: „Die Landarbeiter profitieren nicht“
Der Göttinger Agrarökonom Matin Qaim hat die Auswirkungen des Fairtrade-Siegels auf die sozialen Bedingungen der Kakao-Produktion unter anderem in Elfenbeinküste untersucht. Während die zertifizierten Kleinbauern besser verdienen, bleiben deren abhängig Beschäftigte auf der Strecke
Interview Benno Schirrmeister
taz: Herr Qaim, warum wird so viel zu fairem Handel geforscht?
Matin Qaim: So viel ist es gar nicht. Aber viele Verbraucher stellen sich die Frage, was sie beim Einkauf tun können, damit sich die Bedingungen für Menschen in armen Ländern verbessern. Und daher stoßen Forschungsergebnisse zum Fairtrade-Label auf besonderes öffentliches Interesse. Fairtrade ist nun mal seit vielen Jahren das bekannteste Label, um genau das zu tun.
Nur ob es wirkt, ist zweifelhaft?
Nein. Die meisten Studien in Afrika zeigen einen Nutzen durch Fairtrade für die Kleinbauern. In Lateinamerika, wo mehr Kaffee als Kakao zertifiziert angebaut wird, sind die Effekte zum Teil etwas anders – weil Fairtrade in der Regel weniger stark auf Qualität schaut, und sich bei Kaffee zuletzt vor allem ein großer Markt mit Specialty Coffees etabliert hat: Das sind Qualitätssegmente, die von Fairtrade überwiegend nicht abgedeckt werden. Kontraproduktiv hat sich dort zudem eine gewisse Überzertifzierung ausgewirkt.
Was heißt das?
Fairtrade zertifiziert die Bauern– kauft oder verkauft selbst aber weder Kaffee noch Kakao. Wie viel am Ende die Firmen abnehmen, die mit zertifizierten Produkten handeln, weiß man vorher nicht. Da kann es sein, dass mehr Bauern mit größeren Mengen zertifiziert sind, als sich auf dem Fairtrade-Markt absetzen lassen. Dann müssen die Bauern zwar alle Kriterien erfüllen – bekommen aber keine entsprechenden Preise. Das ist in den vergangenen Jahren mehrfach passiert, vor allem in Lateinamerika im Segment Kaffee.
Sie betonen das so …?
Dieser Effekt hat sich meines Wissens in Afrika bisher nicht eingestellt.
Es lässt sich nicht verallgemeinern?
Nein. Es ist wichtig zu differenzieren und Effekte korrekt zuzuordnen. Wenn Sie sich zum Beispiel zwei Bauern anschauen, und der eine steht besser da als der andere, kann das daran liegen, dass der eine zertifiziert ist und der andere nicht, oder einfach daran, dass sich der lokale Boden oder die Marktbedingungen unterscheiden. Saubere Studien müssen das herausfiltern.
Klar.
Prinzipiell würde ich sagen: Die Effekte von Fairtrade auf Kleinbauern sind zumindest in Afrika überwiegend positiv. Wenn allerdings jemand glaubt, es könnte der Mechanismus sein, mit dem man da flächendeckend Armut bekämpfen kann, würde ich sagen: Nein. Das wäre zu viel erwartet. Aber wo es funktioniert, kann es gute Effekte haben.
Deshalb haben Sie extra nach negativen gesucht?
Nein, unser Forschungsansatz war einfach, nach den Landarbeitern zu fragen. Über die gibt es so gut wie keine Studien. Es wird viel auf die Kleinbauern geschaut, aber wenn es um beschäftigte Arbeiter geht, für die Fairtrade auch die Bedingungen verbessern will, haben wir nur Daten von großen Plantagen. Nun arbeiten aber die meisten Landarbeiter auf kleinen Farmen.
Das sollen mehr sein als auf den Großplantagen?
Natürlich arbeiten auf einer kleinen Farm weniger Leute als auf einer großen Plantage. Aber in der Summe ist die Zahl der abhängig Beschäftigten auf kleinen Farmen viel größer. Deswegen schien uns das eine wichtige Gruppe, bei der wir bislang nicht sagen konnten, ob sie vom Fairtrade-System profitieren.
… wie es die Kleinbauern tun?
Ja, die Kleinbauern erzielen im Schnitt höhere Preise, ein höheres Einkommen und zum Teil auch höhere Erträge. Das haben wir mit mehreren Studien belegt, und zwar auch in der Elfenbeinküste, auf die sich unsere aktuelle Arbeiterstudie ebenfalls bezieht. Die Kleinbauern profitieren dort von der Zertifizierung, und zwar in erheblicher Weise. Die Arbeiter auf deren Feldern profitieren allerdings nicht.
