Baum besetzt fürs Biotop

Die Baumbesetzer im Vollhöfner Wald richten sich aufs Überwintern ein. Das Fällmoratorium des Senats ist ihnen nicht genug. Sie wollen ein Zeichen gegen die Ausbeutung von Natur und Mensch setzen

Stabile Konstruktion: Hier wollen die Aktivisten ausharren Foto: Gernot Knödler

Von Gernot Knödler

Der Weg zu den Baumbesetzern im Vollhöfner Wald ist eine Zumutung. Doch jeder, der ihn geht, versteht sofort, warum sich so viele Menschen für dieses Stück Natur engagieren: Auf einem Trampelpfad gilt es über umgestürzte Bäume zu klettern – bemoost, durchlöchert, mit Pilzen bewachsen – unter ihnen hindurch zu kriechen und dem Matsch ausweichend durchs Kraut zu stapfen.

Dieser Wald ist erkennbar Jahrzehnte lang nicht bewirtschaftet worden, was nicht einmal über viele Nationalparks in Deutschland gesagt werden kann. Sein Glück aus naturschützerischer Sicht war, dass er als Hafenerweiterungsfläche vorgesehen war. Die Hafenbehörde HPA würde hier gern riesige Lagerhallen hinsetzen, so wie in der Nachbarschaft.

Dabei gibt es hier an der Alten Süderelbe eine Menge wertvoller Lebensräume: feuchte Auwälder ebenso wie Trockenrasen und auch etwas profane Birkenhaine. „Das erste Mal, als ich da durchgelaufen bin, kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus“, sagt einer der Besetzer, der sich Tenzin nennen lässt, nach dem Vornamen des Dalai Lama.

Neben Tenzin hängt eine Fahne der Freien Republik Wendland. Er hat eine grobe Fleecejacke an, eine etwas löchrige Strumpfhose und ist barfuß. Jeder der Besetzer, unter denen auch eine junge Frau ist, spricht grundsätzlich für sich, aber als Tenzin von der Plattform herunter Antworten gibt, korrigiert ihn auch keiner.

Das Fällmoratorium, das der grüne Umweltsenator Jens Kerstan und der parteilose Wirtschaftssenator Michael Westhagemann bis zur Bürgerschaftswahl vereinbart haben, reicht ihnen nicht aus. „Das ist nur ein Ausnutzen der kurzen Aufmerksamtkeitsspanne unserer Bevölkerung“, sagt Tenzin. Sobald die Öffentlichkeit nicht mehr hinschaue, drohten Fakten geschaffen zu werden.

Der Kampf um den Hambacher Forst zwischen Köln und Aachen, der einem Braunkohletagebau weichen soll, ist das Vorbild für die Besetzer. „Hambi ist der Mutterwald“, sagt die Besetzerin auf dem Dach des Baumhauses. „Der Hambacher Forst war unglaublich wichtig als Instrument für die Politisierung unserer Generation“, bestätigt Tenzin.

Bei der Besetzung gehe es darum, „ein klares Zeichen gegen die Zerstörung und Ausbeutung von Mensch und Natur zu setzen“. Der Hafen sei ein entscheidender Umschlagplatz von Rüstungsgütern und klimaschädlichen Energierohstoffen und somit ein Symbol schädlicher Wirtschaftsinteressen.

Der Naturschutzbund (Nabu) sprang den Besetzern bei. Seit Mitte September hätten mehr als 6.500 Menschen unter dem Hashtag #völlibleibt an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) geschrieben. „In Zeiten von Artensterben und Klimakrise kann das Abholzen eines wertvollen Naturwaldes keine verantwortungsvolle Stadtentwicklungspolitik mehr sein“, sagt Anne Ostwald vom Nabu.

Die Landesvorsitzende der Grünen, Anna Gallina, versprach, sich in möglichen Koalitionsverhandlungen nach der Bürgerschaftswahl 2020 für den Wald stark zu machen. „Wir wollen den grünen Ring und den Biotopverbund Süderelbe erhalten und stärken. Das schließt die Vollhöfener Weiden mit ein.“

Die Besetzer sind nach eigenen Angaben schon länger im Wald, was auch das mit viel Material aufwendig gebaute Baumhaus nahelegt. „Für uns wär’s recht gewesen, wenn wir bis Februar nicht entdeckt worden wären“, sagt Tenzin. Dann wäre mehr Zeit gewesen, eine Infrastruktur aufzubauen, um den Wald verteidigen zu können. Als nächstes solle die Hütte winterfest gemacht werden.

Auch die Polizei war mit einem Streifenwagen vor Ort. Zum weiteren Vorgehen konnte sie gestern noch nichts sagen.