Immobilien-Firma enttarnt: Ein Hai namens Gabriel
Neuer Kandidat für Enteignungen: Der bislang unbekannte britische Immobilienriese Gabriel International besitzt offenbar 3.000 Wohnungen in Berlin.
Die aktuellen Geschäftsberichte dreier offenkundig zusammenhängender Unternehmen liegen der taz vor. Sie tragen alle „Gabriel International“ im Namen, firmieren unter derselben Adresse in London und agieren mit denselben Geschäftsführer:innen. Laut Dokumenten aus dem englischen Handelsregister beträgt der Gesamtwert der Häuser knapp eine Milliarde Euro – was einen erheblichen Einfluss auf den Berliner Immobilienmarkt nahelegen würde. Der operative Gewinn im Jahr 2018 betrug laut Geschäftsberichten über 10 Millionen Euro und ergibt sich aus Gewerbe- und Wohnungsvermietungen in Berlin.
Bei vorsichtiger Schätzung könnte man davon ausgehen, dass Gabriel International mindestens 3.000 Wohnungen in Berlin besitzt, vermutlich sogar mehr. Das ergibt sich aus den der taz vorliegenden Grundschuldeintragungen zur Kreditaufnahme von Gabriel International. In den Dokumenten aus den Jahren 2016 bis 2019 finden sich Auszüge von ansonsten nicht öffentlichen Grundbucheintragungen: Dort tauchen rund 300 Berliner Adressen als Eigentum von Gabriel International auf. Die Immobilien liegen überwiegend in Gegenden mit Mehrfamilienhäusern. Geht man von zehn Wohnungen pro Adresse aus, landet man bei 3.000 Wohnungen – wobei die meisten Mehrfamilienhäuser deutlich mehr Wohnungen aufweisen.
Damit läge das Unternehmen über der Grenze des mietenpolitischen Volksbegehrens Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Das fordert nach Mietsteigerungen und Verdrängungsprozessen die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen. Das Anliegen der Initiative hat die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid mit 77.000 Unterschriften souverän genommen und liegt zur Rechtsprüfung bei der Innenverwaltung. Bisher kommen neben Berlins größtem Vermieter, der Deutschen Wohnen, neun weitere Unternehmen über der im Begehren formulierten Grenze von 3.000 Wohnungen.
Für Abzocke berüchtigt
Nicht unwahrscheinlich ist, dass viele Berliner:innen Gabriel International bereits unter anderem Namen kennen gelernt haben: Um die Hausverwaltung des Eigentümers kümmert sich die als rein profitorientierte vermieterberüchtigte Stadthaus Verwaltungsgesellschaft mbH. Hinweise auf den richtigen Eigentümer finden sich erst auf Kautionsbelegen des Hausverwalters. Ein entsprechendes Standardformular liegt der taz vor. Dort tritt als Eigentümer Gabriel International auf.
Auch die für Abzocke berüchtigte Hausverwaltung GMRE (Gabriel Management GmbH) ist in Stadthaus aufgegangen: Im Handelsregister war für GMRE zuletzt als einziger vollberechtigter Prokurist ein Peter-Dany Atieh eingetragen – der ist laut Handelsregisterauszug ebenfalls alleiniger Geschäftsführer von Stadthaus. Auch tritt Atieh als Prokurist und Geschäftsführer für drei Firmen für Handwerker- und Hausmeistertätigkeiten auf. Alle diese Firmen teilen sich zudem eine Adresse: die Franklinstraße 28/29 in Charlottenburg.
Durch eine mögliche Umbenennung von GMRE in Stadthaus haben die Probleme von Mieter:innen nicht nachgelassen, wie auch erschreckend schlechte Google-Bewertungen nahelegen. Tenor: hohe Staffelmiete, fragwürdige Mietverträge, schlechte bis keine Instandhaltungen und Reparaturen sowie zu hohe Betriebskostenabrechnungen.
Nix Genaues weiß man nicht Infos über Big Player auf dem Berliner Wohnungsmarkt stammen aus selbst veröffentlichten Geschäftsberichten. Lediglich aus ihnen wissen Senat und Öffentlichkeit von der Anzahl von Wohnungen und die Höhe der Gewinne.
Dicke Fische Die größten privaten Vermieter Berlins sind die Deutsche Wohnen (116.000 Wohnungen), Vonovia (42.000), Ado (22.000), Covivio (17.000), Akelius (14.000), Tag (10.000), Grand City (8.000), BGP (8.000), Pears Group (geschätzt 6.000), Hilfswerk Siedlung (4.600) und jetzt auch Gabriel International mit über 3.000 Wohnungen. (Quelle: Geschäftsberichte 2017 und 2018) (gjo)
Während GMRE selbst 2008 noch angegeben hat, 3.000 Wohnungen in Berlin zu verwalten, dürfte die Anzahl der verwalteten Wohnungen seitdem also nicht gerade gesunken sein. Aktuell hat Stadthaus 64 Angebote auf dem Wohnungsportal Immoscout gelistet. Die Adressen finden sich auch auf den Listen im englischen Handelsregister – diese dürften also authentisch und aktuell sein. Zum Verkauf bietet Stadthaus auf seiner Website derzeit keine Immobilien an. Schriftliche und telefonische Anfragen an Stadthaus zum Umfang des Immobilienbestands blieben unbeantwortet.
Der Fall zeigt, wie intransparent und wildwüchsig der Berliner Wohnungsmarkt ist. Welche Firmen eigentlich wie viele Wohnungen besitzen, kaufen oder mit Flächen spekulieren, ist unklar. Grundbucheinträge sind nicht öffentlich und können dabei sogar in die Irre führen. Einige Firmen gründen etwa für wenige Häuser eine eigene GmbH, um die Zusammengehörigkeit größerer Bestände zu verschleiern und Grunderwerbsteuern zu sparen.
Auch der Senat weiß nicht genau, wem eigentlich die Häuser gehören, in denen alle wohnen. So ploppte vor anderthalb Jahren etwa plötzlich der Großvermieter Pears Global auf, nachdem das Kneipenkollektiv Syndikat nach einem gekündigten Mietvertrag auf der Suche nach ihrem wahren Eigentümer ein kompliziertes Immobilien- und Firmengeflecht mit Sitz auf den Jungferninseln und Eigentümern in Großbritannien enttarnte. Gabriel International ist nun der nächste Player, der durch einen engagierten Mieter enttarnt wird.
Das Volksbegehren Deutschen Wohnen und Co enteignen fordert deshalb mehr Transparenz für Grundbesitz. Sprecherin Susanna Raab sagt: „Das bisherige Grundbuchsystem ist unzureichend und intransparent. Wir brauchen endlich ein öffentliches Kataster, in dem verzeichnet ist, wem die Häuser und Grundstücke gehören.“ So entstünde auch eine Übersicht, welche Bestände vergesellschaftet werden würden. Der Mieter, der die taz auf Gabriel International hinwies, sagt: „Ab heute heißt es auch: Gabriel International enteignen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“