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Allein unter Weißkitteln

Menschen mit Demenz fühlen sich im Krankenhaus oft sehr verloren – einige Kliniken steuern dagegen und fördern die bessere Fortbildung von Pflegekräften

Braucht spezielle Zuwendung: Patientin einer Wohngemeinschaft für demenzkranke SeniorInnen Foto: imago/epd

Von Joachim Göres

Eine Frau Mitte 80 kommt wegen eines Oberschenkelhalsbruchs ins Krankenhaus. Sie spricht wenig, wirkt abwesend, rührt das Essen kaum an, steht selten auf, zieht sich immer mehr zurück und wird in einem deutlich schlechteren körperlichen Zustand als vor der Einlieferung entlassen. Die fremde Umgebung, der andere Tagesablauf, lange Wartezeiten, enger Körperkontakt – all dies löst bei ihr Stress aus.

„Das ist ein typischer Fall, bei dem im Krankenhaus nicht erkannt wurde, dass die Frau an Demenz erkrankt ist. Dadurch dauert die Heilung länger“, sagt Tom Motzek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Demografie und Diversität der TU Dresden. Er hat die Daten der Mitglieder der AOK Plus aus dem Jahr 2014 ausgewertet – danach werden Menschen mit Demenz um ein Drittel häufiger in Krankenhäuser eingewiesen und im Schnitt 1,8 Tage später entlassen als Personen ohne Demenz.

Derzeit sind in Deutschland rund 1,7 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, bis 2050 wird sich diese Zahl voraussichtlich auf drei Millionen erhöhen. „Schon aus wirtschaftlichen Gründen ist es sinnvoll, stärker auf Menschen mit Demenz im Krankenhaus einzugehen“, sagt Motzek.

Die Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen hat darauf reagiert und bietet seit 2015 eine Fortbildung zum*r Demenzbeauftragten an. Sie richtet sich vor allem an Beschäftigte in Krankenhäusern, umfasst 160 Stunden und findet vom Februar bis Juli 2020 monatlich an jeweils einem Wochenende in Hannover statt. Dort geht es um Themen wie Demenz und Delir, demenzgerechte Ansätze, Zusammenarbeit mit Angehörigen sowie Kontakt und Umgang. Zur Fortbildung gehört auch eine viertägige Hospitation in einer demenzspezifischen Einrichtung.

Tanja Sädtler von der Landesvereinigung hat eine Befragung der AbsolventInnen ausgewertet. Sie betreuen im Krankenhaus Menschen mit Demenz, beraten Angehörige, organisieren Fortbildungen für das Klinikpersonal und koordinieren den Einsatz von Ehrenamtlichen. Sie sollen so zur Entlastung von Pflegekräften beitragen, Eskalationen vermeiden und als Vertrauensperson bereitstehen. Ziel ist es auch, dass Demenzbeauftragte bei einer Renovierung Einfluss nehmen, damit diese Arbeiten zu einer besseren Orientierung für die Patienten genutzt werden. Einige Demenzbeauftragte werden von anderen Tätigkeiten entlastet und können so feste Sprechzeiten anbieten.

Am Klinikum Osnabrück haben bislang zwölf Mitarbeiterinnen an der Fortbildung erfolgreich teilgenommen. „Das Interesse daran ist groß. Unser Ziel ist es, auf jeder unserer 20 Stationen eine speziell geschulte Kraft zu haben“, sagt Pflegedienstleiterin Annette Sechelmann. Auf der geriatrischen Station gibt es in einem abgetrennten Bereich zehn Plätze für Menschen mit hohem Bewegungsdrang, wo durch spezielle Türen das Weglaufen verhindert werden soll. Die Zimmer sind in einem warmen Farbton gestrichen, es wird für viel Tageslicht gesorgt. „Das wirkt beruhigend“, sagt Sechelmann.

