Mütter im Leistungssport: Doppelte Rolle vorwärts
Laura Ludwig und Christina Schwanitz haben die Rückkehr in die Weltelite geschafft. Sie stehen für die Vereinbarkeit von Kind und Sportkarriere.
Eigentlich wäre Christina Schwanitz gerade auf Zypern. Doch das Trainingslager der Kugelstoßerin findet in diesen Corona-Zeiten nicht statt. Stattdessen kümmert sich die 34-Jährige zurzeit um ihre knapp dreijährigen Zwillinge. „Ich versuche, die Kinder ein bisschen in mein Training zu Hause einzubeziehen, beim Laufen und bei Stabilisationsübungen“, sagt Christina Schwanitz. Ab 17 Uhr übernimmt ihr Mann die Kinder, und sie kann im Sportforum Chemnitz viermal in der Woche trainieren.
Christina Schwanitz ist Weltmeisterin, Doppel-Europameisterin und mehrfache Deutsche Meisterin. 2017 wurden ihre Kinder geboren. Nach den ersten anstrengenden Monaten mit den Babys begann Christina Schwanitz wieder mit leichtem Training – ohne den Vorsatz, ihre Karriere fortzusetzen, sondern einfach um wieder in Form zu kommen. „Eines Tages habe ich dann die Kugel in die Hand genommen und gedacht: 'Schwani, gestehe es dir ein: Es ist noch nicht vorbei“, erzählt sie lachend in einem Chemnitzer Café – kurz vor den Kontaktsperren wegen des Coronavirus.
2019 dann hat sie WM-Bronze in Doha gewonnen. Jetzt will sie ihre erste olympische Medaille gewinnen. „Die Verschiebung der Spiele hat meine gesamte Lebensplanung über den Haufen geworfen“, sagt sie. „Ich hatte Tokio 2020 alles untergeordnet, mein Studium unterbrochen, die Familie hintangestellt.“ Und doch ist sie erleichtert, dass die Absage kam, da der Druck, sich unter erschwerten Trainingsbedingungen vorzubereiten, weg sei. „Ich werde die Olympischen Spiele im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder angehen.“
Kind und Karriere vereinbaren – das ist für Spitzensportlerinnen eine besondere Herausforderung. Doch es gibt viele Athletinnen, die kurz nach Schwangerschaft und Entbindung wieder zu Höchstleistungen fähig sind und denen es gelingt, Windeln zu wechseln und Medaillen zu holen: Langläuferin Marit Björgen etwa, die Leichtathletinnen Allyson Felix und Shelly-Ann Fraser-Pryce, die Biathletin Darja Domratschewa und die Tennisspielerin Serena Williams – sie alle haben nach der Geburt ihrer Kinder die Karriere erfolgreich fortgesetzt. Bevor Tennisturniere wegen Corona abgesagt wurden, konnte man ein weiteres erstaunliches Comeback beobachten: Die 36-jährige Belgierin Kim Clijsters war zurück auf dem Court. Sie ist dreifache Mutter, ihre Kinder sind zwölf, sechs und drei Jahre alt.
Laura Ludwig
Wie jede Frau, die nach der Geburt eines Kindes zurück in den Job möchte, müssen auch Athletinnen ihren Alltag neu organisieren. Einen Alltag, der auch längere Aufenthalte im Trainingslager und Reisen zu Wettkämpfen beinhaltet. Die Beachvolleyballerin Laura Ludwig und ihr Mann und Trainer Imornefe Bowes nehmen ihren knapp zweijährigen Sohn Teo manchmal mit, wenn sie länger unterwegs sind. „Es ist superschön, ihn dabeizuhaben. Meist begleitet uns dann meine Mama oder meine Schwiegermama, um auf ihn aufzupassen“, erzählt Laura Ludwig beim Treffen in der Beach-Halle Hamburg, die inzwischen aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen ist.
Karriereende keine Option
Gemeinsam mit Kira Walkenhorst wurde Laura Ludwig 2016 Olympiasiegerin. Für sie stand von vornherein fest, dass ein Baby nicht das Ende ihrer Laufbahn bedeuten sollte. „Ich wollte auf jeden Fall wieder zurückkommen, ich kann mir ein Leben ohne Beachvolleyball nicht vorstellen.“ Nach der Absage der Olympischen Spiele muss sie auf ihre Leidenschaft nun erst einmal verzichten. Die 34-Jährige war mit ihrer neuen Partnerin Margareta Kozuch auf einem guten Weg, die Qualifikation für Olympia zu schaffen.
„Die Absage hat mich schon ein bisschen erschlagen“, sagt sie. „Doch ich finde es erfrischend, dass ich jetzt die Zeit mit meiner Familie verbringen kann, ohne unter Zeitdruck von A nach B zu müssen.“ Fit hält sie sich mit Laufen, Krafttraining und Gymnastik – und mit Ballspielen mit Teo im Hof.
