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Brexit-Drama hört einfach nicht aufEuropaparlament stützt harte Linie

Neue Abgeordnete stellen sich hinter das Vorgehen Brüssels im Streit mit Großbritannien. Sie sprechen sich für einen weiteren Brexit-Aufschub aus.

Noch weht der Union Jack im EU-Parlament. Boris Johnson will das schnellstmöglich ändern Foto: dpa

Brüssel taz | Die Europawahl im vergangenen Mai hat nichts geändert: Auch das neue Europäische Parlament in Straßburg unterstützt uneingeschränkt die harte Verhandlungslinie der EU-Kommission beim Brexit – und warnt vor einem ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU am 31. Oktober. Die neu gewählten Abgeordneten – darunter 73 Briten – sprechen sich sogar für einen weiteren Aufschub aus. Er müsse aber gut begründet sein.

Eine entsprechende Entschließung wurde am Mittwoch in Straßburg mit 544 Stimmen bei 126 Gegenstimmen und 38 Enthaltungen angenommen. Sogar Linke und Grüne trugen den Text mit. Sie wollen damit ein Zeichen der Geschlossenheit aussenden und den britischen Premier Boris Johnson vor weiteren „Spielchen“ warnen. Johnson wird von vielen Parlamentariern als unseriös und gefährlich betrachtet.

Vor der Abstimmung hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor einem No-Deal gewarnt. Die Gefahr eines ungeordneten Brexits sei real und fast mit Händen zu greifen, erklärte er. Sein Treffen mit Johnson am Montag in Luxemburg sei zwar „freundlich, konstruktiv und in Teilen positiv“ verlaufen. „Ich kann Ihnen aber nicht in die Augen schauen und sagen, dass Fortschritte erzielt wurden.“

Nach offizieller Brüsseler Darstellung hat Johnson bei der zweistündigen Begegnung mit Juncker keine neuen Vorschläge zum strittigen Backstop für Irland präsentiert. Er habe Johnson aufgefordert, schriftlich konkrete Alternativen für eine Regelung für die irische Grenze vorzulegen, sagte Juncker. Ohne schriftliche Vorschläge könne es auch keine Fortschritte geben.

Altbekannt und untauglich

Die britische Seite sieht dies jedoch offenbar anders. Nach einem Bericht der britischen Tageszeitung Guardian hat Johnson bewusst noch keine schriftlichen Vorschläge gemacht, jedoch bereits mehrere Ideen für eine „innerirische“ Lösung des Streits über den Backstop und die irische Grenze lanciert. Offenbar fürchtet er, schriftliche Vorschläge könnten an die Öffentlichkeit gelangen und so „verbrannt“ werden.

In Brüssel heißt es dazu, Johnsons Ideen seien altbekannt und schon mehrfach als untauglich verworfen worden. So sieht es auch das Europaparlament. Man sei offen für die Prüfung von „alternativen Regelungen“, wenn sie rechtlich umsetzbar, voll funktionsfähig und mit den EU-Grundsätzen vereinbar sind, heißt es in der Erklärung vom Mittwoch. Sollte Johnson keine brauchbare Alternative liefern, so sei er allein verantwortlich für einen No-Deal und das danach zu erwartende Chaos.

Johnson hat einen Antrag auf weiteren Aufschub ausgeschlossen. Das britische Parlament hat ihn allerdings per Gesetz dazu verpflichtet, sollte sich das Vereinigte Königreich bis zum 19. Oktober nicht mit der EU geeinigt haben. Am 17. und 18. Oktober ist EU-Gipfel, dort will der britische Regierungschef einen Deal erreichen. Welche Lösung Johnson auch anstrebt – in jedem Fall wird die Zeit sehr knapp.

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6 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""In Brüssel heißt es dazu, Johnsons Ideen seien altbekannt und schon mehrfach als untauglich verworfen worden""



    ==

    Nach Robert Peston vom Spectator und ITV news hat der Serienlügner Boris Johnson folgende Forderungen:

    1. a) Ein einheitlicher Markt für die Landwirtschaft zwischen Nordirland und der Republik, damit grenzüberschreitende Vieh- und Lebensmittelströme nicht behindert werden.

    b) Zoll- und begrenzte Warenkontrollen auf der Insel, jedoch nicht an der Grenze selbst.

    c) Keine Zollunion mit der EU, weder für das gesamte Vereinigte Königreich noch für NI allein.

    d) Wenn von Brüssel Regeln für die Landwirtschaft oder sogar für andere begrenzte Märkte für die gesamte Insel festgelegt werden, soll das Prinzip ""Stormont - lock"" greifen “ - das bedeutet , dass „die Menschen in Nordirland dazu in der Lage sein sollten Einwilligung mit allem, was dazu gehört, Regeln widerrufen zu können“.

