Hanau-Anschlag und Coronavirus: Was trennt, verbindet
Ein Monat ist seit Hanau vergangen. Und Deutschland befindet sich schon mitten in der nächsten Krise. Was wäre, würde man Krisen zusammendenken?
Oder ist seit Hanau erst ein Monat vergangen? Denn anderen mag dieser Monat vorkommen wie ein ganzes Jahr. Wir befinden uns schließlich schon in der nächsten Krise.
Oder besser gesagt: Wir hangeln uns von einer Krise zur nächsten. Hanau, so wie auch der NSU, ist Manifestation einer Dauerkrise in Deutschland, der rassistischen Krise. Corona wiederum ist eine medizinische Krise, die sich zu einer Wirtschaftskrise wie 2008 ff. entfalten könnte. Dann gibt es ja noch die Migrationskrise – auch wenn es vielen jetzt schwer fällt, die Verhältnisse auf den griechischen Inseln im Blick zu behalten.
Die Krisen folgen nicht nur aufeinander, sie überlappen sich. Es geht immer um Leben und Tod. Um Angst und Unsicherheit. In Krisenzeiten vergleichen Menschen ihr Leid gern mit dem von anderen. Wer ist ärmer dran, wessen Klage ist legitim? Meine Oma? Der Freelancer? Unternehmen? Deutsche Urlauber in Übersee? So überflüssig ein solches Opferranking meistens ist, so gewinnbringend kann es sein, die Krisen in ihrem Charakter miteinander zu vergleichen. Auch im Sinne derer, die da ihr Leid artikulieren.
Jede neue Krise verstärkt Ungleichheiten, die in Gesellschaften schon vorher bestehen. Ihre Kosten werden ungleich verteilt: Siehe Euro-Krise in Griechenland und woanders, siehe die Opfer des Rassismus, siehe die Unbedarftheit mancher junger Menschen gegenüber Älteren und anderen Risikogruppen in der Pandemie.
Wir leben im Krisenmodus
Krisenmomente sind also Momente der Trennung, sie trennen Menschen voneinander, die sich vorher möglicherweise verbunden oder zumindest verbundener gefühlt haben. Die Euro-Krise trennte die europäische Jugend in jene, denen es gut ging, und jene, die verarmten. Hanau trennte in jene, die mittelbar berührt, und jene, die unmittelbar betroffen waren. Rufe nach Solidarität und Zusammenhalt werden stets verhallen, wenn sich die Rufenden nicht zugleich auch dieses trennenden Moments bewusst sind.
Wenn sie sich dessen aber bewusst werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich gut gemeinte Parolen und reale Taten decken. So wie während der Euro-Krise, als Menschen in Deutschland, dem Deutschland, das die Europäische Union und auch dessen Krisenmanagement dominierte, das Finanzzentrum in Frankfurt am Main blockierten. Weil sie verstanden, was sie von Gleichaltrigen in Athen und Madrid trennt. Dass zwischen ihnen eine Ungleichheit liegt, die ungerecht ist und die überwunden werden muss.
In der Corona-Krise sind es Menschen, die sich in allen Berliner Bezirken über Chatgruppen organisieren, um Einkäufe für Menschen aus den Risikogruppen zu erledigen. Oder Menschen, die kritisieren, dass die EU-Staaten nach und nach die Grenzen dichtmachen, statt das Krisenmanagement solidarisch zu organisieren.
Und nach Hanau sind es vielleicht die Tränen und die Wut einer Person, deren Eltern nicht nach Deutschland migriert sind, die aber weint und wütend ist, weil ein anderer Mensch sagt, dass es auch ihn hätte treffen können.
Wir leben im Krisenmodus. Krisen trennen uns voneinander, jede Krise verlangt für sich die maximale Aufmerksamkeit. Die eine Krise ist so wirkmächtig, weil sie uns die andere vergessen macht. Lieber sollten wir mitten in der Corona-Krise an Hanau und andere Krisen zurückdenken. Und uns fragen, was die Ereignisse miteinander verbindet.
Begriffe wie Solidarität und Zusammenhalt können wir dann mit vergangenen Erfahrungen füllen. Sich geschichtsvergessen von der einen zur anderen Krise zu hangeln, macht uns ohnmächtig.
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