zu der Technischen Universität Dresden gehört. Tradition – darauf ist man stolz in Tharandt.

Die Skadis hingegen können erst auf vier gemeinsame Jahre zurückblicken, Neuankömmlinge in der traditionellen Verbindungswelt. Namensgeberin und Schutzpatronin ist Skadi, die Göttin der Jagd in der nordischen Mythologie. Zwei Forstwissenschafts-Studentinnen haben die Korporation 2016 gegründet. Damit gehört sie zu den fünfundzwanzig der rund fünfzig Damenverbindungen in Deutschland, die sich in den letzten zehn Jahren formiert haben. Es ist fast schon ein Trend, mal gedeutet als konservativer Backlash, mal als Gegenbewegung der Frauen im Verbindungsmilieu, die nicht länger nur Anhängsel der Herrenverbindungen sein wollen. Das Besondere an der Tharandter Verbindung: Sie ist die erste und bisher einzige Jagdverbindung für Frauen in Deutschland. Selbstbefugter Zutritt zu gleich zwei Bereichen, die seit jeher von Männern dominiert sind: Jagd und Korporation.

„Durchaus emanzipatorisches Potenzial“ attestiert ihnen deshalb ein Reader mit dem Titel „Ausgefuxt“, den das Referat für Politische Bildung des Studierendenrats der TU Dresden 2017 herausgebracht hat – „im Gegensatz zu anderen Damenverbindungen“ zumindest. Gleich dahinter folgt die Prognose: Innerhalb des konservativen Verbindungssystems komme dieses Potenzial vermutlich bald an seine Grenzen.

„Mit Emanzipation hat das nichts zu tun“, sagt Lea. Nicht einmal als Vorreiterinnen wollen sie sich verstanden wissen. „Für uns ist es selbstverständlich, dass wir jagen“, sagt die Studentin, die erst vor Kurzem vom „Fuxx“, also einer Anwärterin, zur „Dame“ aufgestiegen ist. Das Gleiche gelte auch für Verbindungen. „Da hieß es lange: Können sie nicht, dürfen sie nicht, tun sie nicht. Aber jetzt können wir es, wir dürfen es und wir tun es.“

Und obwohl das auf einmal doch sehr nach Feminismus klingt, löst der Begriff fast schon reflexartiges Kopfschütteln bei den jungen Frauen aus, vereinzelt sogar Lachen. Nicht gegen, sondern mit Männern wollen sie arbeiten. Anne Mielke, Doktorandin an der Universität Göttingen, hat genau diesen Satz schon öfter gehört, wenn sie die Feminismusfrage gestellt hat. Sie promoviert zu Damenverbindungen als weibliche Vergemeinschaftungen in männlich dominierten Milieus. „Verbindung sein heißt eben auch, Verbindungen zu knüpfen“, sagt sie. In dem Punkt seien die Frauen dann schon von der Anerkennung männlicher Korporationen abhängig.

Von der Verbindungswelt anerkannt zu werden: Das könnte einer der Gründe sein, warum die Skadis nicht nur einer feministischen Deutung, sondern auch einem Artikel skeptisch gegenüberstehen. Sie möchten sichergehen, dass sie richtig verstanden werden und dass das korrekte Vokabular verwendet wird, wenn es um die Jagd und die Verbindungswelt geht. Wenn eine spricht, spricht sie für die Verbindung, nicht für sich als Privatperson. Ihre richtigen Namen möchten sie deshalb nicht in der Zeitung lesen.

Die Forstwirtschaft In Tharandt ist ein Campus der TU Dresden angesiedelt. Seit mehr als 200 Jahren kann man dort Forstwissenschaf­ten studieren. Die insgesamt neun Institute umfassen unter anderem die Bereiche Forstbotanik, Forstnutzung, Bodenkunde, Holzchemie oder Waldschutz. Der Anteil der Frauen in Forstberufen liegt laut dem Bund Deutscher Forstleute bei unter 10 Prozent.

