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Niedersachsens LandesverfassungRassenwahn vielleicht heilbar

Das Konzept „Rasse“ ist überholt. In Niedersachsens Landesverfassung steht das Wort aber noch drin. Grüne und FDP wollen das ändern.

Blau, braun, grün, bunt: Ein Exponat einer Ausstellung über Rassismus im Hygiene-Museum in Dresden Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Bremen taz | Die Grünen-Fraktion in Niedersachsen will das Wort „Rasse“ aus der niedersächsischen Landesverfassung streichen und durch „rassistisch“ ersetzen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf stellte am Donnerstag ihr rechtspolitischer Sprecher Helge Limburg vor.

Gegenwärtig heißt es in Artikel 3 der Landesverfassung: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Die Grünen fordern jetzt: Das Wort „Rasse“ soll ersetzt werden durch die Formulierung, dass niemand „rassistisch“ benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. Außerdem wäre nach ihrer Vorstellung die Aufzählung um das Merkmal „sexuelle Identität“ zu ergänzen.

Die Grünen begründen ihren Vorstoß damit, dass seit Langem unzweifelhaft feststehe, dass es keine Menschenrassen gebe. Tatsächlich war das Konzept von der Unesco nach jahrzehntelangem Ringen 1978 für überholt befunden worden. Im Jahr 1995 wurde diese Einsicht in der Erklärung von Prinzipien der Toleranz bekräftigt.

Ulrich Kattmann ist emeritierter Professor der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Unter anderem im „Lexikon der Biologie“ und im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung hat er sich mit dem Rasse­konzept auseinandergesetzt: „Menschenrassen – ein längst überholtes Konzept“ heißt einer seiner Beiträge von 2002. Ein weiteres Werk von 2003 trägt den provokativen Titel „Sind wir alle Neger? Biologische Rassenkonzepte sind wissenschaftlich nicht haltbar“.

Im Sinne einer biologischen Systematik bilden alle lebenden Menschen eine Art

Ulrich Kattmann, Professor em. Uni Oldenburg

Kattmann ist der Auffassung, dass der Rasse­begriff ein sozialpsychologisches Konzept ist: „Man will sich unterscheiden: Wir und die Anderen“, sagt er. Der Mensch strebe danach, sich gegen andere abzugrenzen. Biologisch gesehen sei eine Unterscheidung zwischen Rassen aber nicht haltbar. „Im Sinne einer biologischen Systematik bilden alle heute lebenden Menschen eine Art“, schreibt er in einem Artikel für die Online-Ausgabe von Spektrum.

Den Vorschlag der Grünen, den Begriff „Rasse“ jetzt durch „rassistisch“ zu ersetzen, hält er dennoch für verfehlt. Wenn man der Ansicht sei, dass es Rassen nicht gebe, dann solle man den Begriff ganz streichen, sagt er. „Wenn man etwas rassistisch nennt, negiert man ja nicht, dass es Rassen gibt“, sagt er. Er ist der Meinung, dass eine Forderung, Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft zu diskriminieren, den Aspekt bereits abdeckt, den die Grünen mit der Aufzählung des Rassismus einfangen wollen. „Die Herkunft kann ja sowohl das Land sein, in dem man geboren ist, als auch die Kultur, mit der man aufgewachsen ist“, sagt Kattmann der taz.

Bereits im Juni 2014 hatte die FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag geplant, einen ganz ähnlichen Antrag einzureichen. Dieser sah ebenfalls eine Ergänzung des Merkmals der sexuellen Identität vor. Das Wort „Rasse“ wollte die FDP jedoch ersatzlos aus der Verfassung streichen. Zu einer Abstimmung über den Gesetzentwurf kam es allerdings nie. Bevor über den Entwurf abgestimmt werden konnte, löste sich der niedersächsische Landtag auf: Der Übertritt der vormals Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU bedeutete damals den Verlust der Regierungsmehrheit.