Vor kurzem bekam das Klinikum Osnabrück vom niedersächsischen Gesundheitsministerium einen Preis in Höhe von 40.000 Euro für die Umsetzung eines neuen Projekts. Dazu gehört ein sogenanntes mobiles Demenzzimmer, das auf allen Stationen eingesetzt werden kann – PatientInnen sollen sich durch das Anbringen von Uhren, Kalendern und Bildern an den Türen besser zurechtfinden. Für sie soll künftig ein spezielles Ernährungskonzept erstellt werden. Zudem sollen sie persönlich auf Plattdeutsch angesprochen werden. Sechelmann räumt ein: „Die Demenz wird immer noch viel zu oft nicht erkannt. In der Notaufnahme fehlt häufig die Zeit, gerade in der Chirurgie geht viel unter, Hausärzte geben Infos teilweise nicht weiter.“

Im Braunschweiger Krankenhaus Marienstift haben sich die medizinische Fachangestellte Kirsten Lobsien, die Krankenpflegerin Caroline Roß und der Arzt Jörg Mayer zu Demenzbeauftragten fortgebildet. Sie wollen möglichst viel über den Erkrankten wissen, um Vorlieben und Abneigungen berücksichtigen zu können. „So können wir bestimmte Rituale auch während des Krankenhausaufenthalts ermöglichen.

Auch private Gegenstände wie Tasse, Lieblingskissen oder Fotos können und sollen mit ins Krankenhaus gebracht werden“, sagt Lobsien. Im Marienstift legt man viel Wert auf engen Kontakt zu Angehörigen. „Ihre Anwesenheit im Krankenhaus hilft den betroffenen Patienten wie auch uns. Deshalb wird in unserem Haus auch ein Rooming-in angeboten“, sagt Roß. Dass Angehörige im Krankenhauszimmer mit übernachten können ist allerdings keine Selbstverständlichkeit. „Ein Bett für den gesunden Partner eines Menschen mit Demenz wird nicht von den Krankenkassen vergütet. Da ist ein Sinneswandel nötig“, glaubt Helge Engelke, Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft.

Die Zimmer sind in einem warmen Farbton gestrichen, es wird für viel Tageslicht gesorgt. Das wirkt beruhigend

Auf der Homepage der Deutschen Krankenhausgesellschaft finden sich weitere positive Beispiele. Dazu zählt auch die Station Silvia im Malteser St.-Franziskus-Hospital in Flensburg, wo alle Eingelieferten ab 65 Jahren auf ihre kognitiven Fähigkeiten überprüft werden. Vier Einzel- und drei Doppelzimmer stehen dort für leicht bis mittelschwer an Demenz erkrankte Personen bereit – sie müssen noch so mobil sein, dass sie in einem auf der Station nostalgisch eingerichteten Wohnzimmer gemeinsam miteinander essen können.

Lichtschalter, Toilettendeckel und Geschirr sind rot, durch die kontrastreiche Farbe sollen sich die PatientInnen besser zurechtfinden. Zum Konzept gehören auch die Schulung und der Einsatz von haupt- und ehrenamtlichen Alltagsbegleitern. Es wird auf vertraute Gesichter gesetzt, damit die Betroffenen nicht durch häufigen Personalwechsel verwirrt werden. So viele Untersuchungen wie möglich finden auf der Station statt.

Wie wichtig es ist, etwas über die Biografie des Erkrankten zu wissen, macht der Leiter der Alzheimer-Gesellschaft Hannover, Jürgen Brommer, deutlich: „Ein Mann beschwerte sich, dass die Tür seines Zimmers nicht geschlossen sei, obwohl sie zu war. Er arbeitete früher in einer Metzgerei – dort steht der Griff nach oben, wenn die Tür zum Kühlraum geschlossen ist. Wir haben die Klinke entsprechend geändert, dann war Ruhe.“

Motzek hat anhand der Krankenkassendaten festgestellt, dass bei Demenzerkrankten weniger Diagnostik und Operationen stattfinden als bei anderen PatientInnen. Werden Menschen mit Demenz im Krankenhaus nicht adäquat versorgt? Eine Frage, deren Antwort er offen lässt.

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