Synagogen-Initative in Hamburg: Zurück auf den Bornplatz
Hamburgs größte Synagoge stand gleich neben der Universität – bis zu Schändung und Abriss. Jetzt wird über einen Wiederaufbau diskutiert
Auf seiner Rückseite ist es ruhiger, aber vielleicht auch nur dunkler an so einem Spätherbst-Abend. Hier heißt die Freifläche Joseph-Carlebach-Platz, nach Hamburgs für lange Zeit letztem Hauptrabbiner, 1941 deportiert und ermordet. An dieser Seite des Gebäudes hängt ein Plakat, in mehreren Sprachen wird das Überleben beschworen, auch auf Jiddisch. Und ein Plakette klärt auf über ein Kunstwerk , das hier irgendwo zu sehen sein soll: Margrit Kahl, „Synagogenmonument“.
Der heutige Allende- und der Carlebach-Platz sind zwei Hälften dessen, was einmal der Bornplatz war. Hier stand ab 1906 Hamburgs größte Synagoge, ein selbstbewusst freistehender Bau im neuromanischen Stil mit einer eindrucksvollen Kuppel. Die Pogrome am 9. November 1938 überstand sie, wenn auch beschädigt – im darauffolgenden Frühjahr dann musste die damalige Israelitische Gemeinde abreißen lassen, was noch stand von der Synagoge. Ihren Grundriss macht seit 1988 Kahls „Monument“ nachvollziehbar: in Form von polierten Granitsteinen, die in den Platz eingelassen sind.
„Jeden Tag, an dem ich da vorbei kommen, empfinde ich eine große und weiter bestehende historische Ungerechtigkeit“, sagt Philipp Stricharz, Anfang 40 und der 1. Vorsitzende von Hamburgs Jüdischer Gemeinde. „Da steht einerseits ein Platz leer – da sollte aber eine Synagoge stehen. Stattdessen steht da dieser sogenannte Hochbunker – der sollte dort nicht stehen“: der Uni-Bau mit den dicken Wänden.
Mit einem Gottesdienst und der Hawdala-Zeremonie erinnert die Jüdische Gemeinde Hamburg auch in diesem Jahr an die Pogromnacht im November 1938: Sa, 9.11., 18.30 Uhr, Joseph-Carlebach-Platz
„Bis heute brisant“, nennt der Gemeindevorsitzende es, „wie damals mit dem Platz und der Synagoge umgegangen wurde, also: nach der Schoah, durch den wieder demokratisch gewählten Senat“. Da habe derselbe Beamte, der 1939 den zwangsweisen Verkauf der Synagoge besorgte, nach dem Krieg die Verhandlungen zur Entschädigung geführt: „Das war dieselbe Person. Geld ist dann geflossen an eine jüdische Organisation, die Jewish Trust Corporation for Germany, nicht an die Gemeinde selbst – und damit war das Thema sozusagen gegessen.“
Dass sich an dieser Ungerechtigkeit etwas ändern könnte: Dafür stehen die Zeichen in Hamburg gar nicht so schlecht, besser jedenfalls als vor zehn oder 20 Jahren. Gerade wird in der Stadt darüber diskutiert, ob hier, im einst jüdisch geprägten Grindelviertel, nicht wieder ein sichtbares Zeichen jüdischen Lebens entstehen könnte. Genauer genommen: ein weiteres. Am Rand des Carlebach-Platzes gibt es seit 2007 wieder eine jüdische Schule, in einem Gebäude, das bis 1942 schon mal eine war; inzwischen ist daraus das Joseph-Carlebach-Bildungshaus geworden, das auch Nichtjüd*innen offensteht. Im kommenden Jahr soll hier ein Abiturjahrgang entlassen werden, der erste jüdische seit Kriegsende – europaweit.
Als die Hamburgische Bürgerschaft vor etwas mehr als zwei Wochen über den antisemitischen Anschlag in Halle debattierte, ging es plötzlich auch um die Schule und den Platz. Ihm sei es wichtig gewesen „auch den Aspekt der Förderung jüdischen Lebens in unserer Stadt hervorzuheben“, erzählt Anjes Tjarks, Fraktionschef der Grünen. „In diesem Zusammenhang habe ich die Erweiterung der Joseph-Carlebach-Schule gelobt und die Idee geäußert, eine Synagoge zu bauen. Und zwar dort, wo schon mal eine stand.“
In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt nahm dann Shlomo Bistritzky den Ball auf, der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde. Auch dieses Gespräch drehte sich um Halle und die Bedrohungslage. Aber weil er nun mal gefragt wurde, unterstützte auch Bistritzky die Idee mit einer Synagoge am angestammten Platz, und das Blatt hob diesen Aspekt in die Überschrift. Schon in der Parlamentsdebatte hatten sich erste andere Fraktionen zustimmend geäußert, zunächst CDU und FDP. Inzwischen haben weitere Parteien Unterstützung signalisiert, ebenso die Kirchen, auch von muslimischer Seite solle die Jüdische Gemeinde Post bekommen haben, und am Freitag nun bekannte sich auch SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher zu dem Projekt: Eine Machbarkeitsstudie soll in Auftrag gegeben werden.
Freude über die Bornplatz-Diskussion äußert auch Galina Jarkova, die Vorsitzende der sehr viel kleineren Liberalen Jüdischen Gemeinde. Jedes Zeichen für die Lebendigkeit des Judentums sei gut, sagt sie der taz – aber sie weist auch drauf hin, dass ihre Gemeinde sich bislang nicht berücksichtigt fühle.
Bei allem Konsens: „Die Herausforderungen sind mannigfaltig und nicht einfach wegzudiskutieren“, sagt Tjarks. Neben der Finanzierung oder auch den Denkmalschutzfragen ist etwa auch offen, was werden könnte aus der bestehenden, 1960 eröffneten Synagoge. „Die kennen ja viele Menschen gar nicht“, sagt Stricharz. „Und sie hat, von ihrer Anmutung, etwas von einem Hochsicherheitstrakt.“ Zwar seien viele der heutigen rund 3.000 Gemeindemitglieder sozusagen dort groß geworden, aber sie „sendet ein Signal von Verstecktheit, von Abgeschottetheit“.
Wie er die Aussichten einschätzt, dass es am alten Bornplatz wieder eine Synagoge geben könnte? Das sei „sehr realistisch“, sagt Stricharz. Es komme ihm vor, „als wäre der Wille da, auch seitens führender Köpfe in der Stadt“. Und das Areal „wieder jüdisch zu machen, das mag pathetisch klingen, wäre ein später Sieg“.
Mehr zu norddeutschen Diskussionen um Synagogen und die Sichtbarkeit vonJüd*innen lesen Sie in der taz nord am Wochenende 9./10.11. oder hier
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