Die Jagd Nach Angaben des Deutschen Jagd Vereins (DJV) besaßen in der vergangenen Jagdsaison mehr als 388.000 Deutsche einen Jagdschein. Der Anteil der Jägerinnen ist in den vergangenen 25 Jahren von nur 1 Prozent auf 7 Prozent gestiegen. In den vom DJV befragten Jägerkursen lag ihr Anteil bereits bei 24 Prozent.

Die Verbindung In Deutschland gibt es heute rund 900 Studentenverbindungen, darunter Landsmannschaften, Corps oder Burschenschaften. Die meisten der rund 150.000 Mitglieder tragen bei offiziellen Veranstaltungen ein Band in den Farben der Verbindung und eine Studentenmütze. Bei gut einem Drittel der Studentenverbindungen wird gefochten. In den letzten 20 Jahren aber haben Studentinnen in fast allen deutschen Universitätsstädten eigene Verbindungen gegründet. Mittlerweile gibt es mehr als 50 Damenverbindungen. (taz)

„Tharandt ist eine Blase“, sagt eine Forstwissenschafts-Studentin, die sich an den Verbindungen im Ort stört. Das gilt für die Skadis ebenso wie für die Herrenverbindung „Jagdcorporation Cervidia zu Tharandt“. Als „Burgfrieden“ bezeichnet die Studentin die Stimmung auf dem Campus. „Man lebt so nebeneinander her.“ Es gebe aber immer mal wieder Diskussionen unter den Studierenden, ob die Verbindungen während der Orientierungswochen zu Beginn des Semesters neue Mitglieder werben dürften. „Es ist schwer zu sagen, warum man sie als anders wahrnimmt“, sagt die Tharandter Studentin. „Es sind eben exklusive Clubs mit alten Werten. Sie folgen Gesetzen, die sie sich selbst gegeben haben.“

Frisch gegründete Damenverbindungen wie die Skadi zu Tharandt übernehmen teilweise die Regeln der Herrenverbindungen, andere werden „weiblich umgedeutet“, wie die Soziologin Anne Mielke erklärt. So fechten die meisten keine Mensur und trinken Wein oder Sekt statt Bier. „Das ist ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen der Nachahmung und der Eroberung männlich geprägter Räume und Rituale“, sagt sie. „Und das lässt sich auch gar nicht auflösen, solange man sich als Frau in der Verbindungswelt bewegt.“

Für die Damenverbindung Skadi zu Tharandt bedeutet Tradition vor allem eins: Jagdbrauchtum. Und das wird an der sächsischen Forstakademie reichlich gepflegt. Was die anderen Regeln betrifft, das sogenannte „Comment“, halten sie es wie die meisten Damenverbindungen. Die Kleiderordnung ist „schlicht und seriös“, zumindest solange man als Verbindung auftritt. Auch sie trinken nur Wein oder Sekt, und auch das nur in Maßen. „Es wäre extrem peinlich, wenn man die Contenance verliert“, sagt Lea. „Das ist einfach ein Teil von Weiblichkeit, dass man sich nicht betrinkt.“

Es sind Antworten wie diese, mit denen man dem Verständnis der Studentinnen von Weiblichkeit, der zweiten Farbe der Verbindung, etwas näher kommt. Versteckt zwischen Gesprächen über Sekt, Jagen und Zukunftspläne. „Wir sehen die Frau schon in der Familie und der Ehe“, sagt Corinna. „Aber jede Frau ist anders – natürlich kann sie auch Karriere machen und nicht heiraten.“ Försterin ist ein möglicher Beruf. Aber auch Naturschutz oder Holzeinkauf kommt für die Bachelor-Studentinnen infrage, die aus ganz unterschiedlichen Regionen und Verhältnissen kommen. Eine exklusive Damenverbindung: Das ist für sie weniger Netzwerk als vielmehr die Möglichkeit, einmal nur unter Frauen zu sein. „Ich kann ganz andere Themen ansprechen“, sagt Corinna auf die Frage, warum die Verbindung keine Männer aufnimmt. „Ich kann Gefühle zulassen“, sagt Lea.

