Hamburgs Justizbehörde stoppt JVA: Baby darf erstmal im Knast bleiben
Die JVA Billwerder wollte eine Mutter und ihr Baby trennen – gegen ihren Willen und die Empfehlung des Jugendamts. Nun rudert die Behörde zurück.
Unterstützung für diese Entscheidung bekommt sie vom Jugendamt. „Es handelt sich immer um Einzelfallentscheidungen. Aber für ein Neugeborenes ist der Kontakt zur Mutter das Wichtigste. Deshalb sollte man das Kind immer in der Obhut der Mutter lassen, wenn es keine schwerwiegenden Gründe dagegen gibt“, sagt Lena Stich vom Jugendamt Bergedorf.
Laut der Justizbehörde hatte die Anstaltsleitung entschieden, das Kind nicht gemeinsam mit seiner Mutter unterzubringen. Heute sagte Sprecherin Mareyke Frantzen, dass die Justizbehörde versuche, eine Lösung zu finden, die „dem Kindeswohl entspreche“.
Die Anwältin von Marie L., Christine Siegroth, hatte sich in Absprache mit ihrer Mandantin dazu entschieden, mit dem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Mandantin sei nun schon seit einem Monat inhaftiert und die Anstalt habe keine Vorbereitungen für die Obhut des Babys getroffen.
JVA-Leitung wurde erst kurz vor Geburtstermin aktiv
Da das Gefängnis vorhatte, das Kind nicht mit aufzunehmen, hätte die Leitung so früh wie möglich das Jugendamt informieren müssen, um beispielsweise Pflegefamilien anzufragen, so die Anwältin. Die Besprechung mit dem Jugendamt habe erst drei Tage vor dem errechneten Geburtstermin ihrer Mandantin stattgefunden, sagt sie.
Wenn inhaftierte Frauen ihre Kinder gebären, dann findet die Geburt in einem normalen Krankenhaus statt. „Mit Fußfesseln werden die Frauen im Krankenhaus überwacht“, sagt Anwältin Siegroth. „Danach kommen sie zurück in die Anstalt. Bei dem Baby liegt juristisch ab dieser Sekunde eine Kindeswohlgefährdung vor.“
In der Teilanstalt für Frauen in der JVA Billwerder gibt es eine Mutter-Kind-Station. Dort können die Mütter sich um ihre Kinder kümmern, bis sie fünf Jahre alt werden. Bei dieser Aufgabe werden sie von geschultem Personal unterstützt und die Kinder pädagogisch betreut.
Laut der Anwältin von Marie L. ist die Mutter-Kind-Station nicht voll. Es gibt acht Haftplätze, aber es seien aktuell nur zwei Mütter mit jeweils einem Kind untergebracht, so Siegroth. Für die Entscheidung, das Neugeborene nicht aufzunehmen, habe die Anstaltsleitung mehrere Gründe genannt. Zum einen gelte das Trennungsgebot von Strafhäftlingen und Häftlingen in Untersuchungshaft. Wenn man Marie L. und ihr Baby auf der Mutter-Kind-Station unterbrächte, wäre dieses Gebot gebrochen. In Ausnahmefällen kann das Gericht die Aufnahme dennoch genehmigen.
Außerdem führt die Gefängnisleitung an, in der JVA sei nicht rund um die Uhr ein pädagogischer Dienst vorhanden. Auch spreche Marie L. nur Französisch und könne sich deshalb nicht verständigen, wenn mit ihrem Baby etwas sei. In den Augen der Anwältin ist das unbegreiflich. „Die wollen einfach nicht, weil das Arbeit macht. Die Stimmung ist feindlich gegen alles, was nicht Alltag ist.“
Das Gefängnis ignorierte die Vorschläge des Jugendamts
Das Gefängnis hatte laut dem NDR ebenfalls vorgebracht, Marie L. habe keine Möglichkeit, ihr Kind während der Gerichtstermine zu betreuen. Das Jugendamt habe jedoch mehrere Vorschläge zur Betreuung gemacht, widerspricht Siegroth.
Auf die Frage, warum Marie L. ihr Kind nicht mit ins Gericht nehmen könne, antwortete das Gefängnis der Anwältin: „Wenn sie gefesselt ist, kann sie doch ihr Baby nicht halten.“ Aus ihrer Sicht wehre man sich mit Händen und Füßen gegen Hilfe für ihre Mandantin. Deshalb habe sie schon Beschwerde eingelegt.
Nun sind Marie L. und ihr Baby vorerst doch auf der Mutter-Kind-Station untergebracht. Laut Frantzen prüft die Justizbehörde derzeit „alle Optionen einer längerfristigen gemeinsamen Unterbringung“.
(* Name geändert)
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen