Abschiebungshaft in Niedersachsen: Im Zweifel gegen den Jugendlichen
In Niedersachsen sitzt ein Geflüchteter seit 14 Tagen in Haft sitzt. Der Flüchtlingsrat hält ihn für minderjährig, die Behörden für erwachsen.
Schon an dieser Stelle hätte die Polizei sofort das Jugendamt hinzuziehen und einen Vormund bestimmen müssen, kritisiert Johanna Lal vom Flüchtlingsrat Niedersachsen – vor allem hätte man den Jungen gar nicht erst in Abschiebungshaft nehmen dürfen, denn das sei bei Minderjährigen nur in Ausnahmefällen erlaubt.
Das sieht das Justizministerium anders: Der Gefangene habe bei früheren Gelegenheiten in anderen Ländern andere Geburtsdaten und andere Identitäten genannt – und denen zufolge sei er schon volljährig, sagt Ministeriumssprecher Christian Lauenstein. Auch der Bundespolizei gegenüber habe er als Geburtsjahr 2001 angegeben.
Lal berichtet hingegen, dass sich der junge Mann nach eigener Aussage nur einmal älter gemacht habe, als er sei: Bei der Registrierung in Kroatien, weil er Angst gehabt habe, dass man ihn sonst nicht weiterreisen ließe. Später, sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland, habe er immer 2003 als Geburtsjahr angegeben.
Ganz sicher sind sich die Behörden nicht
So ganz sicher, welches Alter nun stimmt, sind sich Amtsgericht und Behörden aber nicht: Untergebracht wurde der junge Mann „vorsorglich“, wie Lauenstein sagt, in einem gesonderten Trakt, getrennt von den erwachsenen Gefangenen. Außerdem wurde eine Inaugenscheinnahme durch das Jugendamt Langenhagen veranlasst – ohne Ergebnis. „Es ist nicht geklärt, ob der junge Mann minderjährig ist“, heißt es von der Pressestelle des Jugendamtes.
Zur medizinischen Altersbestimmung werden verschiedene Methoden herangezogen.
Üblich sind eine körperliche Untersuchung mit Erfassung der Maße und der sexuellen Reifezeichen, Röntgenuntersuchungen der linken Hand und der Schlüsselbeine, sowie zahnärztliche Untersuchungen. Noch erprobt werden Untersuchungen von DNA-Markern.
Alle Untersuchungen bieten nur Näherungswerte an das tatsächliche Alter. Das liegt vor allem daran, dass zu viele Faktoren den Alterungsprozess beeinflussen.
Dazu gehören individuelle, genetische Faktoren, Krankheiten und Medikamente, aber auch Umwelteinflüsse wie Mangelernährung oder unzureichende medizinische Versorgung.
Die Isolation von den restlichen Gefangenen sei für den psychisch angeschlagenen Jugendlichen fatal, kritisiert Lal, die ihn zweimal getroffen hat. Und weil sich sein Zustand verschlechterte und die herbeigerufene Psychologin eine Gefahr der Selbstverletzung diagnostizierte, habe man ihn dann auch noch in die Hauptanstalt verlegt – also in Strafhaft. Es ist jedoch verboten, Abschiebungsgefangene und Straftäter gemeinsam unterzubringen.
Laut dem Justizministerium wurde der junge Mann zunächst in einen kameraüberwachten Haftraum, den er demolierte, dann in einen besonders gesicherten Haftraum ohne Möbel, an denen man sich verletzen kann, gebracht. Nach einer Nacht und einer erneuten Untersuchung wurde er zurück nach Langenhagen gebracht.
Am Dienstag dieser Woche brachte man ihn dann zur Feststellung des Alters an das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Ergebnis: Der Gefangene sei mit „sehr großer Wahrscheinlichkeit über 18 Jahre alt“, sagt Lauenstein.
Kritik am Amtsgericht
An dieser Einstufung und dem ganzen Verfahren übt der Flüchtlingsrat dennoch weiterhin scharfe Kritik und versucht, mit seinem Anwalt juristisch dagegen vorzugehen. Die medizinische Alterseinstufung ist umstritten, weil sie immer nur Näherungswerte liefert: Es lässt sich nicht mit letzter Gewissheit bestimmen, ob jemand 17 oder 19 Jahre alt ist – für die Betroffenen hängt davon aber viel ab. Nur wenige Kliniken beteiligen sich an dieser Art von Verfahren.
Auch an den Beschlüssen der Amtsgerichte zur Abschiebungshaft hat der Flüchtlingsrat oft etwas auszusetzen: „Viele halten einer Überprüfung nicht stand“, sagt Lal. Die Gerichte seien überfordert und prüften ungenau.
Dagegen vorzugehen kostet allerdings viel Zeit, manchmal dauert es Wochen, bevor die Anwälte überhaupt Akteneinsicht bekommen. Dann geht die Beschwerde zunächst ans Amtsgericht selbst, wird von dort ans Landgericht gereicht. Bis zur Entscheidung gehen oft weitere Wochen oder Monate ins Land.
Deshalb hatte sich der Flüchtlingsrat in diesem Fall zunächst ans Familiengericht und das Ministerium und danach an die Öffentlichkeit gewandt. „Im Zweifelsfall muss der Minderjährigenschutz vorgehen“, sagt Lal.
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