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OECD-Studie zu AdipositasDie Deutschen sind zu dick

Die OECD hat eine neue Studie zu Übergewicht vorgestellt. Die Untersuchung betont Risiken und Kosten für die Betroffenen – auch in Deutschland.

Gefährlich: Übergewichtige haben statistisch betrachtet öfter mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen Foto: dpa

Berlin taz | Einer von vier Erwachsenen in Deutschland ist übergewichtig. In Zahlen ausgedrückt, sieht das ungefähr so aus: Ein Mann, der 1,88 groß ist und 100 Kilo wiegt, ist eindeutig zu dick. Sein Body Maß Index (BMI) beträgt 28,3. Übergewicht beginnt bei einem BMI von 25. Eine Frau mit einer Größe von 1,66 ist zu schwer, wenn sie mehr als 75 Kilo wiegt, sie hat einen BMI von 27,2. Normal wäre 26.

Mittlerweile bringen aber auch mehr und mehr Kinder und Jugendliche hierzulande zu viel Gewicht auf die Waage: Jedes siebte Kind ist zu dick oder sogar fettleibig. Darauf macht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD in einer aktuellen Studie am Weltadipositastag am Freitag aufmerksam. Für die Betroffenen kann das fatale Folgen haben: Übergewichtige Mädchen und Jungen werden in der Schule häufiger gemobbt als normalgewichtige Kinder. Sie bringen schlechtere Noten nach Hause und fehlen öfter im Unterricht, weil sie häufiger krank sind. Später haben sie durchschnittlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Die OECD weist verstärkt auf die ökonomischen Folgen von Übergewicht und Fettleibigkeit hin. So leben Dicke in Deutschland durchschnittlich nicht nur etwa 2,6 Jahre kürzer als Menschen ohne Übergewicht. Sie verursachen auch hohe Kosten, vor allem im Gesundheitsbereich. Im Laufe ihres Lebens leiden nicht wenige Betroffene an chronischen Krankheiten, darunter Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck, Knochenprobleme.

Der OECD zufolge werden etwa 8,4 Prozent der medizinischen Ausgaben für die Behandlung von Krankheiten ausgegeben, die durch Übergewicht entstanden sind. Allein 70 Prozent der Behandlungskosten für Diabetes sind durch Adipositas verursacht. In Deutschland tragen diese die Steuerzahler*innen. Laut OECD sind das 431 Euro jährlich, die jede*r über die Steuern an die Gesundheitssysteme weitergibt.

Übergewicht trägt auch dazu bei, dass Frauen und Männer schwerer einen neuen Job finden. Die OECD hat herausgefunden, dass Fettleibige eine 8 Prozent geringere Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Und wer eine Stelle hat, ist mit 3,4 Prozent größerer Wahrscheinlichkeit öfter krank und weniger produktiv. Ebenso besteht ein enger Zusammenhang zwischen Einkommen und Übergewicht, so die OECD-Expert*innen: „Frauen und Männer der untersten Einkommensgruppe entwickeln im Vergleich zu Frauen und Männern der höchsten Einkommensklasse mit 90 und 50 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit krankhaftes Übergewicht.“

Ein globales Problem

Das ist nicht allein ein deutsches, sondern ein globales Problem. Zwischen 1980 und 2015 hat sich laut einem internationalen Expertengremium der Prozentsatz fettleibiger Menschen in mehr als 70 Ländern verdoppelt. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sterben jedes Jahr rund 2,8 Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht und Fettleibigkeit.

Was kann man tun? Politisch für eine gesunde Lebensweise sorgen, meint OECD-Generalsekretär Angel Gurría: „Die Studienergebnisse zeigen, wie sehr wir eine Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik brauchen, die das Leben der Menschen verbessert. Mit echter Präventionspolitik können wir verhindern, dass sich der Trend zu krankhaftem Übergewicht in den kommenden Generationen fortsetzt.“ Davon werde vor allem die Wirtschaft profitieren.

Konkret heißt das: weniger Zucker, weniger Fett, mehr Bewegung, Kennzeichnung von ungesunden Lebensmitteln. Das sind keine neuen Erkenntnisse, in Deutschland wird seit langem über die Lebensmittelampel debattiert. Jetzt hat CDU-Ernährungsministerin Julia Klöckner den Nutri-Score eingeführt: fünf rechteckige Kästchen, farblich abgestuft, links grün, rechts rot. Je grüner ein Produkt ausgewiesen ist, desto gesünder soll es sein. Von Lebensmitteln mit roter Warnung – viel Zucker, Fett, Salz – lässt man besser die Finger.

Der Nutri-Score sorge für eine bessere Orientierung, sagte Klöckner kürzlich bei der Vorstellung der Kennzeichnung. Er soll beispielsweise Pizzen, Wurst und Käse kennzeichnen. Allerdings ist der Nutri-Score keine Pflicht, Lebensmittelproduzent*innen können selbst entscheiden, ob sie ihre Waren damit ausweisen.

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5 Kommentare

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  • Hier werden diskriminierende Kategorien unkritisch reproduziert.



    Der BMI ist nicht wissenschaftlich. Eine Frau, die mit 1,66m 75kg wiegt, kann sehr trainiert sein und kaum Körperfett haben (was nicht gesund ist), das wird in den Zahlen nicht abgebildet. Wer definiert, wann wer zu schwer ist? Keine Fakten, sondern kulturell konstruierte Kategorien.