Wie alle Eltern können – oder müssen – auch Sportlerinnen und Sportler zurzeit mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Kitas und Schulen sind auf noch unbestimmte Zeit geschlossen. Doch auch sonst müssen Athletinnen und ihre Familien die Betreuung ihrer Kinder perfekt organisieren. Der Arbeitsalltag von Leistungssportlerinnen ist sehr zeitintensiv.
Christina Schwanitz erzählt, dass sie dieses Jahr zum ersten Mal den Geburtstag der Zwillinge miterleben wird – zwei Geburtstage hat sie bereits verpasst. „Gott sei Dank war ich zur Geburt da“, scherzt sie. Tennisspielerin Serena Williams berichtet auf ihrem Instagram-Account, wie schmerzlich es für sie war, die ersten Schritte ihrer Tochter verpasst zu haben.
Veränderte Identität
Spitzensportlerinnen mit Kindern müssen zwei extreme Anforderungen miteinander vereinbaren: Sie wollen für ihr Kind sorgen, stehen jedoch gleichzeitig unter dem Druck, Höchstleistungen erbringen zu müssen. „Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Athletin Mutter wird, ordnet sie alles ihren sportlichen Zielen unter“, sagt Marion Sulprizio, Psychologin an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Wenn das Kind da ist, muss sie ihre Identität verändern. Sie kann jetzt nicht einfach nur noch Sportlerin sein.“
Diese Zerrissenheit kennt Beachvolleyballerin Laura Ludwig nur zu gut. Es ist nicht nur der Stress, zwei außerordentlich herausfordernde Rollen organisatorisch zu verbinden, sondern auch eine mentale Belastung. „Es ist einfach eine 24/7-Lebensaufgabe, für den kleinen Wurm da zu sein. Und das hat mich am Anfang tierisch überfordert“, gibt sie zu und spricht von Schuldgefühlen gegenüber ihrem Kind. Mittlerweile gelingt es ihr gut, ihren Sohn zeitweise loszulassen, um sich auf das Sportliche zu konzentrieren.
Auch früher schon gab es Spitzensportmütter: die Tennisspielerin Margaret Court, die Weitspringerin Heike Drechsler oder die Kanutin Birgit Fischer. Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, ob Frauen heutzutage nach der Geburt eines Kindes häufiger den Weg zurück in den Leistungssport finden als früher, gebe es nicht, sagt Psychologin Marion Sulprizio.
Klar ist aber, dass Sportlerinnen genau wie Sportler häufig bis ins fortgeschrittenere Alter Höchstleistung erbringen können und eine Schwangerschaft für Frauen noch nicht unbedingt das Ende der Karriere bedeutet. Und noch etwas hat sich geändert: Hieß es früher, Frauen sollten sich in der Schwangerschaft schonen, wird heute sogar empfohlen, weiter Sport zu treiben – egal ob Leistungs- oder Freizeitsport.
Doch gerade bei Topathletinnen stellt sich häufig die Frage, in welcher Intensität sie ihren Sport weiterbetreiben können. „Schwangere sollten vor allem ruckartige Bewegungen und anstrengende Belastungen, sogenanntes anaerobes Training, vermeiden“, erklärt Sportpsychologin Sulprizio. Dennoch: Christina Schwanitz gewann im fünften Monat ihrer Schwangerschaft den Deutsche-Meister-Titel, Serena Williams im zweiten Monat die Australian Open. Während der Frühschwangerschaft kann sich die körperliche Leistungsfähigkeit wegen höherer Herzleistung und einer Zunahme des Blutvolumens um 30 Prozent steigern.
Ein kleiner Vorteil – gefolgt von einem großen Nachteil: Die schwangere Sportlerin muss früher oder später ihr Umfeld informieren. Und das kann – wie auch im normalen Berufsleben – zu unangemessenen Reaktionen führen. Trainer, Verbände und Sponsoren erwarten leistungsstarke Athletinnen. 2019 beschuldigten mehrere US-amerikanische Leichtathletinnen den Sportartikelhersteller Nike, Sportlerinnen im Fall einer Schwangerschaft die Verträge zu kappen. Die Sprinterin Allyson Felix ging an die Öffentlichkeit. Nike bot der 34-Jährigen, die sechs olympische Goldmedaillen gewonnen hatte, nach Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft einen schlechter dotierten Vertrag. Nach Protest der US-Sportlerinnen kündigte Nike an, schwangere Athletinnen künftig nicht mehr zu diskriminieren.
Mütter im Sport erfahren zunehmend Akzeptanz. Sie machen deutlich, dass auch, wenn man Kinder hat, Topergebnisse möglich sind. Für Laura Ludwig war die US-Beachvolleyballerin Kerry Walsh inspirierend, die als dreifache Mutter 2016 Olympia-Bronze gewann. „Ich weiß nicht, ob ich mir das überhaupt zugetraut hätte, wenn es vorher noch keine Mamis auf der Tour gegeben hätte.“ Laura Ludwig und Christina Schwanitz sind nun selbst zu Vorbildern geworden – für Sportlerinnen, aber auch für alle Frauen außerhalb des Sports, die sich vielleicht fragen, ob es möglich ist, Kind und Karriere miteinander zu vereinbaren.
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