„Wir würden den Begriff Rasse gerne vollständig aus der Verfassung streichen, weil Menschen heutzutage nicht mehr nach Rasse unterschieden werden“, sagt der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marco ­Genthe zum aktuellen Vorschlag der Grünen. Auch die FDP halte den Begriff „rassistisch“ für einen fragwürdigen Ersatz. Genthe sehe „die mit ‚rassistisch‘ gemeinte Diskriminierung bereits durch die weitere Auflistung wie Abstammung, Herkunft und Heimat in gewisser Weise abgebildet.“

„Die Zielrichtung von unserem Gesetzentwurf ist primär, dass der Begriff ‚Rasse‘ aus der niedersächsischen Landesverfassung gestrichen wird“, sagt Helge Limburg. „Wir sind aber zu Gesprächen bereit.“

Würden bei der Diskussion über das Gesetz die anderen Parteien dem Streichen des Wortes „Rasse“ zustimmen, aber würde sich keine Mehrheit dafür aussprechen, den Begriff durch „rassistisch“ zu ersetzen, sei man auch mit einer ersatzlosen Streichung einverstanden, so Limburg. Das, was „rassistische“ Diskriminierung beschreibt, sei für ihn aber mehr, als Diskriminierung aufgrund der Herkunft. „Diskriminierten Menschen darf nicht die Möglichkeit genommen werden, selber zu definieren, wofür sie sich diskriminiert fühlen“, sagt er. Eine „rassistische“ Diskriminierung umfasse mehr als die reine Herkunft des Diskriminierten.

Bei der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland kommt der Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion sehr gut an. „Wir finden das total super“, sagt Tahir Della, Sprecher der Ini­tiative. Es habe bereits in anderen Landesparlamenten Versuche gegeben, das Wort „Rasse“ aus den Landesverfassungen zu streichen. Das sei dann aus verschiedenen Gründen jeweils gescheitert. Darum begrüße die Initiative den Vorstoß der Grünen-Fraktion in Niedersachsen umso mehr. Der Plan, das Wort „Rasse“ durch „rassistisch“ zu ersetzen, sei der richtige Weg.

„Der Blick muss umgekehrt werden“, sagt Della: „Es sollte nicht mehr die Gruppe beschrieben werden, die diskriminiert wird, sondern der Grund, aus dem Diskriminierung passiert.“ Dass es Rassen nicht gebe, sei hoffentlich inzwischen klar. „Das heißt aber nicht, dass es rassistisches Handeln nicht gibt.“

Menschen würden aus den unterschiedlichsten Gründen diskriminiert. Die Herkunft spiele bei rassistischen Diskriminierungen aber nicht immer eine Rolle. „Wir können dem Problem von Rassismus doch nur begegnen, wenn es im Gesetz benannt wird“, sagt er. „Wenn der Begriff ‚Rasse‘ ersatzlos gestrichen wird, blenden wir aus, dass es Rassismus gibt. Der Begriff Rassismus beinhaltet, dass es Rassen nicht gibt und trotzdem diese Diskriminierung stattfindet.“

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6 Kommentare

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  • Das GG ist den Landesverfassungen übergeordnet. Und darin steht in Art. 3 dasselbe.

  • der begriff "rasse" ist auch in der allgemeinen erklärung der menschenrechte enthalten und müsste auch dort so korrigiert werden wie es die grünen vorschlagen.:



    Art 2:



    Everyone is entitled to all the rights and freedoms set forth in this Declaration, without distinction of any kind, such as RACE, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, property, birth or other status. Furthermore, no distinction shall be made on the basis of the political, jurisdictional or international status of the country or territory to which a person belongs, whether it be independent, trust, non-self-governing or under any other limitation of sovereignty.







    Art 16:



    (1) Men and women of full age, without any limitation due to RACE, nationality or religion, have the right to marry and to found a family. They are entitled to equal rights as to marriage, during marriage and at its dissolution.



    (2) Marriage shall be entered into only with the free and full consent of the intending spouses.



