Zentrum für verfolgte Künste: Die Kunst des Exils
In Solingen ist Heba Y. Amins „Fruit from Saturn“ zu sehen. Die Ausstellung betrachtet die vergangenen 150 Jahre ägyptischer Geschichte.
Die „Villa Aurora & Thomas Mann House-Nacht“ in der Komischen Oper in Berlin will ihr Publikum mit den Stipendiaten bekannt machen und den Möglichkeiten, die ihnen die beiden Einrichtungen in Los Angeles bieten. Und so wurde im November berechtigter Stolz darüber geäußert – besonders über das Thomas Mann Haus, das im Jahr davor als deutsches Kulturzentrum eingeweiht wurde. Gleichzeitig war aber keine Rede davon, weshalb die Bundesrepublik überhaupt im Besitz zweier schicker Villen in Pacific Palisades ist.
Das Wissen darum wurde eben vorausgesetzt. Was den schönen Effekt hatte, dass die Entwurzelten und Verbannten an diesem Abend weiter keine Rolle spielten. Ob als Gespenster aus leidvoller Vergangenheit oder als heutige Menschen, die sich wie etwa Ai Weiwei kritisch über den Ort ihres Exils äußern. Ob Lion Feuchtwanger und Thomas Mann nicht auch manches an ihrem amerikanischen Zufluchtsort auszusetzen hatten? Auch wenn sie sich glücklich schätzten, Hitler und dem Krieg in Europa entkommen zu sein?
Und scheint es da nicht naheliegend, dass das Land, das seine Dichter vertrieben hat, deren verwaiste Häuser erwerben sollte, um sie – in Ergänzung zur Exilforschung – als Orte des Exilgedenkens zu pflegen? Tatsächlich waren es engagierte Bürger, die die Regierung in die Pflicht nahmen, sich um die von Verfall und Immobilienspekulation bedrohten Häuser zu bemühen.
In Solingen auf Roberto Blanco zu treffen überrascht nur, insofern es im Kontext der bildenden Kunst geschieht. Die ägyptische Konzeptkünstlerin Heba Y. Amin hat mit dem Sänger ein Videointerview geführt, im Rahmen ihrer Einzelausstellung „Fruit from Saturn“, die einen Bogen von der Kolonialzeit über die Präsenz des deutschen Afrikakorps in Ägypten bis zur Demokratiebewegung der 2010er Jahre schlägt.
Roberto Blanco als Küchenhelfer
Roberto Blanco ist vor der Replik einer Pyramide zu sehen, die Ende der 1980er Jahre – just zu der Zeit, als sich der Retter-Kreis der Freunde der Villa Aurora gründete – von einer deutsch-italienischen „Gemeinschaft der Jagdflieger“ in Sidi Abdel Rahman errichtet wurde, am Absturzort von Hans-Joachim Marseille, dem deutschen Piloten mit den meisten Abschüssen im Zweiten Weltkrieg. Roberto Blanco spielte einen Küchenhelfer in Alfred Weidenmanns verlogenem Biopic „Der Stern von Afrika“ aus dem Jahr 1957, das den Piloten zum Kriegsgegner und Widerständler stilisierte.
In Solingen auf das abstruse Ehrenmal seiner Kriegskameraden zu treffen überrascht vor allem, weil dies im Zentrum für verfolgte Künste passiert. Das Zentrum versammelt Werke von Künstlern und Künstlerinnen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft verfemt und später vergessenen wurden.
"Fruit from Saturn", bis 2. Februar im Zentrum für verfolgte Künste, Solingen. Eintritt 9 Euro, erm. 4,50 Euro
Dabei macht es nicht mit Kriegsende halt, sondern dokumentiert auch die dissidentische Literatur der DDR und anderer osteuropäischer Diktaturen. Mit Ausstellungen zeitgenössischer Kunst versucht es darüber hinaus die aktuelle, global zu beobachtende Unterdrückung und Verfolgung ins Blickfeld zu rücken. Solingen, ausgerechnet, ist also in Deutschland der Ort des Exilgedenkens
Und Roberto Blanco ist die interessante Figur zwischen den bürgerlichen Fraktionen derer, die sich den staatlicherseits legitimierten, wenn nicht initiierten Verbrechen stellen, seien sie vergangen oder ganz aktuell, und derer, die diese Verbrechen leugnen beziehungsweise glauben, einzelne Helden identifizieren und dem verbrecherischen Kontext entziehen zu können.
Tödliche Frage nach Zugehörigkeit
Als Sohn kubanischer Eltern in Tunis geboren und Madrid aufgewachsen, ist Roberto Blanco kein Verfolgter, nur der gewöhnliche Fall des Einwanderers, der den Erfolg sucht. Gerade deshalb steht auch er als Figur im Kontext des nationalstaatlichen Paradigmas, in dem sich die Frage der Zugehörigkeit schnell existenziell zuspitzen kann. In Solingen traf es die Familie Genç als 1993 Neonazis einen Brandanschlag auf ihr Haus verübten, bei dem fünf Familienmitglieder starben.
