heute in hamburg: „Das ist hilfreich für die Distanz zum Tier“
Marcel Sebastian, 35, ist Doktorand der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Koordinator an der Europa-Universität Flensburg. Er forscht zur Mensch-Tier-Beziehung.
Interview Nele Spandick
taz: Herr Sebastian, könnten Sie schlachten?
Marcel Sebastian: Nein.
Sie haben aber für Ihre Doktorarbeit mit Mitarbeiter:innen von Schlachthöfen gesprochen. Was hat Sie dabei überrascht?
Einmal vorweg: Meine Interviewpartner waren ausschließlich Männer, was sehr typisch für die Schlachthofarbeit ist. Ich habe zwei Forschungsfragen: Die eine ist, wie die Schlachthofmitarbeiter mit der moralischen Stigmatisierung ihrer Arbeit umgehen. Und die andere, wie sie mit den speziellen emotionalen Anforderungen der Arbeit umgehen. Überraschend war für mich vor allem das Maß an aktivem Umgang mit dem gesellschaftlichen und kritischen Blick auf sie als Schlachter.
Das heißt?
Allen, mit denen ich gesprochen habe, war sehr bewusst, dass diese Arbeit in der Öffentlichkeit kontrovers wahrgenommen wird. Und sie wünschten sich, den öffentlichen Diskurs über das Schlachten zu verändern.
Wie wollen sie das tun?
Hier unterscheidet man zwischen aktiven und reaktiven Umgangsweisen. Aktive Strategien sind bei denjenigen, mit denen ich gesprochen habe, ausgeprägter. Sie wehren sich also gegen das, was sie als Vorstellungen über Schlachthofarbeit in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Das tun sie, indem sie andere Deutungsweisen über das Schlachten entwickeln. Die Deutung von Tierschützern könnte etwa sein: „Schlachter sind Tierquäler.“ Einige Interviewpartner haben sehr deutlich gemacht, dass sie sich als tierlieb empfinden. Sie geben dem, was sie machen und sind, also eine andere Bedeutung. Und eine weitere aktive Strategie ist, die Gegner als inkompetent zu delegitimieren. Den Kritiker:innen wird abgesprochen, sich ein Urteil bilden zu können.
Vortrag „Wie Schlachthofmitarbeiter mit ihrer Arbeit umgehen“: 19 Uhr, W3, Nernstweg 32–34, Eintritt frei
Und was wäre eine reaktive Strategie?
Das wäre die Vermeidung von Situationen, in denen man moralisch stigmatisiert wird oder die Verheimlichung der Tatsache, dass man schlachtet. Ein Schlachter erzählte, dass er auf die Frage, was er beruflich macht, immer erst mal sagt, er arbeite in der Lebensmittelbranche. Und dann schrittweise bei weiterem Nachfragen auflöst, dass er auch Tiere tötet, wenn er die andere Person einschätzen kann.
Was sind die Strategien, um mit der emotionalen Belastung umzugehen?
Hier spielt emotionale Distanzierung zu den Tieren eine große Rolle. Ich habe fast ausschließlich mit Schlachtern gesprochen, die ausgebildet sind und aus ihrer Familie Bezug zum Schlachten hatten. Sie haben früh angefangen, Erfahrungen mit dem Schlachten zu machen. Das ist hilfreich für die emotionale Distanz zum Tier.
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