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Die WahrheitVerdünntes Nichts

Wenn die Gespenster der Kinderkrankheiten auftauchen, verordnet manch resolute Ärztin homöopathische Mittel. Was würde Ibsen dazu sagen?

I ch glaube nicht an Homöopathie. Als unser Kind ganz klein war, hat uns die Ärztin manchmal homöopathische Salben mitgegeben. Ich hab brav Danke gesagt und das Zeug in die Kiste mit dem anderen sinnlosen Zeug geschmissen, das man als junge Mutter von wohlmeinenden Menschen übergeholfen bekommt und niemals benutzt.

Trotzdem finde ich unsere Kinderärztin super. Sie interessiert sich nämlich nicht für die Befindlichkeiten der Eltern. „Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie die Hebamme an“, hat sie damals gesagt. Ich war erleichtert. Ich vertraue der Medizin. Wenn die Medizinerin sich keine Sorgen macht, mach ich mir auch keine. Und wenn sie mir Homöopathie verschreibt, bedeutet das: Is nüscht Schlimmet, geht von selber weg. Könnte sie mir auch einfach sagen.

„Sag ihr, dass du nicht an Homöopathie glaubst“, meinte meine Freundin Frieda, die selbst Kinderärztin ist, „dann hört sie damit auf.“ Ich habe ein bisschen Angst vor unserer Ärztin, aber ich hab mich dann doch getraut. Homöopathie ist ja keine Wissenschaft, es ist eine Theorie, die sich als falsch erwiesen hat. Sie wurde jedoch zu einer Zeit entwickelt, als Aderlass noch eine gängige Heilmethode war. Damals stellte der Arzt Christian Friedrich Samuel Hahnemann fest, dass weniger Patienten krepieren, wenn man ihnen verdünntes Nichts verabreicht, statt ihnen die Pulsadern aufzuschlitzen.

Vor hundert Jahren glaubte man auch, Syphilis sei eine Erbkrankheit, die vom Vater an den Sohn weitergegeben werde. Darauf beruht ein zentrales Handlungselement in Ibsens Familiendrama „Gespenster“. Als ich als Kind mit meiner Mutter im Theater saß, hab ich mich gewundert, warum sie das Stück dann nicht ändern. „Weil jeder weiß, dass es nur ein Theaterstück ist“, hat meine Mutter erklärt. Genau das ist der Unterschied zwischen Ibsen und der Homöopathie. Die Homöopathie ist eine Geschichte in Pillenform, die nicht als Fiktion gekennzeichnet ist.

„Wenn’s hilft“, könnte man sagen. Aber es hilft eben nicht. Menschliche Nähe hilft, zur Ruhe kommen hilft. Aber da muss ich nicht teure Milchzuckerkugeln in Fläschchen kaufen. Ich verstehe, dass viele Menschen sich hilflos fühlen, gerade jetzt in Zeiten des neuen Virus.

Letzten Montag war ich mit dem Kind bei der Ärztin. Das Wartezimmer ist voll, alle Eltern husten brav in die Armbeugen, da taucht ein Typ auf und verlangt, man solle ihm sofort die Krankenakte seiner Tochter kopieren. „Das ist mein gutes Recht“, krakeelt er, „sie können mich nicht daran hindern.“

„Niemand will sie hindern“, sagt die Ärztin. „Aber es hat jetzt keiner Zeit. Kommen Sie am Ende der Sprechstunde wieder. Dann kriegen Sie ihre Akte.“ Der Typ wollte nicht gehen, und die Ärztin hat am Ende die Polizei gerufen. Ich mag die Ärztin. Dabei habe ich Verständnis für jede Art von Sorge. Aber wenn besorgte Bürger zu Arschlöchern werden, weil sie ihre Angst mit reeller Gefahr verwechseln, hört der Spaß echt auf.

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Lea Streisand
Autorin
Schriftstellerin + NEU Herausgeberin von "Sind Antisemitisten anwesend? - Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass" (Satyr Verlag 2024) => BUCHPREMIERE am 30.9.24 im Pfefferberg Theater Berlin. Kolumnen montags bei Radio Eins.
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3 Kommentare

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  • "Is nüscht Schlimmet, geht von selber weg"



    Da haben Sie bisher offenbar viel Glück gehabt mit Ihrem Kind, und das wünsche ich Ihnen selbstverständlich auch für die Zukunft. Aber es gibt eben auch völlig verzweifelte Eltern, deren Kinder wochenlang nicht schlafen, und die freuen sich echt, wenn das kind "plötzlich" nach einem Mittel sich und den Eltern Schlaf gönnt...Ist aber auch gut, wenn für diese Leidtragenden mehr Zeit für heilsame Therapie bleibt, insofern taten Sie gut daran, Ihre Ablehnung ehrlich zu sagen. Ob Sie daran glauben oder nicht, ist bei der Wirkung übrigens total wurscht, wenn das Mittel stimmt, wirkt es sofort, völlig unabhängig vom Zuwendungs-Faktor oder placebo by proxy oder ähnlichem...



    Und zur Syphilis/Ibsen und ähnlichen Keulenargumenten: Die Syphilis ist natürlich nicht erblich übertragbar, aber für JEDE Erkrankung gibt es einen Anteil an individueller Disposition (Genetik/Epigenetik/Genexpression), wie Sie auch aktuell bei COVID 19 beobachten können, und in sofern lagen Hahnemann und Ibsen nicht vollständig danaben. Vielleicht die "Theaterstücke" von COVID 19 und Ibsen nochmal unter dem Aspekt betrachten statt schon wieder mit der Materie-Leier von "nichts drin" zu kommen.Die zeigt nämlich nur das beschränkte Wissenschaftsverständnis, welches non-materielle Wirkmechanismen wie eine Neglect ausblendet!

  • Zitat: „Aber wenn besorgte Bürger zu Arschlöchern werden, weil sie ihre Angst mit reeller Gefahr verwechseln, hört der Spaß echt auf.“

    Ach ja? Und was wollen Sie dagegen tun? Die Polizei rufen?

    Ich glaube kaum, dass die Polizei z.B. Leute wie Söder aus dem Verkehr ziehen wird, nur weil sie behaupten, partielle „Grenzschließungen“ und auf „Risikogruppen“ beschränkte Tests würden helfen gegen mutierende, die Artgrenzen überspringende Viren. Da wird schon eher die Homöopathie verboten. Wetten, dass...?

    Ich meine: Wenn‘s (den Regierenden) hilft...

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Die letzten Rettungsanker für "Einschreib"quoten werden geworfen.



    Das Wort Globuli hat bisher zumindest rege Foristentätigkeiten ausgelöst. Jetzt bin ich mal gespannt ob es durch Corona untergebuttert wird.



    Gestern habe ich gehört das sich bei den Amis lange Schlangen vor den Waffenläden bilden. Die Menschen decken sich mit Knarren und Munition ein.(Klopapier scheint zu reichen)



    Insofern ist das forsche fordern einer Krankenakte der Tochter noch als Bagatelle zu sehen.



    Mein Gefühl(was immer das ist) sagt mir, es kommt noch"besser".