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Angebote norddeutscher TheaterEinrichten in der Krise

Erst gab es nur Social-Media-Formate, mittlerweile werden ganze Stücke online gezeigt oder virtuelle Führungen durch die Häuser angeboten.

Das Publikum sitzt zu Hause: Szene aus der Online-Premiere von „Maria Stuart“ am Thalia-Theater Foto: Martin Prinoth

Bremen taz | Was vor vier Wochen noch vernünftig schien, war vor drei Wochen leichtsinnig und gilt seit zwei Wochen als rücksichtslos. Die Krisenpolitik hat den Alltag quarantänisiert und alle in Ko-Präsenz mit Publikum geplanten Kulturveranstaltungen verboten. Also sitzen auch die Theatermenschen daheim, aber trotz Social Distancing kreativ zu sein, das ist bei vielen ein Impuls gegen den Stress der Verunsicherung. Und gerade die fest angestellten, also finanziell auch während des Shutdowns abgesicherten, darstellenden Künstler werden von ihren Arbeitgebern hofiert, irgendwie weiter zu singen, zu tanzen, zu spielen. Und so sprudeln die Facebook-, Instagram- und Web-Seiten der Theater über mit Coronanachrichten.

Zuerst waren es Bekundungen, wie sehr das Publikum fehlt, wie sehr sich auch die Kollegen untereinander vermissen und daran leiden, dass so viele Produktionen unerlöst in Probewoche X alleingelassen wurden. Es folgte Phase zwei: Kaum ein Theater, das nicht online Gedichte aufsagen, Bücher vorlesen, Hausmusik zelebrieren, Kochrezepte ausprobieren, Kuchen backen, Fitnessanleitungen und Make-up-Tutorials sowie Miteinander-Geplauder als Podcast veröffentlichen lässt. Inhaltlich und ästhetisch schnell ausgereizt sind die Social-Media-Formate, geweckt wird so die Sehnsucht nach Ideen, Theater für Bildschirme, Displays, Monitore noch mal neu zu erfinden.

Bis es in der Isolation zur Inspiration kommt, ist aber erst mal Phase drei zu goutieren: abgefilmtes Theater. Haupt- und Generalproben aktueller Repertoire-Produktionen und historische Aufführungsmitschnitte sind derzeit reichlich online zu sehen. Geladen wird zum abendlichen Theaterzapping. Niemals zuvor war es wohl möglich, so viele Inszenierungen auf einmal kostenlos zu schauen.

Die international bestens vernetzte Schaubühne Berlin hat abends manchmal über 20.000 Zuschauer bei ihren Streamings, in Hannover sind es noch über 2.000, bei kleineren Theatern auch mal nur 200. Zumeist also deutlich mehr, als es überhaupt Plätze im Theater gegeben hätte. Die Nachfrage für das Angebot scheint also vorhanden. Nur: Viele Video-on-Demand-Angebote sind eigentlich nur Dokumente zum Archivieren der flüchtigen Kunstform, auch praktische Erinnerungsstützen für die beteiligten Künstler und Sichtungsmaterialien, wenn jemand für einen erkrankten Darsteller einspringen muss.

Ankleider, Schneider, Mitarbeiter der Kostümdirektion nähen Tröpfchenschutzmasken

Daher sind die Videos meist nicht professionell ausgeleuchtet und filmisch inszeniert. Manchmal eben nur mit zwei Kameras gefilmt, eine für die statische Totale, eine für die Nachaufnahmen. Selbst bei den prominent auf dem Portal nachtkritik.de gezeigten Aufführungen laufen auch mal Mitarbeiter durchs Bild, ist der Ton teilweise bis zur Unverständlichkeit schlecht und es versacken Bilder im Dunkel, weil die Bühnenlichtstimmungen im Video nicht funktionieren.

Die Theater sind derweil Geisterhäuser. Zumeist wurde Kurzarbeit beantragt, einige zahlen auch den freiberuflichen Gästen die Gagen für die ausgefallenen Vorstellungen. Die meisten Mitarbeiter hocken im Home-Office und basteln an der neuen Spielzeit, organisieren Spendenaufrufe, wickeln die Erstattung der Tickets all der abgesagten Theaterabende ab.

