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Minderheiten in ChinaWillkür gegen Uiguren

„China Cables“: Geleakte Regierungslisten zeigen, mit welch absurden Begründungen Menschen in der Provinz Xinjiang in Lagerhaft gehalten werden.

UigurInnen bei Protesten in der Region Xinjiang 2009 Foto: Oliver Weiken/dpa

Peking taz | Nach Monaten des Leugnens musste die chinesische Regierung im Frühjahr zugeben, dass Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang in lagerartigen Gefängnissen einsitzen, wie es verschiedene Menschenrechtsorganisationen berichtet hatten. Die chinesischen Staatsmedien starteten darauf eine Propagandakampagne.

In einem Videobeitrag des „China News Service“ vom vergangenen März sieht man den damals 22-jährigen Arapat Yusup. „Ich stand in Kontakt mit Leuten, von denen ich nicht wusste, ob sie gut oder schlecht für mich waren“, gesteht der scheinbar reumütige Mann: „Ohne dass ich es erkannt habe, wurde ich von extremem Gedankengut infiziert“. Pekings Kernbotschaft: Es handele sich nicht um Gefangene, vielmehr werde die muslimische Minderheit der Uiguren in Ausbildungszentren auf den Arbeitsmarkt vorbereitet und von religiösem Extremismus abgehalten.

Ein knappes Jahr später taucht Arapat Yusup erneut auf – in einem 137 Seiten langen Regierungsdokument, das Journalisten zugespielt worden war: Dort sind die Fälle von 311 Muslimen im Landkreis Karakax detailliert aufgelistet. Sie geben Einblick, mit welcher Willkür Peking gegen die Uiguren vorgeht. Arapat Yusup beispielsweise wird dort vorgeworfen, eine „nicht vertrauenswürdige“ Person zu sein.

Bereits vor einigen Monaten brachten die sogenannten „China Cables“ grausame Details über die Internierungslager zutage. Die neuen Dokumente stammen von derselben Quelle, einer uigurischen Aktivistin in den Niederlanden. Sie machen erstmals deutlich, nach welchen Kriterien die Betroffenen verhaftet werden. Bislang völlig überraschend: Das Hauptvergehen für knapp ein Drittel aller Internierten ist, als Eltern mehr als die erlaubte Anzahl an Kindern zu haben. Als zweithäufigsten Haftgrund gaben die Behörden an, Personen seien „nicht vertrauenswürdig“.

Peking bricht die eigene Verfassung

Äußere Zeichen von Religiösität reichen aus, um in die Lager zu geraten: Einem Mann wurde vorgeworfen, dass er „von März 2011 bis 2014 einen Bart“ trug. In einem anderen Fall wurde ein Muslim, dessen zwei Kinder interniert wurden, als „vertrauenswürdig“ eingestuft, als dieser nach einem Jahr Abstinenz wieder Alkohol zu trinken begann. Und im Eintrag 114 steht über einen 37-jährigen Uiguren geschrieben: „Fünf Familienmitglieder haben sich um ein Reisepass beworben; bereiteten sich auf Reisen vor“. In der Familie herrsche zudem eine „strenge religiöse Atmosphäre“. Der Eintrag endet schließlich mit dem Fazit: „Weitere Schulung empfohlen“.

Der Forscher Adrian Zenz bezeichnet das Dokument als „stärksten bisherigen Beweis, dass Peking aktiv ganz normale Glaubenspraktiken strafrechtlich verfolgt, was direkt gegen die Verfassung des Landes verstößt“. Zenz gilt als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet, jahrelang hat er institutionell unabhängig und aus eigener Tasche seine Studien über die Unterdrückung der muslimischen Minderheit in Xinjiang finanziert.

Mittlerweile arbeitet Zenz in Washington bei der Denkfabrik „Victims of Communism Memorial Foundation“. Er sieht als bewiesen an, dass die chinesische Regierung das Unschuldsprinzip ausgehebelt hat und auch vor Sippenhaft nicht zurückschreckt. Die massenhafte Internierung vergleicht Zenz mit einer „mittelalterlichen Hexenjagd, wenngleich auch mit behördlicher Perfektion und eiserner Disziplin ausgeführt“.

Mittlerweile behauptet Peking, die „Ausbildungslager“ geschlossen zu haben. Tatsächlich gehen unabhängige Experten ebenfalls davon aus, dass ein Teil der Inhaftierten aus den Lagern entlassen wurden. Frei sind sie deshalb jedoch nicht, wie die nun geleakten Dokumente belegen: Ihnen zufolge ist eine ständige Evaluierung und Überwachung der ehemaligen Inhaftierten vorgesehen, damit diese auf Linie bleiben.

„Peking macht das einzige, was es kennt: Es sendet eine Botschaft der Unterdrückung“, sagt Wuer Kaixi, einer der führenden Köpfe der Studentenbewegung vom Pekinger Tienanmen-Platz 1989. Mittlerweile lebt der Uigure im Exil in Taiwan, von wo aus der Aktivist als Kritiker gegen Peking auftritt. Er erklärt die brutale Unterdrückung der Muslime in Xinjiang mit vorauseilendem Gehorsam der Lokalregierung, die sich mit übereifrigen Maßnahmen die Loyalität der Zentralregierung in Peking sichern will.

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2 Kommentare

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  • Das schreckliche Schicksal der Uiguren in China zeigt auf, wie wichtig der Handel mit China ist. Denn nur über den Handel wird man letztendlich Einfluss auf China nehmen können und eine Verbesserung der Menschenrechte erreichen.

    • @Nico Frank:

      (...) man muss schrittweise die Handelsbeziehungen beschränken was auch gut für die Umwelt wäre.



      Handel sorgt nur dafür dass die unsere Technologie kapern und für Profite für Unternehmen dies mit dem Umweltschutz nicht genau nehmen. Sehe da keinen Vorteil







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