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Christliche Komplizen

„Together We Are Bremen“ erneuert und verschärft die Kritik an der Inneren Mission: Als Trägerin des Lagers Steinsetzer Straße hätte sie die gewaltsame Umverteilung von Insassen nicht zulassen müssen

Von Benno Schirrmeister

Der Inneren Mission fehlt es nach Einschätzung von „Together We Are Bremen“ (TWAB) an „menschlicher Achtung und Anstand“. Das geht aus einem offenen Brief hervor, mit dem das Bündnis seinen Protest wegen der Vorfälle in der Erstaufnahmestelle Steinsetzer Straße bekräftigt.

Das Lager wird von der Inneren Mission (IM) im Auftrag der Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) betrieben. Mehrfach waren dort in der Vergangenheit einquartierte Teenager überfallartig im Morgengrauen von der Polizei aus ihren Betten geholt, mit Handschellen gefesselt und dann in andere Bundesländer abtransportiert worden. Die Umverteilung minderjähriger Geflüchteter war bis 2015 als unvereinbar mit dem Kindeswohl verboten gewesen. Die Maßstäbe haben sich jedoch mit der Asylpaket-Gesetzgebung verschoben. Bremen setzt die Umverteilung mit außerordentlicher Härte um. Verantwortlich dafür ist die Sozialsenatorin. Deren Unterstützung für die Gewaltmaßnahmen sei „kaum verwunderlich“, heißt es nun im offenen Brief. Sie habe auch lange am Betrieb der menschenunwürdigen Unterbringung Gottlieb-Daimler-Straße, einer Zeltstadt im Industriegebiet, festgehalten.

Als schändlich wird dagegen die Kollaboration der IM gewertet: Sie verhalte sich bei den Jugendamt-Polizei-Aktionen wie eine „sehr bereitwillige Komplizin“. Denn für die Betroffenen drohe eine Retraumatisierung infolge der Gewaltmaßnahmen.

Das geht nicht zuletzt aus einem Gutachten des „Deutschen Vereins zur öffentlichen und privaten Fürsorge“ aus dem Jahr 2017 hervor, dem die Innere Mission angehört. Schätzungen zufolge ist knapp die Hälfte der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten traumatisiert.

„Entgegen Ihrem Schutzauftrag öffneten Sie den Mitarbeitenden des Jugendamtes und der großen Gruppe aus Polizist*innen die Tür“, konkretisiert der offene Brief nun die Rolle der Inneren Mission. Sie habe so ermöglicht, dass die Betroffenen gefesselt und gegen ihren Willen verschleppt worden seien. „Die anderen im Lager mussten dieses schreckliche Erlebnis mit ansehen.“

Schon bei einer Demo am 4. Februar hatte TWAB vor der IM-Zentrale gegen diese Praxis protestiert. Einer direkten Auseinandersetzung hatte sich deren Leitung damals aber verweigert. Stattdessen wurde eine Mail an TWAB geschickt, die zwar in keiner Weise auf die Vorwürfe eingeht, sich aber gegen die Terminologie verwahrte: Das Lager in der Steinsetzer Straße sei „kein Lager“, hieß es in dem Schreiben.

In der Unterkunft teilen sich bis zu vier junge Menschen dauerhaft einen Raum, eine Privatsphäre gebe es nicht, hält TWAB dem entgegen. Sie rieche wie ein Lager und fühle sich auch so an.

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