Gar nicht?
Gar nicht.
Oh.
Lassen Sie mich das erklären. Alle zertifizierten Kleinbauern sind in Genossenschaften organisiert. Wenn sie nicht organisiert sind, können sie nicht zertifiziert sein. In so einer Genossenschaft sind ein paar Hundert Landwirte Mitglied und es gibt eine Zentralstelle, an der der Kakao gesammelt wird und ein bisschen Verarbeitung und Logistik stattfindet. Die Bauern wirtschaften individuell, aber sie verkaufen ihre gesamte Kakao-Ernte an die Genossenschaft, die sie dann weiter vermarktet.
So weit, so normal …
Diese Zentralstelle hat natürlich auch eine Handvoll Angestellter. Die profitieren in einer zertifizierten Genossenschaft, die Mitglieder profitieren auch.
Aber?
Diese Bauern beschäftigen Landarbeiter und Erntehelfer. Und die profitieren nicht.
Das ist nicht fair.
Bislang werden sie von Fairtrade übersehen, und übrigens auch von anderen Entwicklungsprogrammen. Meine Arbeitsgruppe schaut nicht nur auf Fairtrade, sondern wir untersuchen sehr viele unterschiedliche Fragestellungen in Bezug auf Entwicklungsländer. Und da merkt man oft, dass niemand diese Landarbeiter so richtig auf dem Schirm hat. Über die weiß man sehr wenig.
Aber es müsste doch im Sinne von Fairtrade sein, denen einen auskömmlichen Mindestlohn zu garantieren?
Matin Qaim, 50, Professor für Welternährungswirtschaft an der Uni Göttingen, hat mit Eva-Marie Meemken 2019 in „Nature Sustainability“ eine Studie über „Effekte von Fairtrade auf den Lebensunterhalt armer Landarbeiter“ vorgelegt.
Interessanterweise gehört das ja zu den Auflagen des Siegels. Aber es wird nicht flächendeckend kontrolliert. Das wäre extrem aufwendig: Sie können ohne Weiteres die Zentralstelle einer Genossenschaft überprüfen. Aber Hunderte Einzelbetriebe, die Mitglieder der Genossenschaft sind, zu kontrollieren, und da eben nicht nur die Bauern, sondern auch die Arbeiter – das würde deutlich teurer werden.
Naja, aber ehrlicher.
Es wäre möglich, wenigstens in Stichproben. Aber die Kosten würden steigen – und der Preis für die Verbraucher auch. Fairtrade behauptet ja, dass alle in der Wertschöpfung besser gestellt sein sollen, und verlangt einen Mindestlohn, der in diesem Bereich nicht gezahlt wird.
Weil die Kleinbauern das nicht leisten können?
Naja, unsere Ergebnisse zeigen ja, dass sie vom System profitieren.
Wie hat Fairtrade reagiert auf die Studie?
Die haben das Problem anerkannt und es schien uns auch nicht, als würden sie das unter den Teppich kehren wollen. Die überlegen schon, wie sie da besser werden können. Insgesamt fand ich das eine vernünftige Reaktion: Uns ging es ja nicht darum, irgendwen gut oder schlecht zu machen. Es geht uns auch nicht nur um Fairtrade, sondern grundsätzlicher um die Frage: Wie können wir unser Landwirtschafts- und Ernährungssystem nachhaltiger machen.
Davon ist Fairtrade ein Aspekt?
Ja. Natürlich meinen wir mit Nachhaltigkeit häufig Klimaschutz und keine Regenwälder roden – aber Nachhaltigkeit hat auch eine soziale Komponente. Wenn man versucht, Nachhaltigkeit über ein privates Labelling wie Fairtrade herzustellen, ist das eine große Herausforderung. Das macht unsere Studie deutlich.
Inwiefern?
Die Ergebnisse zeigen schon auch die Grenzen auf, wie viel Nachhaltigkeit man über freiwillige Label erreichen kann – wenn selbst in dem kleinen Marktsegment, das Fairtrade abdeckt, wichtige Nachhaltigkeitsziele unerreicht bleiben. Es ist wichtig, die Verbraucher mitzunehmen, keine Frage, aber: Wir wollen und brauchen mehr Nachhaltigkeit im gesamten Markt, nicht nur zu einzelnen Aspekten oder in Teilsegmenten des Marktes. Über Verbraucherlabelling alleine werden wir diesen großen Wurf nicht hinbekommen. Wir brauchen stärkere politische Vorgaben und Sanktionsmechanismen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen