Digitale Dribblings im Wohnzimmer: Begrenzte Alternative
Der E-Sport scheint von der Corona-Pandemie zu profitieren. Einen wirklichen Andrang wird es aber bald an anderer Stelle geben.
W arum nicht mal eine Europameisterschaft vorverlegen? Der E-Sport demonstriert seine Stärke. Corona? Na und! Während es in der realen Welt des Sports ein Hauen und Stechen gibt, wo man verschobene Weltmeisterschaften, Kontinentalwettbewerbe und Olympische Spiele im Sportkalender 2021 noch reinquetschen kann, zieht die Uefa die eEuro-2020, ihr virtuelles Fußballturnier, einfach um sechs Wochen vor.
Ursprünglich sollte das Event mit der Spielsimulation „PES2020“ an die „echte“ Fußball-EM 2020 angekoppelt werden. In den zwei Tagen vor dem Finale hätten sich die E-Sportler aus zehn Nationen vor Publikum und ihren Rechnern in London am 10./11. Juli gemessen. Weil aber bekanntlich die EM um ein Jahr verlegt wurde, werden die digitalen Fußballdribblings schon am 23./24. Mai ohne Publikum vor Ort zu sehen sein.
Für den E-Sport heißt jetzt die Devise: Je früher desto besser. Wegen der Komplettabsagen ruht der Sport noch nahezu überall. Und Zuschauer können sich schließlich auch online zuschalten. Mehr denn je, wie die verschiedenen Anbieter vermelden. PES-Konkurrent „Fifa 2020“ berichtet von 50 Prozent Steigerungsraten. Als sich kürzlich wegen des abgesagten Derbys zwischen Real und Betis Sevilla mit Sergio Reguilon und Borja Iglesias zwei Profis zu einem Duell an der Konsole verabredeten, sahen über 60.000 Zuschauer im Internet zu. An diesem Wochenende wird der deutsche TV-Sender Sport1 gleich 22 Stunden E-Sport auf seinen Plattformen übertragen.
Vieles scheint auf eine sich stark verändernde Sportkultur hinzudeuten. In Polen erfährt der E-Sport gar gerade von staatlicher Seite massive Unterstützung. Das Ministerium für digitale Angelegenheiten hat mit der weltweit führenden Plattform für E-Sport, ESL, eine Website gelaunched, auf der sich Schüler etwa für Fifa-20-Turniere anmelden können.
Alternativlosigkeit der Nutzer
Doch der Hype um den E-Sport sollte nicht überbewertet werden. Er lebt vornehmlich von der Alternativlosigkeit seiner Nutzer. Die über digitale Kanäle geschaffene soziale Nähe hat vermutlich eine nicht sehr weit reichende Mindesthaltbarkeit. Die hiesige Sportkultur werden auch ein paar Monate Quarantäne nicht durcheinanderwirbeln.
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Bereits vor der Coronaepidemie präsentierte die E-Sport-Szene Jahr für Jahr Wachstumsraten. Und sie wird im digitalen Zeitalter weiter an Bedeutung gewinnen. Es ist aber anzunehmen, dass ihr derzeitiger Bedeutungszuwachs mit fast ebenso großen Rückschlägen verbunden sein wird, wenn die Menschen aus ihrer Isolation entlassen werden.
Vielmehr können sich die Sportvereine schon jetzt auf einen großen Andrang einstellen, wenn sich die Kinder endlich wieder auf den Sportplätzen bewegen dürfen. Die Yogastudios werden nicht wenige Anfragen von den vielen Homeoffice-Turnern haben, die mal unter Anleitung üben wollen. Und die Zahl der Jogger, die sich in den letzten Wochen mit dem Gedanken angefreundet haben, so bald als möglich an einem Marathonwettbewerb teilzunehmen, ist sicherlich ebenfalls immens gewachsen. Die soziale Nähe über digitale Kanäle dagegen wird wahrscheinlich eine Zeit lang weniger gefragt sein. Sollte es so weit kommen, kann man dann ein paar der elektronischen Events immer noch nach hinten verlegen.
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