Der Mord war ein Weckruf für die Solinger Bürger. Besonders die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, 1990 vom Journalisten Hajo Jahn gegründet und durch Dichterlesungen in Asylbewerberheimen schnell bekannt gemacht, drang auf deutlich sichtbare Zeichen der Gegenwehr. Das Zentrum für verfolgte Künste darf als ein solches gelten: Solingen ist nicht ausgerechnet, sondern sehr zu Recht Ort des Exilgedenkens in Deutschland.
Zur Gründung kam es durch die glückliche Koinzidenz, dass sowohl das Kunstmuseum Solingen als auch die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft auf Sammlungen mit Exilkunst und -literatur aufmerksam wurden. 2004 brachte der westfälische Antiquar Gerhard Schneider rund 3.000 Werke, die er mit großer Kennerschaft von Künstlern und Künstlerinnen zusammengetragen hatte, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ denunziert, verfolgt, vertrieben oder ermordet worden waren, in die „Bürgerstiftung für verfemte Künste der Sammlung Schneider“ ein.
Drei Jahre später, 2007, erwarb dann die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft die Literatursammlung des Journalisten Jürgen Serke, die zweieinhalbtausend Werke ehemals verbotener, verbrannter und im Exil entstandener Literatur umfasste. Diese beiden Stiftungen wurden 2014 im Zentrum für verfolgte Künste zusammengeführt.
Exilschicksale und herausragende Kunstwerke
Wenn hier nun vornehmlich Künstler und Künstlerinnen zu Hause sind, die vor ihrer Vertreibung keine Erfolgsschriftsteller oder Malerstars waren oder im Exil zu solchen wurden, heißt das nicht, dass in Solingen keine Entdeckungen zu machen wären. Und dabei geht es nicht einfach um Exilschicksale – das versteht sich von selbst –, sondern um herausragende Kunstwerke.
Dazu zählen unbedingt die beeindruckenden Porträtgrafiken von Elfriede Lohse-Wächtler, die 1940 in der Euthanasie-Aktion T4 ermordet wurde. Es zählen dazu Eric Isenburgs Bildnis seiner Frau „Jula in Schweden“ aus dem Jahr 1937, das im Umgang mit der Farbe ebenso wie in der Aufteilung der Malfläche in Figur und Hintergrund besticht.
Eric und Jula Isenburg gelang die Flucht in die USA. Spanien und Argentinien waren die Zufluchtsorte Oscar Zügels, dessen vom Himmel stürzender Ikarus – ein aus der Form gelaufenes, weil in der Hitze geschmolzenes Hakenkreuz –, wie Jürgen Kaumkötter, der Direktor des Zentrums, richtig sagt, das Zeug zur Ikone des antifaschistischen Widerstands gehabt hätte.
Jürgen Kaumkötter will das Zentrum für verfolgte Künste als Kunstmuseum des Exils profilieren, jenseits seiner grundlegenden Rolle einer bislang noch wenig bekannten und damit wenig erschlossenen Quellensammlung zur Zeitgeschichte. Heba Y. Amins „Fruit from Saturn“-Schau, die den Titel einem Gedichtband Ivan Golls entlieh, zeigt beispielhaft, wie das aussehen kann. Denn es gelingt der Künstlerin, die politische Auseinandersetzung, die sie sucht, künstlerisch überzeugend zu artikulieren.
Zwischen Fortschrittsglaube und Desillusion
Golls Gedichtband fand sich natürlich ebenfalls in der Sammlung des Zentrums. Das Eröffnungsgedicht „Atom Elegy“ lag freilich auch als unveröffentlichtes Originalmanuskript vor und so wurden zwei Versionen kenntlich: eine fortschrittsgläubige vor dem Atombombenabwurf der Amerikaner und eine desillusionierte danach. Auch so thematisiert Heba Y. Amin die Bedeutung des Zeithorizonts, unter dem unser Wissen reift oder verkümmert.
Ihre minimalistischen eisernen Wandskulpturen referieren dann auch nicht auf die Kunst der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Sie sind vielmehr plastische Übersetzungen der Diagramme, die im „Buch der Optik“ des arabischen Gelehrten von Ibn al-Haitham (965–1040) zu finden sind. Gegen früheres Wissen und Neugierde steht heute die Engstirnigkeit und religiöse Dogmatik der arabischen Politik, gegen die der Protest der Bevölkerung ob in Ägypten, im Libanon, im Iran oder Irak nicht verstummt.
Das Video „Speak2Tweet“ kompiliert die auf Twitter veröffentlichten Sprachnachrichten der Aufständischen 2011, unterlegt mit Bildern der zerstörten Herrscherpaläste. Nicht unähnlich der Pyramide in Sidi Abdel Rahman, sind auch sie fremde Objekte, eingebettet in eine Umgebung, in der die dort lebenden Menschen nicht repräsentiert sind, nicht beachtet, als Staatsbürger geschätzt und behandelt. Tendenziell schon im Exil gehen sie diesen Weg oft genug auch wirklich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!