Nur in der Kostümabteilung brennt ab und an noch Licht. Ankleider, Schneider, Mitarbeiter der Kostümdirektion und aus dem Schuhfundus fast aller norddeutscher Bühnen gehen es an und nähen Tröpfchenschutzmasken – an ihrem Arbeitsplatz oder in Heimarbeit. Das Theater Bremen steigt geradezu in die industrielle Produktion ein. 9.000 Masken sollen hergestellt werden, teilt das Haus mit.

Und die Kunst? Theater im Netz? Noch gibt es kein Konzept, wie Darsteller im Home-Office vor der Webcam miteinander proben und ein Regisseur parallel die Improvisationen kommentieren und in den Zusammenhang einer Inszenierungsidee stellen kann. Aber danach wird gesucht. Während gleichzeitig auch die Skepsis wächst am medialen Overload der Theater. Denn es gilt ja als ästhetischer und sozialer Gegenentwurf zu einsam verbrachter Bildschirmzeit. Sein Medium ist die reale Bühne, der Live-Moment zwischen Menschen, die gewünschte Begegnung without any distance.

Sympathisch ratlos hat im Norden das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg erst mal abgewartet und meldet sich nun ganz vorsichtig zu Wort. Die sonst kaum an die Öffentlichkeit tretende Intendantin Karin Beier lädt ihre Schauspieler zu Gespräch und Lesung ins Maskenstudio. Anzumerken ist diesen „SchauSpielHausBesuch“-Videos die Unsicherheit. So ungewohnt scheint die Situation, dass Charly Hübner sogar vergessen hat, ein Buch zum Vorlesen mitzubringen.

Lockerer kommt das Team in den „Corona Diaries“ herüber, wild zusammengeschnittene Selbstinszenierungen aus den Home-Offices. So machen es fast alle norddeutschen Bühnen. Die in Schwerin haben besonders schöne Grüße des Ensembles im Angebot. Das Theater Osnabrück stellt einen 360-Grad-Rundgang durchs Theater ins Netz, verabschiedet dort auch „Die Familie Schroffenstein“. Die letzte Vorstellung der Produktion musste entfallen, daher inszenierte das Ensemble eine Video-Dernière – als wilde Bilderparty einer wilden Kleist-Sause.

Übermalte Bilder

Nicht ausfallen darf in diesen Tagen auch eine Ode an die Freiheit. Regisseur Antú Romero Nunes und sein Team haben vor der Schließung des Hamburger Thalia Theaters ihre Proben mit Kamerabegleitung fortgesetzt. „Maria Stuart“ kam als „Probe am Thalia Theater Hamburg in unvollständiger Ausstattung“ zur Online-Premiere, in kindernaiv übermalten Bildern folgte „Wilhelm Tell“, letztlich nur ausgereifte szenische Skizzen zweier Schauspielerduette, die nicht vermitteln, wie sie bei einer mal möglichen Bühnenpremiere mit dem noch nicht final geprobten Teil 3 zusammen funktionieren könnten.

Auch in den Hamburger Kammerspielen wurde das 2014 uraufgeführte Stück „Die Dinge meiner Eltern“ von und mit Gilla Cremer aufgenommen – steht jetzt online. Kampnagel ermöglicht, online an Proben des Stücks „Kontrol“ von Patricia Carolin Mai teilzuhaben – bisher eher langweilig.

Herausragend aktiv auf den Online-Spielweisen ist das Schauspiel Hannover. Zu den Streamings aktueller Aufführungen, Lesungen, Hörspielen, Pod­casts und der Video-Reihe über das abendlich ausgefallene Programm „#wieesgewesenwäre“ sollen sich nun auch noch interaktive Formate gesellen wie Online-Soaps, Workshops, Speeddatings, Theater-Yoga sowie Interviews, Essays und kleine Reportagen.

Schauen wir mal. Und hoffen auf Phase vier, die eine oder andere innovative digitale Produktion des Home-Office-Theaters, bevor die Bühnenkunst wieder analog seine Fans bedienen darf. Das wird ein Fest!

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