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Eurobonds-Debatte in CoronakriseBestehende Institutionen nutzen

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Es braucht höhere Garantien der finanziell starken Länder für die schwächeren. Das Instrument, das man dazu nutzt, ist derzeit zweitrangig.

Leere in Mailand, Ende März Foto: Francesco Bozzo/Fotogramma/ABACAPRESS/picture alliance

E s gibt keinen zwingenden Grund, jetzt Eurobonds, Coronabonds, European Renaissance Bonds oder wie auch immer wir das nennen, einzuführen. Die ökonomisch schwachen Länder brauchen finanzielle Solidarität von den starken – ja, zwingend. Aber wie gerade aus technischen Detailfragen eine Frage des Überlebens der EU gebastelt wird, das schadet Europa enorm.

Um eins klarzustellen: Die EU braucht eigene Steuern und eigene Schuldeninstrumente, die eine soziale Sicherung für alle finanzieren, kontrolliert vom EU-Parlament. Ein Wagnis, ein massiver Eingriff in nationale Souveränität, aber nur so wird es langfristig was, sonst bleibt Europa ein Geisterhaus. Aber es sollte ein Tabu sein, für dieses Ideal die derzeitige Krise auszunutzen.

Frankreich und die EU-Grünen etwa schlagen Derartiges temporär vor, eine Art EU-Soli und gemeinsame Kredite, von allen Staaten abgesichert, um den Wiederaufbau nach Corona zu ermöglichen. Eine vierte Säule soll das sein, zeitlich befristet – neben den Krisenprogrammen der Europäischen Zentralbank (EZB), der Europäischen Investitionsbank (EIB) und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Die Bundesregierung ist strikt dagegen, was wenig verwundert: Die vierte Säule könnte schnell zur Dauereinrichtung werden. Emmanuel Macron und auch die Grünen wollen die Krise nutzen, um ihre – richtigen – Vorstellungen von Europa durchzusetzen. Kann man machen, sollte man aber auch so sagen. Und nicht so tun, als ginge Europa zugrunde, wenn am Ende, wie von Berlin gefordert, ESM oder EIB die Coronakrise finanzieren.

Der ESM würde in der Krise so funktionieren: Er nimmt zinsgünstige Schulden auf, für die alle Euroländer gemäß ihrer Wirtschaftskraft haften. Das Geld gibt er ebenso günstig an einzelne Mitgliedsstaaten weiter, die sonst höhere Zinsen zahlen müssten. Das ist im Kern auch die Idee gemeinsamer Bonds, egal mit welcher Vorsilbe versehen.

Im Detail gibt es Unterschiede. Der wichtigste ist, dass bei ESM-Krediten die Schuldenquote jener Länder steigen würde, die sie erhalten. Bonds könnte man so gestalten, dass sich die EU als Institution verschuldet und die einzelnen Staaten für diese Schulden haften – was am Gesamtschuldenstand einzelner Länder nichts ändert. Alles klar? Eben. Gefrickel.

Der ESM ist nicht igitt

Zumal, und das übersehen viele, hinter allen Instrumenten die Europäische Zentralbank als Absicherung steht. Sie kauft Staatsschulden einzelner Euroländer von den Anleihemärkten, um die Zinsen niedrig zu halten. Genauso würde die EZB Schuldentitel der EU-Kommission, des ESM oder eines neu geschaffenen Instruments aufkaufen, um dort die Zinsen bezahlbar zu machen. Und wenn die Schuldentitel irgendwann fällig werden? Dann ersetzt sie die EZB einfach durch neue.

Es braucht deutlich höhere Garantien der finanziell starken Länder für die schwächeren, egal wie. Das ist ein Imperativ politischer Solidarität und langfristiger ökonomischer Stabilität. Das Instrument, das man dazu nutzt, ist zumindest derzeit zweitrangig. Ausgemacht sind diese höheren Garantien, allen voran aus Deutschland, aber noch nicht. Der Rest Europas könnte es Berlin leichter machen und bestehende Institutionen nutzen. Statt so zu tun, als seien vom ESM bereitgestellte Milliarden irgendwie igitt.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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6 Kommentare

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  • Die Sache mit dem Gesamtschuldenstand bei den Eurobonds ist nicht nur "Gefrickel" sondern im Ergebnis wahrschinlich eher undurchführbar. Da die EU keine eigenene Einnahmen hat (bzw. der Haushalt nicht ausreicht), müssen die Mitglieder am Ende der Laufzeit die Schulden tilgen. Hierfür ist ein Schuldentilgungsschlüssel erforderlich. Und genau nach diesen Anteilen steigt die Verschuldung der jeweiligen Länder.