    (3) The family is the natural and fundamental group unit of society and is entitled to protection by society and the State.

    im hinblick auf die liberalen wäre noch zu sagen dass sie eigentlich keinerlei recht haben sich an dieser diskussion zu beteiligen oder in ihr gehört zu werden weil der rassismus ja schliesslich eine liberale erfindung ist



    dass die heutigen liberalen keine rassisten mehr sein wollen und oft auch keine sind ändert daran nichts und es gibt ihnen jedenfalls nicht das recht die kriminalgeschichte des liberalismus in der der rassismus eine grosse rolle gespielt hat schönzulügen.

  • Ich denke auch, wenn sollte man den Begriff "Rasse" ganz streichen. Andererseits ist die Welt voller Widersprüche. Z.B. ist es vielen schwarzen Menschen wichtig, dass Europäer und weiße US-Amerikaner schwarze Menschen lange unterdrückt und versklavt haben und dass in Diskussionen aufgrund der Hautfarbe und Herkunft Täteraspekte und Opferaspekte genannt werden, ist vielen Menschen sehr wichtig.

    Den Begriff "Rasse" noch mit biologischen Rassemerkmalen zu verbinden und in der Richtung zu argumentieren kommt mir dagegen aus der Zeit gefallen vor. Zumindest in D: gibt es noch politisch maßgebliche Kreise, die das tun?

    Es geht doch den meisten um Gruppenzugehörigkeiten und Identitäten. Das niemand diskriminiert werden soll ist klar. Aber gerade in Bezug auf Migranten ist es doch überhaupt Thema, weil viele Migranten nicht einfach eine deutsche Einheitsidentität wollen, sondern sich ihren Identitäten und Gruppen verbunden fühlen.

    Mir scheint es da wenig zu bringen von außen Sprachakrobatik zu betreiben, die dann am eigentlichen Thema noch vorbeigeht, weil es niemandem um wissenschaftlich-biologische Aussagen geht.

  • Ich habe aus dem bio Unterricht noch im Kopf, dass Art und Rasse nicht das selbe bedeutet. Wenn ich mich recht erinnere, bezeichnet der Begriff Rasse einfach eine unterkategorie. Danach zu urteilen, ob ein Mensch mehr Wert ist oder irgendwelche rassen rein halten zu wollen bezeichne ich als rassenwahn und rassistisch. Beides lehne ich ab.

    Ich frage mich allerdings wirklich, ob es sinnvoll ist, ständig neue Bezeichnungen zu finden, weil diese gerade im Sprachgebrauch passender sind.



    Mag mal sinnvoll sein, mal nicht.

    Zumindest bei dem Tempo, wie das in dieser Gesellschaft vonstatten geht, komme ich zum Teil nicht mehr mit.

    Kann man kritisieren, mir ist nur einfach wichtiger, dass verstanden wird was gemeint ist und oft nicht die Bezeichnung.



    Ich benutze aus genau diesem Grund manche Bezeichnungen nicht, denn dann kommt es schnell zu Missverständnissen.

    Mmh,



    Ich wünsche noch einen schönen Tag.

  • Schade, dass die heutige Politik alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, wie die der Chemie, Biologie und Physik abstreitet und nur noch ideologisch agiert. Das kann auf Dauer nicht gutgehen, ist aber wohl der Tatsache geschuldet, dass immer mehr Leute aus reinen Parteikarrieren, ohne Abschlüsse und praktische Erfahrung, in die Politik drängen.

    • @Jan Ströher:

      Wie kommen Sie darauf, dass dieser Antrag nur ideologisch motiviert ist? Es ist doch ausführlich beschrieben, dass der Grund dafür der ist, dass biologische Kenntnisse (spätestens seit den 70er Jahren auch in internationalen Schriften anerkannt) den Begriff von unterschiedlichen menschlichen Rassen widerlegt haben...



      Also wohl eher von ihrer Seite eine ideologische Herangehensweise?