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Was ist Sex?Dr. Sommer hätte Schwierigkeiten

Die Philosophin Alenka Zupančič plädiert für das Denken der Wider­sprüche. In ihrem neuen Buch führt sie vor, weshalb Identitätsbildung unmöglich ist.

Sex ist das, was sich entzieht. Natürlich nur philosophisch gesehen Foto: Christophe Gateau/dpa

Der Titel des neuesten Buches von Alenka Zupančič erinnert an eine der Fragen zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit aus der Jugendzeitschrift Bravo: „Was ist Sex?“ Doch wahrscheinlich, und das ist die Pointe der slowenischen Philosophin, wüsste darauf nicht einmal der legendäre Dr. Sommer eine gute Antwort. Unter Sex verstehen wir zwar eine schier unendliche, weil immer wieder an die Grenze des Vorstellbaren stoßende Menge von Dingen, die Menschen Lust bereiten. Aber was ist Sex, unabhängig von all dem? Gibt es Sex an sich? Die überraschende Antwort von Zupančič lautet ja und nein zugleich.

Es gibt Sexualität als solche, aber sie ist nicht so beschaffen wie andere uns bekannten Dinge. Man kann keinen positiven Begriff von ihr geben, der zudem klar abzugrenzen wäre. Sexualität ist das, was sich entzieht. Diese Eigentümlichkeit nötigt aber auch, die Art und Weise zu überprüfen, in der in der Philosophie gewöhnlich die Welt und die Dinge betrachtet werden. So ergibt sich der Untertitel des Buchs: „Psychoanalyse und Ontologie“.

Dr. Sommer wäre sicherlich überrascht, wohin eine scheinbar simple Frage führen kann, nämlich ins Zentrum des philosophischen Denkens. Um zur Frage nach dem Sein des Seien­den vorzudringen, bedient sich Zu­pan­čič einer der modernen Revolutionen des Denkens, der Psychoanalyse. In Rückgriff auf Sigmund Freud und Jacques Lacan zeigt sie, dass Sexualität ohne den Begriff des Unbewussten nicht zu denken ist.

Das Unbewusste bezeichnet den Ort, an dem die Seins­logik nicht aufgeht und sich ein grundlegender Widerspruch auftut. Auf die Frage, ob Sexualität zur Natur oder zur Kultur zu zählen sei, wendet Zupančič ein, dass es weder noch ist. Ist es also mehr als Natur, aber weniger als Kultur?

Politische Konsequenezn

Die überraschende Antwort lautet: Sex ist nicht mehr, sondern weniger als Natur. Es ist nicht einmal Natur, sondern deren immanente Ausnahme. Diese negative Reflexivität kons­tituiert auch das Unbewusste und das Subjekt – und zwar durch einen fundamentalen Mangel an Sein, wie es Zu­pan­čič nennt.

Das Buch

Alenka Zupančič: „Was ist Sex? Psychoanalyse und Ontologie“. Übersetzt von C. Soekler u. M. Wünsch. Turia und Kant, Wien 2019, 293 Seiten, 26 Euro

Spätestens an dieser Stelle würde Dr. Sommer wahrscheinlich verzweifeln. Doch der Punkt ist keineswegs banal, sondern für die politischen Konsequenzen des philosophischen Denkens außerordentlich entscheidend. Denn wenn am Grunde des Subjekts ein negatives Verhältnis lauert, so lässt sich darauf keineswegs eine Identität errichten, schon gar keine sexuelle, so Zupančič.

Emanzipation beginne mit deren Verlust. Unschwer lässt sich das als Invektive gegen das Denken der sexuellen Identitäten in der Folge Judith Butlers entschlüsseln. Ein Kapitel des Buchs heißt „Widersprüche von Gewicht“ in An- oder wohl eher Ablehnung von Butlers „Körper von Gewicht“.

Zupančič legt eine sowohl verblüffende als auch überzeugende Neuinterpretation der sexuellen Differenz vor, mit der sie auf blinde Flecken des Gender-Diskurses verweist. Auch ihre Lesart des Todestriebs ist beeindruckend, ebenso ihre Ausführungen über den Realismus der Psychoanalyse und die Liebe.

Innere Widersprüchlichkeit aufzeigen

Zupančič demonstriert, was Philosophie bewirken kann: Sie nimmt die alltäglichen Vorstellungen, die in jeder Debatte unhinterfragt verwendet werden, und zeigt deren innere Widersprüchlichkeit auf. Und so verändern sich die Vorstellungen und mit ihnen der Blick auf die Welt.

Zupančič erweist sich nicht nur als ausgesprochen genaue Leserin von Freud und Lacan, sondern greift in die philosophischen Diskussionen unserer Tage ein, wenn sie sich auf Quentin Meillassoux, Alain Badiou und Slavoj Žižek bezieht und diese kritisch kommentiert.

Nach ihrem 2014 auf Deutsch erschienenen „Der Geist der Komödie“ kann man „Was ist Sex?“ als das vorläufige Hauptwerk von Alenka Zupančič bezeichnen, mit dem sie sich als eine der bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen Philosophie präsentiert. Ihr Buch ist ein Plädoyer für das Denken der Widersprüche und der Unabgeschlossenheit. Sex ist nur ein anderer Name dafür.

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2 Kommentare

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  • Schön, dass es in der taz auch Artikel gibt, die nicht unbedingt die komplette Leserschaft als Zielgruppe haben. Ich habe keinen blassen Schimmer, worum es hier geht. :) "Sexualität ist das, was sich entzieht." Herrlich.

  • Vielleicht ist das Thema "Sex" das Thema, das uns am anschaulichsten und eindringlichsten vorführt, wie falsch Schubladendenken ist!