: Friedensmacht EU?
Nach der Libyen-Konferenz in Berlin überlegen die Europäer, wie sie sich bei der Umsetzung des Friedensplans einbringen können. In Libyen gibt es jedoch Widerstand gegen einen Waffenstillstand
Aus Berlin und Brüssel Mirco Keilberth und Eric Bonse
Von Frieden wollen die Krieger auf beiden Seiten in Libyen nach der Berliner Konferenz wenig wissen – weder bei der international anerkannten Einheitsregierung von Ministerpräsident al-Sarradsch in Tripolis noch beim aufständischen General Chalifa Haftar im Osten des Landes. In den ostlibyschen Ölhäfen zeigen sich Haftar-treue Demonstranten auf sozialen Medien zufrieden darüber, dass der General keinen Waffenstillstand unterzeichnet hat. In der Hauptstadt drohen Kommandeure von Milizen auf Regierungsseite dem nach Berlin gereisten Innenminister Fathi Baschaga mit Gefängnis, wenn er eine Integration von Milizionären in die reguläre Armee umsetzen will. Es ist ein Vorgeschmack darauf, was passieren könnte, wenn die in Berlin beschlossenen Maßnahmen tatsächlich durchgesetzt werden.
Nach neun Monaten Krieg um Tripolis mit 150.000 Flüchtlingen und über 1.000 Toten hatten sich Vertreter von 16 Ländern und Vertreter mehrerer internationaler Organisationen am Sonntag in Berlin auf einen Plan zur Eindämmung des libyschen Konflikts geeinigt. Im Bundeskanzleramt vereinbarten sie unter anderem die zukünftige Einhaltung des UN-Waffenembargos und den Neubeginn eines politischen Friedensprozesses. Insgesamt setzte die Bundesregierung einen Katalog von 55 Einzelpunkten durch, die Experten seit September erarbeitet hatten.
„Wir können feststellen, dass alle einig sind, dass wir das Waffenembargo respektieren wollen“, sagte Bundeskanzlerin Merkel zufrieden vor den Hunderten aus dem Ausland angereisten Journalisten. „Ich weiß nicht, was ich von den Ergebnissen der Berliner Konferenz halten soll, sie sind sehr allgemein gehalten“, sagt hingegen zur taz Youssef Alhouri, Leiter des Auswärtigen Ausschusses des libyschen Parlaments, das im Osten des Landes tagt und Haftar unterstützt.
So unspektakulär wie Merkel die Ergebnisse der Konferenz vorstellte, verlief auch das Treffen selbst. Öffentlich sichtbar waren nur die nichtlibyschen Gäste. General Haftar und Premier Sarradsch blieben dem Fototermin ungewohnt öffentlichkeitsscheu fern und trafen sich auch nicht. Die Autokolonne des 76-jährigen Generals Haftar war schon längst in das weiträumig abgesperrte Hotel zurückgekehrt, als Serradsch im Kanzleramt seinen derzeitigen Hauptförderer traf, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Haftar ließ sich lieber mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fotografieren.
Erdoğan hatte dagegen keine Berührungsängste mit Haftars Hauptunterstützer, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Beide hatten eine Woche zuvor vergeblich versucht, Haftar und Sarradsch zur gemeinsamen Unterzeichnung eines Waffenstillstands zu bewegen. Sarradsch unterschrieb, Haftar nicht, aber er stoppte seinen Angriff auf Tripolis und gönnte nun der deutschen Kanzlerin einen symbolischen diplomatischen Erfolg.
Unklar bleibt, zu welchem Preis. Während Haftar in Berlin weilte, legten seine Anhänger in Libyen die Ölindustrie lahm. Eine Erklärung des Haftar-treuen libyschen Parlaments fordert eine „gerechte Verteilung“ der Gelder aus dem Ölexport, die bislang bei den Institutionen in Tripolis landen (siehe Text unten). Man werde die Häfen so lange blockieren, bis die Forderungen erfüllt sind, heißt es.
Haftar ließ sich auch bei seinen Treffen mit Merkel und mit Macron in Berlin auf keine Unterzeichnung der Waffenruhe ein. Immerhin benannte der General erstmals fünf Namen für ein Militärkomitee, das aus Offizieren beider Lager bestehen wird. Die zehn Offiziere werden nächste Woche in Genf unter Leitung der Vereinten Nationen erste vertrauensbildende Maßnahmen erörtern. Das ist der entscheidende nächste Schritt, um aus den Berliner Beschlüssen einen Friedensprozess zu machen.
Die bisher mit einem schwachen Mandat ausgestattete UN-Mission für Libyen (UNSMIL) ist dann für die Umsetzung verantwortlich. Eine 14-köpfige Kommission des libyschen Parlaments, des Staatsrats und der Regierung soll zusammen mit UN-Experten Wirtschaftsreformen, Neuwahlen und die Einhaltung der Gesetze ausarbeiten. Darüber hinaus sieht die Berliner Vereinbarung „glaubwürdige Schritte zur Auflösung der Milizen“ vor. Sanktionen gegen den Bruch des Abkommens können aber erst erfolgen, wenn der UN-Sicherheitsrat das Berliner Papier bestätigt.
In Tripoli glaubt niemand, dass die Milizen in der Hauptstadt ohne den Druck einer bewaffneten UN-Truppe weichen werden. Im Jahr 2014 war das schon einmal beschlossen worden, doch wenige Tage nach dem von TV-Kameras inszenierten Abzug waren sie mit neuen Uniformen wieder da.
Ob möglicherweise auch Europa Truppen nach Libyen schicken könnte, darüber haben am Montag auch die EU-Außenminister gesprochen. Vorerst, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, wolle die Europäische Union keine Soldaten entsenden. Es sei „viel zu früh“, über Soldaten zu sprechen, sagte Borrell. Die EU denke aber über eine Wiederbelebung der Marinemission „Sophia“ vor der libyschen Küste nach. Er griff damit einen Vorschlag von Außenminister Heiko Maas (SPD) auf.
Der EU-Einsatz war 2019 auf Druck des damaligen rechtsradikalen italienischen Innenministers Matteo Salvini eingestellt worden. Er scheiterte auch am Dauerstreit über die Verteilung von Flüchtlingen, die vor der libyschen Küste aufgegriffen wurden. Allerdings dient „Sophia“ nicht vorrangig der Seenotrettung. Vielmehr geht es darum, Schleusern das Handwerk zu legen – und so die Zahl der Boat People vor der libyschen Küste zu verringern.
„Wir haben unsere Ziele erreicht“, sagte der deutsche Außenminister mit Blick auf den Gipfel in Berlin. Ein Anfang sei gemacht, nun müssten die beteiligten Mächte die Vereinbarungen umsetzen. Deutschland wolle auch die EU einbeziehen, betonte Maas. Wie das – abgesehen von „Sophia“ – konkret aussehen soll, blieb jedoch zunächst offen.
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