„Es gibt häufig die Vorstellung, dass man nur unter Frauen auch authentisch Frau sein kann“, sagt die Soziologin Anne Mielke aus Göttingen. Das gelte umgekehrt genauso für Herrenverbindungen. Bei einigen Damenverbindungen könne man sogar von einem Schutzraum sprechen. „Korporation kann schon auch Empowerment bedeuten“, sagt die Doktorandin. Wenn auch nicht auf gesamtgesellschaftlicher, so doch zumindest auf individueller Ebene. Die Frauen solidarisierten sich – und sie distanzierten sich von der Rolle als Anhängsel der Herrenverbindungen. Mielke verwendet deshalb durchaus den Begriff Emanzipation. „Emanzipation im steifen Korsett“, nennt sie das. Ein Korsett, das bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückreicht.

Zu politischen Fragen wollen sich die Skadis nicht äußern. „Wir sind keine politische Verbindung“, sagt Mareike. „Wir haben keine gemeinsame Haltung zu diesen Fragen.“ Eine Person, die sich politisch engagiert, würden sie nicht aufnehmen, von einer Verbindung mit starker politischer Ausrichtung würden sie sich gegebenenfalls distanzieren.

Ein Uni-Reader attestiert der Skadi „emanzipatorisches Potenzial“

Gegen gelegentliche Treffen mit der Regina-Maria-Josepha-Verbindung aus Dresden spräche aber nichts, sagen die Tharandter Studentinnen später, als das Gespräch auf Kontakte zu anderen Verbindungen kommt. Gerade am Verhältnis zu dieser mit der Identitären Bewegung und völkischen Burschenschaften verbundenen Verbindung, schreibt der Ausgefuxt-Reader des Studierendenrates, werde sich die zukünftige Richtung der Skadi entscheiden. „Zumal es keine anderen lokalen Damenverbindungen gibt, die als Vorbilder dienen könnten.“

Die Skadis erwecken nicht den Eindruck, als bräuchten sie ein Vorbild. Sie wirken routiniert – so als hätten sie schon oft Antworten auf die gleichen Fragen finden müssen. Was reizt sie an der Verbindung? Warum reicht es nicht, einfach befreundet zu sein? „Es ist die aktive Entscheidung, einem Lebensbund beizutreten“, antwortet Lea ohne zu zögern. Sie meint damit die lebenslange Mitgliedschaft über die Studienzeit hinaus. Verbindung bedeute, dass jede für jede einstehe. Gerade zu Beginn des Studiums habe die Verbindung sie aufgefangen, sagt auch Corinna. Nicht umsonst symbolisiert die dritte Farbe auf dem Band der Skadis das Vertrauen.

Erste Farbe aber – und auf diese Reihenfolge bestehen die Verbindungsdamen – ist Grün. „Die Jagd steht für uns absolut im Vordergrund“, sagt Mareike. „Viele Leute verbinden Jagen nur mit Schießen – dabei ist es so viel mehr als das.“ Die Jagd ist auch das Gesprächsthema, bei dem die Forstwissenschafts-Studentinnen offener werden. Ihr Lächeln wird breiter, als sie erklären, wie sie sich im Wald über verschiedene Signale auf dem Jagdhorn verständigen. „Es gibt nichts Schöneres, als auf dem Hochsitz der Hirschbrunft zu lauschen“, sagt Corinna.

Der Wald, die Natur, der Hochsitz: Das scheint für die Studentinnen der wichtigste Schutzraum zu sein – vor politischen Fragen, Emanzipationsbezichtigungen und Verbindungskritik. Tharandt, das hinter den Scheiben des Cafés in der Sonne schlummert, die Burgruine, die Kirche – das alles wirkt tatsächlich zeitlos, als Lea sagt: „Wir sind einfach Frauen, die jagen wollen – ein Leben lang.“