Weniger Geld fürs Ehrenamt: Wer sich engagiert, zahlt drauf
Das niedersächsische Sozialministerium fährt Ende des Jahres die Förderung der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe zurück. Die Grünen finden das falsch.
80 Migrantinnen und Migranten aus Stadt und Landkreis nehmen teil, vierzügig, vom Alphabetisierungs- und Basis- bis zum A1-Kurs. Geflüchtete aus Syrien und Ruanda lernen hier Deutsch, aus Russland und Kolumbien, aus China und Afghanistan, aus Gambia und dem Iran.
Seit Anfang 2015 gibt es die Schule und viele ihrer Absolventinnen und Absolventen sind heute perfekt integriert, haben eine Wohnung, einen Job. Hugenberg ist die Pädagogische Leiterin. Sechs pensionierte Lehrerinnen und Lehrer stehen ihr zur Verfügung, über ein Dutzend Studentinnen und Studenten. Alle arbeiten ehrenamtlich.
Unterstützenswert, sollte man denken. Aber die Sonderförderung des niedersächsischen Sozialministeriums, ausgezahlt über die Freiwilligen-Agentur der Stadt Osnabrück, läuft im Oktober 2020 aus. Keine Aufwands- und Auslagenerstattungen mehr für vorfinanzierte Lehr- und Lernmaterialien, das kleine Pausen-Café, den monatlichen Treff, zu dem auch Ehemalige kommen. „Vollkommen kurzsichtig“ findet Lilly Hugenberg das. „Dann müssen wir wieder rumbetteln, und das ist extrem schwierig.“
Hilferuf an den Innenminister
Beunruhigt hat „Solidarisches Osnabrück“ Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, seit jeher ein großer Unterstützer des Remarque-Hauses, Anfang Januar einen Brief geschrieben. Nicht nur die Sprachvermittlung, auch die psychosoziale Unterstützung sei „massiv gefährdet“. Pistorius möge sich dafür einsetzen, dass die Gelder „zur Verfügung gestellt bleiben“. Eine Antwort ist „bislang noch nicht erfolgt“, wie Ministeriumssprecher Pascal Kübler der taz bestätigt.
„Solidarisches Osnabrück“ ist nur ein kleiner Teil des Problems. Auch andere Ehrenamtliche, die Flüchtlingen helfen, bekommen demnächst keine Erstattungen mehr, landesweit.
Oliver Grimm, Sprecher des Sozialministeriums, betont zwar, „dass die Integration der vor Krieg und Vertreibung geflüchteten Menschen eine Aufgabe ist, an der sich möglichst viele gesellschaftliche Gruppen beteiligen sollten“, bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement sei „dabei bis heute eine tragende Säule, für die wir ausgesprochen dankbar sind“.
Aber Grimm bestätigt zugleich, das Förderprogramm werde ab 2021 „vollständig auslaufen“, wegen der „stark rückläufigen Zahl von Geflüchteten, die in Niedersachsen Schutz suchen“. Für 2020 stehen noch 2,6 Millionen Euro bereit, danach ist Schluss. Insgesamt sind von 2015 bis 2019 10,76 Millionen Euro geflossen.
Zukünftig hätten dann alle Ehrenamtlichen „die gleichen Rahmenbedingungen“, ob in der Flüchtlingsarbeit, im Sportverein oder bei der Feuerwehr. Dass es in der Flüchtlingsarbeit ganz andere Aufwandslagen gibt, schließlich geht es nicht zuletzt um die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe teils Mittelloser, findet keine Berücksichtigung.
17.000 Euro flossen letztes Jahr nach Osnabrück, nicht zuletzt zu „Solidarisches Osnabrück“. Ein Betrag, für den die Ratsfraktion der Osnabrücker Grünen einen Vorschlag hat: Die Stadt selbst soll notfalls für ihn aufkommen. Die Verwaltung möge in der nächsten Sitzung des Sozialausschusses „eine Alternative“ aufzeigen. Anfang März ist es so weit.
Anke Jacobsen, sozialpolitische Sprecherin der Osnabrücker Grünen und Vorsitzende des Sozialausschusses, kritisiert die Landesregierung scharf: „Eine fatale Entscheidung! Es darf nicht sein, das Ehrenamtlichkeit hier dann nur noch denen möglich ist, die es sich leisten können, den kompletten Aufwand selber zu finanzieren.“ Damit nicht „viele ihr Engagement an den Nagel hängen“, gelte es, in Hannover Druck zu machen: „Da sollten nachträglich Gelder in den Landeshaushalt eingestellt werden!“
Was die Stadt Osnabrück zu alldem sagt? Man weiß es nicht. Eine Anfrage der taz ließ sie unbeantwortet.
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