debatte: Die Pfütze hinter der Wand
Donald Trump ist zwar ein Machtmensch, die Kriegstreiber im Weißen Haus sind jedoch andere. Und: Sie haben enge Bindungen zur Wirtschaft
AnjanaShrivastava
ist eine amerikanische Journalistin in Berlin.Sie hat in Harvard Geschichte studiert und schreibt für zahlreiche deutsche Zeitungen.
Kürzlich hielt US-Vizepräsident Mike Pence eine Ansprache vor den Mitgliedern des Think-Tanks „Foundation for the Defense of Democracies“. Auf den ersten Blick ein banales Ereignis. Tatsächlich steht es für ein Problem, das die amerikanische Demokratie in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat: Die Macht sammelt sich immer weiter weg von der Öffentlichkeit. Das zeigt insbesondere die Rolle des Vizepräsidenten in außenpolitischen Krisen.
Lange bekleideten dieses Amt eher unwichtige Figuren – bis zur Jahrtausendwende. Dass Dick Cheney eine herausragende Rolle im Irakkrieg 2003 gespielt hat, weiß jeder. Heute ist Mike Pence für seine Kompromisslosigkeit gegenüber Iran bekannt. Im Vorfeld des Anschlags gegen den iranischen General Kasim Soleimani fanden im Pence-Büro Krisentreffen wie zu Zeiten Cheneys statt.
Es war Hillary Clinton, die über das Weiße Haus mal bemerkte, dass dort sehr viel Macht vorhanden sei, selbst wenn der jeweilige Präsident nicht immer etwas damit anzufangen wisse. Dann sammelt sich diese ungeheure Macht irgendwo im Apparat an, wie Wasser hinter den Wänden. Dann entsteht so etwas wie eine Pfütze oder Teich, ein Machtreservoir. Clinton redete natürlich von Cheney unter dem politisch unbedarften Bush junior. Aber ihre Metapher gilt genauso heute.
Donald Trump ist zwar versierter Machtmensch, kam aber politisch völlig unerfahren ins Amt. Dass er Kabinettsmitglieder immerzu nach Gutdünken feuert, verstärkt das Problem der Machtverteilung noch. Selbst Außenminister Mike Pompeo, der schon seit Juni zu Vergeltungsschlägen gegen Iran anstiftet, muss damit rechnen, dass Trump ihn im Falle einer gescheiterten Iranpolitik rauswerfen könnte. Ganz anders bei Pence, der Einzige, der nicht vom Präsidenten entlassen werden kann.
Wieso ist es von Bedeutung, dass Pence nun vor genau dieser Stiftung sprach? „Foundations for the Defence of Democracies“ hat lange für einen Konfrontationskurs gegen Iran geworben – und wird von Casino-Milliardär Sheldon Adelson finanziert, der zusammen mit dem Ölmilliardär Charles Koch Mike Pence’ erste Gouverneurswahl 2012 in Indiana mit Millionen sponserte.
Pence war am Anfang seiner Karriere lediglich ein streng christlicher Anwalt aus der Provinz. Er wurde zwar Kongressabgeordneter, brachte aber jahrelang kein einziges Gesetz auf den Weg. Doch dann verhalf er einer Initiative der Koch-Brüder zu beträchtlichem Erfolg: einer Attacke gegen die Idee einer CO2-Steuer. Die Initiative war selbst unter Republikanern unbeliebt, doch Mike Pence scharte fast 150 weitere Politiker um das Vorhaben. Er wurde als begabter Mehrheitsbeschaffer erkannt und danach kräftig gefördert. Donald Trump dagegen war den Kochs wegen seiner Unabhängigkeit, seines Protektionismus und seines Isolationismus reichlich suspekt.
Trump mochte seinerseits die Koch-Brüder nicht. Als Vize wollte er den Gouverneur von New Jersey, Chris Christie. Jemanden, der die Hebel der Politik nur zu gut kannte. Denn Trump wusste um seine Schwäche: seine Unerfahrenheit. Doch eines Tages während des Wahlkampfs im Jahr 2016, als Trump zurück nach Manhattan wollte, kam er ausgerechnet in Indiana nicht vom Fleck, weil sein Flugzeug einen technischen Defekt aufwies. Aber Gouverneur Mike Pence wartete mit Essen und Logis – und die zwei Männer verstanden sich prächtig. Kurze Zeit später war Pence Vizekandidat.
So begann der Durchmarsch des Koch-Flügels der Republikaner. Nicht weniger als 17 Top-Mitglieder der Trump-Regierung sind Günstlinge der Ölmilliardäre, von Pence über Pompeo bis hin zu Scott Pruitt, dem Ex-Chef der Umweltbehörde EPA, um nur die Wichtigsten zu nennen. Darüber hinaus sind laut Einschätzung des Magazins The New Yorker rund 100 andere Koch-Verbündete in Positionen im Weißen Haus installiert.
All das ist in den ersten Wochen von Trumps Amtszeit passiert, wohl ohne dass er selbst im Siegesrausch dies überhaupt registrierte. Aber an seiner Politik bemerkt man es jetzt umso deutlicher: vom Gesundheitsreform-Agnostiker wurde er zum harten Gegner; vom Kriegsskeptiker wurde er zunächst zum Feldherrn wider Willen, dann, vom Kriegsflüsterer Mike Pompeo angestachelt, zum außenpolitischen Brandbeschleuniger.
Die Koch’schen Geldopiate nehmen die Schmerzen aus dem harten Alltag. Nicht nur für Ehrgeizige wie Pence und Pompeo. Geht eine Wahl verloren, geht eine Firma pleite, dann winkt stets eine hochdotierte Stelle. Pence’ Stabschef Marc Short etwa war früher Präsident des inzwischen abgewickelten Think-Tanks „Freedom Partners Chamber of Commerce“, der ebenfalls zum Koch-Imperium gehörte. Und wer weiß, weshalb Trump damals von Christie zu Pence umschwenkte. Auch wenn der technische Defekt am Flugzeug echt war, hat Trump sich an jenem Abend in Indiana womöglich entschieden, seine Milliarden zu schonen und sich mithilfe der Koch-Brüder ein wenig abzusichern.
Nach dem Anschlag gegen Soleimani teilten die Saudis mit, dass sie unbedingt dabei sein würden, falls es einen Kriegsplan gäbe. Falls es aber keinen Plan gebe, sei Deeskalation die einzige Wahl. Pence und Pompeo, die Politprofis im Weißen Haus, kennen die Hebel der Macht, und sie wissen, wie sie mit ihrem Chef umgehen müssen. Aber haben sie einen Plan?
Charles Koch jedenfalls braucht keinen. Koch Industries brauchte eine Entrümpelermannschaft gegen die zaghaften Versuche Barack Obamas in Sachen Klimapolitik, gegen dessen erste unzulänglichen Schritte Richtung flächendeckender Gesundheitsfürsorge und gegen das Atomabkommen mit Iran.
Falls einige Koch-Adepten wie Pence oder Pompeo sich außenpolitisch tatsächlich ernsthaft vergaloppieren sollten, dann gibt es im Weißen Haus möglicherweise nur eine Stimme der Vernunft, und zwar Donald Trump. Was für eine Ironie.
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