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Mietendeckel bedroht soziale Träger„Wir sind extrem aufgescheucht“

Ausgerechnet für soziale Organisationen ist der Mietendeckel eine Gefahr, warnt Gabriele Schlimper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin.

Senioren-WG statt Heim: Dafür mieten soziale Träger Wohnungen an Foto: dpa
Manuela Heim
Interview von Manuela Heim

taz: Frau Schlimper, warum sind steigende Gewerbemieten denn ein besonderes Problem für soziale Organisationen?

Gabriele Schlimper: Obwohl wir uns nur aus staatlichen Zuschüssen und Leistungen der Krankenkassen finanzieren, werden soziale Organisationen grundsätzlich als Gewerbe angesehen. Das ist schon schwierig genug, steigende Büromieten treffen uns ähnlich hart wie den kleinen Einzelhändler um die Ecke. Ein Großteil unserer Arbeit findet aber gar nicht im Büro, sondern unter anderem in Wohnungen statt, die wir zum Beispiel für Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen, Obdachlose, Menschen mit Suchterkrankungen oder Jugendliche anmieten. Dafür gilt dann aber auch das Gewerbemietrecht, und der Immobilieneigentümer hat ganz andere Möglichkeiten, was Mieterhöhungen betrifft. Deshalb sind wir jetzt auch extrem aufgescheucht durch den Mietendeckel.

… mit dem der Berliner Senat die explodierenden Wohnungsmieten ab kommenden Jahr deckeln will. Das ist doch sehr sozial.

Im Prinzip schon. Die in unseren Wohnungen betreuten Menschen bekommen aber die gleichen Zuschüsse für die Unterbringungskosten wie jeder andere Transferleistungsempfänger auch. Wenn die Wohnungsmieten in Berlin gedeckelt werden, dann bleiben auch diese Zuschüsse gedeckelt. Der Immobilieneigentümer wird sich aber das, was er im normalen Mietrecht nicht mehr abschöpfen kann, bei den Gewerbemietern holen. Diesem Spannungsfeld sehen wir uns ungeschützt ausgeliefert.

Im Interview: 

Jahrgang 1960, ist seit 2016 Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtverbands Berlin. Der Dachverband der freien Wohlfahrtspflege hat in Berlin 770 Mitgliedsorganisationen.

Was heißt das konkret?

Da wird mal eben eine Kaltmiete von mehr als 20 Euro pro Quadratmeter statt bisher um die 10 Euro aufgerufen. Das gibt es auch jetzt schon, aber wir befürchten, dass das mit dem Mietendeckel breiter aufploppt. Wenn schon Deckel, dann brauchen wir einen Schutz für die Projekte, die mit Menschen in schwierigen Lebenslagen arbeiten.

Also eine Mietpreisbremse oder einen Mietendeckel für Gewerbe?

Eigentlich wollen wir ganz raus aus der Gewerbemiete. Eine praktische Zwischenlösung wäre doch, wenn soziale Organisationen, die die Wohnungen ausschließlich für die Betreuung, Beratung und Unterstützung von Menschen brauchen, auch Wohnungen mit Wohnberechtigungsschein (WBS) anmieten dürfen. Bislang geht das nicht, weil wir ja als Gewerbe gelten. Und das obwohl quasi alle von uns betreuten Menschen Anrecht auf einen WBS hätten.

Ihren Vorschlag haben Sie doch bestimmt vorgebracht …

Na sicher, auch bei Senatorin Lompscher. Man nimmt das ernst, man nimmt das wahr. Aber es passiert nichts.

Was ist die Konsequenz der Misere?

Soziale Organisationen haben keinen Spielraum. Wenn die Miete so steigt, müssen sie umziehen. Und weil es selbst am Stadtrand kaum mehr bezahlbaren Wohnraum gibt, heißt das am Ende: Brandenburger Tieflandsebene. Die von uns betreuten Menschen gehören aber mitten in die Gesellschaft.

Passiert diese Verdrängung jetzt schon?

Ja, aber natürlich sitzen wir nicht wie die Kaninchen vor der Schlange. Einige soziale Organisationen machen sich auf den Weg, selber Häuser für betreute Wohnformen zu bauen. Das ist eigentlich gar nicht unsere Aufgabe, wir wollten soziale Arbeit machen. Aber wenn wir schon dazu gezwungen sind, brauchen wir Unterstützung zum Beispiel in Form von Bürgschaften durch das Land Berlin. Dafür kämpfe ich auch schon seit drei Jahren beim Senat.

Versuchen Sie auch, an die Vermieter selbst zu appellieren?

Das ist immer dann gut möglich, wenn am anderen Ende eine natürliche Person sitzt. Wenn das aber eine Investmentgesellschaft beispielsweise in einem anderen Land ist, dann kann ich meine Bitten auch auf einen anderen Planeten schicken.

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4 Kommentare

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  • Ungünstiges Framing: als wäre der Mietendeckel das Problem.

    Problem ist (a) dass zu wenig Geld für Menschen in Not ist und (b) dass soziale Organisationen als Gewerbe eingestuft werden.

    Da müssen wir ran.

    • 0G
      07301 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Bei (a) muss man nur aufpassen, dass die Relation zwischen Gebenden und Empfangenden stimmt.



      Zu (b) : als was sollen sie denn sonst eingestuft werden?

      • @07301 (Profil gelöscht):

        (a) [...] Was auch immer Sie damit meinen. Mir erschliesst es sich nicht.

        (b) [...] Die Räumlichkeiten, die diese Organisation zur Verfügung stellen sind im wesentlichen Wohnraum bzw. -ersatz. Naheliegend, dass sie vom Gesetz ähnlich behandelt werden, oder? Insbesondere, weil es gerade verletzliche Menschen trifft.

        • 0G
          07301 (Profil gelöscht)
          @tomás zerolo:

          Meinen Kommentar zu (a) erläutere ich gerne. Wenn es einen zu hohen Geldtransfer für "Menschen in Not" gibt, gibt es irgendwann keine Menschen, die zahlen und/oder eine Bereitschaft hierzu haben. Es ist immer leicht, zu fordern, dass dies und das gemacht werden soll. Wenn es aber um das Zahlen geht, gehen die Hände der breiten Masse nicht mehr hoch - sieht man wunderbar an der Klimadiskussion.

          Zu (b): ich glaube, Sie haben nicht verstanden, worauf ich hinauswill. Die Organisationen sind keine natürlichen Personen. Sie müssen deshalb irgendeine andere Rechtsform haben (sonst könnten sie zB keinen Mietvertrag schliessen oder ihre Mitarbeiter bezahlen etc.). Welche andere Rechtsform sollten diese Organisationen denn haben, so dass sie kein gewerblicher Mieter sind? Diese gibt es nicht.

          Treffen tut dies überigens nicht die verletzlichen Menschen, sondern die Organisationen.