    Und die führen in unserem Kontext oft zu Selbsthass und Essstörungen, was dieser Artikel mit fördert. 75kg sind NICHT eindeutig zu schwer.



    Übrigens kann Dick sein von chronischen Krankheiten, psychischen Problemen, Stoffwechsel, zu wenig Zeit für Bewegung, zu wenig Geld für "gesundes" Essen... kommen, nicht nur von Zucker und Fett.



    Dann stellt der Artikel es so dar, als wären Mobbing und schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt Folgen von Dick sein. Das sind aber Folgen von genau den Vorurteilen, die der Artikel reproduziert, die über dicke Menschen vorherrschen. Nicht die Dicken müssten ihr Körpergewicht ändern, sondern die Diskriminierenden ihre Normen hinterfragen und ihr Verhalten ändern.



    Schlechte "Leistungen" sind auch nicht zwingend eine Folge des Gewichts, sondern eventuell von dem Druck und Leiden, die die Diskriminierung erzeugt, und dem voreingenommenen Blick, den zB Lehrer*innen auf dicke Kinder haben. Wenn ich denke, einem Kind schon ansehen zu können dass es faul ist, dann werde ich seine Leistungen auch so wahrnehmen.



    Besonders perfide finde ich die Aufrechnung von Kosten und Produktivität, wo die taz ja auch kapitalismuskritisches veröffentlicht und es somit eigentlich besser wissen müsste. Es ist nicht an sich gut, in diesem Wirtschaftssystem produktiv und immer da zu sein, außer für die Wirtschaft. Wenn Menschen das nicht leisten können/wollen, ist das okay. Würdet ihr auch einen Artikel veröffentlichen, in dem steht, wie unproduktiv psychisch Kranke sind und wie viel sie "uns" kosten?



    Der Wert von Menschen misst sich nicht an ihrer Produktivität. Dicke Menschen schulden es niemand, dünn zu sein/werden.

  • Der Artikel schafft ein Zerrbild. Es beginnt bereits damit, unhinterfragt Normen in den Raum zu stellen. Dabei haben Menschen unterschiedliche Körper. Dicksein wird im Verlauf mit vielem in Zusammenhang gebracht und der Eindruck erweckt, Dicksein generell wäre ursächlich. Weil die Menschen dick sind, werden sie gemobbt - Okay, soweit so gut. Da fehlt der Hinweis auf Körper-/Schönheitsnormen und entsprechende Diskriminierungsformen wie Fatshaming, Sexismus, Lookismus. Dann werden weitere Merkmale/Wahrscheinlichkeiten von Nachteilen von dicken Personen aufgezählt und suggeriert, es bestünde ein Zusammenhang. Erst in der Mitte des Artikels wird ein weiterer Zusammenhang aufgemacht: nämlich die soziale Herkunft. Das wäre doch mal ein Punkt, den es genauer zu untersuchen gälte. Erwiesen ist, dass Menschen aufgrund der Zuweisung einer niedrigeren sozialen Schicht/Status und einer niedrigeren Teilhabe eine schlechtere Lebensperspektive haben. D.h. Ungleichheit und soziale wie materielle Benachteiligung führen zu massiven Nachteilen. Anders ausgedrückt: massive Bereicherung verschafft wenigen Privilegien und verwehrt vielen ein gutes Leben. Der Artikel suggeriert aber in meinen Augen fälschlicherweise, dass Dicksein, eine BMI-Überschreitung von x (allein) zu Krankheit etc. führe. Vollends daneben ist dann der Schluss, in dem Frau Schmollack resümiert, was und wie getan werden müsste. Die Schuld und deren Ausräumung liege bei den einzelnen Dicken. Ausgeblendet werden die gesellschaftlichen Verhältnisse und Ursachen und der Fakt, dass es unterschiedliche Körper und Körperformen gibt und Dicksein nicht verkehrt ist!



    Statt Weltadipositastag braucht es mehr Aufmerksamkeit für den Weltantidiättag. Der ist am 6. Mai.



    Vielleicht einfach mal hier:



    en.wikipedia.org/w..._stigma_of_obesity



    und hier:



    en.wikipedia.org/wiki/Body_positivity



    ... weiterlesen. Oder hilfreiche Videos via Schlagwortsuche wie Fatshaming, Bodypositivity finden und gucken.

  • "Sie [die Dicken] verursachen auch hohe Kosten, vor allem im Gesundheitsbereich."



    Ob das auch wieder so eine Milchmädchenrechnung ist, wie bei den Rauchern ? Wenn man bei einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die durch Rauchen entstehenden Krankheitskosten den Einsparungen bei Rente, Pflege und Gesundheit durch das frühere Ableben von Rauchern gegenüberstellt, verursachen diese nämlich keine Kosten für die Allgemeinheit sondern sind "Nettozahler".



    www.fr.de/wirtscha...iger-11146636.html

  • BMI fand ich schon immer Schwachsinnig. Wie sieht es mit Muskelpaketen aus? Viel Gewicht durch Muskeln aber trotzdem nicht Fett.

  • Sekunde, ist das nicht Fat Shaming? Ich dachte, Körpernormen seien grundsätzlich des Teufels, auch wenn sie von Ärzten stammen und der Vermeidung schwerer Krankheiten dienen.