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25 Jahre Bremer Behindertenparlament„Jedem Krüppel seinen Knüppel“

Gastkommentar von Horst Frehe

Die Bremer „Krüppelgruppe“ tritt seit 1978 für die Belange von Menschen mit Behinderung ein. Ihre Erfahrung: Ohne Protest bewegt sich nichts.

Menschen mit Behinderung müssen sich ihre Recht auf Teilhabe immer noch mühsam erkämpfen Foto: T. Trutschel/imago

M it dem provokativen Aufruf „Jedem Krüppel seinen Knüppel“ startete die neu gegründete „Krüppelgruppe“ 1978 in Bremen in eine brave Behindertenszene, die von nichtbehinderten Sozialarbeitern dominiert wurde und die Selbstvertretung Behinderter behinderte. Der Slogan war kein Aufruf zur Gewalt, sondern ein Weckruf zur Selbstvertretung. Gesellschaft ändert sich nur, wenn wir sie ändern und unsere Teilhaberechte durchsetzen. Unsere Forderung nach barrierefreiem Wohnraum, nach persönlicher Assistenz in der eigenen Wohnung, nach barrierefreiem Nahverkehr und nach inklusiver Bildung schienen noch ein Traum zu sein, kein erreichbares Ziel.

1977 wurde der „Fahrdienst für Behinderte“ eingerichtet und sofort intensiv angenommen. Erstmals konnten wir in die Stadt fahren, Freunde besuchen und selbst einkaufen. Die Kosten stiegen schnell und kaum drei Jahre später sollte er wieder einschränkt werden.

Wir gingen dagegen auf die Straße, blockierten Bus und Bahn, ketteten uns im Haus der Bürgerschaft an und begannen einen Hungerstreik. Damit hatten wir Erfolg: Der damalige Sozialsenator Henning Scherf und die SPD-Fraktion mussten ihre Kürzungspläne zurücknehmen.

Wir kontaktierten auch die Hausbesetzerszene und kündigten an, ein leer stehendes Haus im Viertel zu besetzen. Auch hier bot man uns schnell ein Haus an, das noch heute von Rollstuhlfahrenden bewohnt wird. Wir setzten durch, dass wir mit Zivis unseren Alltag in der eigenen Wohnung bewältigen konnten, anstatt ins Heim abgeschoben zu werden. Diese Fortschritte wurden hart erkämpft und uns nicht in den Schoß gelegt.

Horst Frehe

Horst Frehe war Mitbegründer der Bremer "Krüppelgruppe".

Nachdem wir unseren öffentlichen Protest mit einer jährlichen Demonstration in die Bevölkerung getragen hatten, wollten wir unsere Forderungen direkt an die Bremische Bürgerschaft und den Senat richten. Vor 25 Jahren ließ man uns dafür ins Haus der Bürgerschaft, um dort unsere Forderungen in einem „Behindertenparlament“ zu debattieren. Dieses Behindertenparlament ist nun seit 25 Jahren eine jährlich stattfindende Institution geworden.

Forderungen mit rechtlicher Grundlage

Mit der UN-Behindertenrechtskonvention wurden unsere Menschenrechte konkretisiert und unserer Anspruch auf gleiche Teilhabe Gesetz. Daher werden wir im Behindertenparlament am 22. November vier zentrale Menschenrechte zur Grundlage von Forderungen an den Bremer Senat machen.

Wir wollen wissen: Wann ist die gesamte Bildung in Bremen inklusiv? Wie viele barrierefreie Wohnungen werden bis 2025 geschaffen? Wird der gesamte Nahverkehr bis 2022 barrierefrei? Wann werden alle öffentliche Gebäude anpasst sein? Wird der Übergang von der Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt verbessert? Wann wird die Arbeit in der Werkstatt so entlohnt, dass man seinen Lebensunterhalt davon bestreiten kann? Und wann kommt der Senat seinen gesetzlichen Verpflichten aus der Behindertenrechtskonvention nach, Inklusion und Teilhabe sicherzustellen – ohne Einschränkungen, Benachteiligungen, Diskriminierungen und Abwertung zum Bürger zweiter Klasse?

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1 Kommentar

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  • Zitat: „Der Slogan war kein Aufruf zur Gewalt, sondern ein Weckruf zur Selbstvertretung. Gesellschaft ändert sich nur, wenn wir sie ändern und unsere Teilhaberechte durchsetzen.“

    Der Slogan „Jedem Krüppel seinen Knüppel“ klingt zwar wie ein Aufruf zur Gewalt, ist aber offensichtlich nicht ganz so gemeint. „Krüppel“ mit „Knüppeln“ hätten nämlich keine Chance (gehabt) gegen dominante Sozialarbeiter, deren Unversehrtheit von einer Staatsmacht garantiert wird, die mit Wasserwerfern und Schusswaffen ausgerüstet ist und das Gewaltmonopol für sich reklamiert.

    Unsere ganze „abendländische Kultur“ basiert auf materieller Stärke und unterdrückter Aggression. Alle Kommunikation ist eine Machtfrage. Wo Menschen aufeinander treffen, schwingt immer auch die Drohung mit, der Aggression zur Abwechslung mal freien Lauf zu lassen, falls Forderungen nicht erfüllt und Privilegien nicht garantiert werden. Wäre es anders, hätte der provokative Slogan gar nicht funktionieren als „Weckruf“.

    Ob sich die angedrohte Gewalt dann gegen Fremde richtet oder gegen die eigene Person, ist vor allem eine Frage der Konstellation. Wer viel materielle Macht besitzt, kann mit der Angst des Gegenübers vor empfindlichen Schäden kalkulieren. Wer machtlos ist, kann seine Feinde nur ins Unrecht setzen. Und zwar indem er der übrigen Welt zeigt, wie dünn der kulturelle Lack über der urzeitlichen Aggressivität ist.

    Schwache können Erfolg haben mit Hungerstreiks. Starke nicht. Die könne nur entweder „Farbe bekennen“ (sich als Ar...ch outen) oder nachgeben, wenn vielleicht auch nur zu Schein. Die rechten Zombies haben sich bereits entschieden. Sie melden ihre „Teilhaberechte“ ganz unironisch an: Jedem (Geistes-)Krüppel ein realer Knüppel. Auf kulturellen Lack geben sie gar nichts.

    Zu so viel Traditionsbewusstsein kann sich derzeit nicht einmal die Union durchringen. Aber vielleicht ist die geistig-moralischen Wende der (noch) Herrschenden ja bloß eine Frage der Zeit. Ohne Macht kann Mann ja scheinbar nicht.