    Verzichtet man auf einen festgelegten Rückzahlungsschlüssel, steigen die Schulden aller Länder um die Gesamtsumme der Bonds, da am Ende jedes Land für den Gesamtbetrag haftet. Das wäre ein Eigentor.

  • Endlich ein richtiger und wichtiger Kommentar. Die Einführung eines Eurobonds (wie auch immer man ihn nennen möchte) wird es wegen des Einstimmigkeitserfordernisses eh niemals geben.

    Bedauerlicherweise wollen Italien & Co. jedoch genau diese Bonds schon seit Jahren, weil sie unabhängig von jeder Krise das Finanzgefüge der EU vollkommen in das Gegenteil verwandeln würden.

    Auch eine schuldenbasierte vierte Säule brauchen wir nicht, da auch insoweit die gleichen Hindernisse gelten.

    Der geplante steuerfinanzierte Fonds könnte ohne weiteres eingeführt werden. Hier bietet sich ein Soli auf die Umsatzsteuer an, da die Umsatzsteuer bereits EU-weit harmonsiert ist.

  • Vielleicht sollte man erst mal überlegen, WARUM es arme Länder gibt.WEGEN ESM...

  • Die EZB sollte zumindest in dieser Situation direkte Instrumente nutzen können.

    Direktes Geld für die Menschen, direktes Wirtschsftsprogramm durch die Finanzierung der grünen Transformation.

    Es ist doch irre, in dieser Situation nicht die eigene Bank zu nutzen und den Umweg über den Finanzmarkt zu gehen.

  • ESM bereitgestellte Milliarden sind nicht irgendwie igitt, haben aber ihre Geschichte in Aufarbeitung der Weltfinanzkrise 2008, systemrelevante Banken, Versicherungen in Nöten, Schieflage durch Krisen unter den ESM Rettungsschirm stellen zu können. Von den damaligen 760 Milliarden sind 2020 gerade noch 410 Milliarden € übrig. Ist es da zu verantworten, diese ESM Mittel nun in CORONA Viren Pandemie für die Finanzierung von Staaten einzusetzen, so als ob Banken, Versicherungen von dieser Corona Krise nicht betroffen seien?, wenn nicht, werden systemrelevanten Banken, Versicherungen im Krisenfall diese Mittel fehlen.

    Davon abgesehen, bedeutet das Unterschlüpfen unter den ESM Rettungsschirm für beantragende Staaten an den internationalen Finanzmärkten als Investitionsstandort herabgestuft zu werden, für private, staatliche Investoren wie Pensions-, Staatsfonds von nachrangigem Interesse zu sein, während Standorte wie Deutschland, Belgien, Luxemburg, Niederlande ungebremst unkontrollierten Kapitalzufluss mit der Folge erleben, das unter anderem Immobilien- , Boden-, Gewerbe-, Haus-, Eigentumwohnungs- Preise, Mieten exorbitant Richtung Blasenbildung steigen. Um alle Eurozonen Länder gleichermaßen für Investoren attraktiv zu machen, geht kein Weg an Eurobonds vorbei.

  • Richtig: der einzige Unterscheid zwischen ESM und Eurobonds ist:



    Für ESM Schulden haften alle Staaten "gemäß ihrer (klar definierten) Wirtschaftskraft",



    für Eurobonds haften auch die einzelnen Staaten, "was am Gesamtschuldenstand einzelner Länder nichts ändert".



    Eurobonds sind also ein Verschleierungsinstrument für Schulden.



    In der Privatwirtschaft nennt man das Bilanzfälschung bzw. Insolvenzverschleppung.