    Anmerkung:



    a..Nordirland hat derzeit keine eigene Regierung - es wird im Prinzip von Großbritannien verwaltet.

    b..Grenzübertritte von landwirtschaftlichen Gütern machen lediglich 30% des grenzüberschreitenden Warenverkehrs zwischen NI und der Republik aus.

    Sollte das, was momentan noch als Spekulation betrachtet werden sollte, der Wahrheit entsprechen geht es Boris Johnson darum die Europäische Union zu zerschlagen - mit einer Bresche in den Markt der Republik Irland vermittelt über das britische Hoheitsgebiet in Nordirland.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Aidan O’Neill QC ist leitender Anwalt in England und Wales und ein führendes Mitglied der schottischen Anwaltskammer.

    Er verfügt über eine breite europäische und öffentlich-rechtliche Praxis im Norden und Süden des Gremiums.

    Er ist Spezialist für EU-Recht, Menschenrechte und Verfassungsrecht. Er wurde 2015 mit dem Legal 500 UK Bar Award im Bereich EU-Recht ausgezeichnet. Sein fachkundiger Rechtsbeistand wird regelmäßig eingeholt, insbesondere zu den Auswirkungen des EU-Rechts auf das britischen Recht.



    ==



    Orginalzitat von Aidan O’Neill beim heutigen 2. Tag der Anhörung über das Unrecht der Perogation des britischen Parlaments:

    ""Die Regierung vermittelt den Eindruck als hätten die Maßnahmen des Premierministers zur Vorbereitung des Parlaments die Absicht und Wirkung gehabt, das Parlament daran zu hindern, die Regierung politisch zur Rechenschaft zu ziehen, wenn die Regierung Entscheidungen trifft, die verfassungsrechtliche und irreversible Auswirkungen auf Großbritannien haben werden.

    Das verändert das Gleichgewicht der Verfassung grundlegend, weil es die Macht nutzt, der Exekutive zu erlauben, zu regieren ... aber zu diesem entscheidenden Zeitpunkt ohne die ordnungsgemäße verfassungsmäßige Rechenschaftspflicht vor dem Parlament.""

    Vor dem Supreme court erklärte er er:

    ""The Mother of parliaments being shut down by father of lies. ""

    Father of lies bezieht sich auf den Serienlügner Boris Johnson dessen Lügen über die EU bis in Zeit schwarz auf weiß zurück verfolgt werden können als er noch Journalist beim Daily Telegraph war.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Danke für die Info zu Aidan O’Neill QC. Werde ich mal ein bisschen googeln...



      Zum "father of lies" braucht es ja keine Erklärung.



      So far - so what???

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Bitte, sehr gerne.

        O’Neill war richtig super - aber ob er die Richter überzeugt hat? Es ging um die Beeinträchtigung des Parlaments, den Brexit-Prozess zu hinterfragen.

        Der Umstand dass die Abgeordneten das Benn-Gesetz verabschiedet hatten, das angeblich den no-deal-Brexit ohne Einigung am 31. Oktober gestoppt haben soll, scheint ein Argument gegen das Argument zu sein, das das Parlament zum Schweigen gebracht worden sei.

        Wobei das Benn Gesetz deswegen in Rekordzeit durchgepeitscht wurde weil nicht sicher war wann das Parlament wieder hätte tagen können - ein Höllenritt, der aus Zeitmangel auch hätte daneben gehen können.

        Zu vermuten ist das das Argument überzeugt hat das Porogation mit Einschränkungen verbunden sein sollte - weil es ein Treppenwitz wäre wenn die Regierung jedesmal die Opposition vor die Tür setzen könnte wenn es Johnson, Gove, Rees-Fog und Cummings in den Kram passt.

        Die Regierung hat übrigens nicht ausgeschlossen das Mittel der Parlamentsschliessung erneut einzusetzen.

        Aussagen wie das ganze ausgeht sind vor Ende des dritten Tages (morgen) schwer zu treffen. Allerdings sind alle genannten Porogations Beispiele Vorfälle in der Geschichte, in der die verherigen Regierungen nicht einen Teil der Wähler gegen die andere Hälfte der Bevölkerung ausgespielt hat.

        Bin gespannt ob das Gericht begreift wie Rechtsradikalpopulismus funktioniert und ob es dagegen etwas unternehmen will.

  • Warum sich selbst unter Druck setzen? Ich habe da eine viel bessere Idee!



    Warum nicht Nägel mit Köpfen machen und den Brexit gleich um - sagen wir - 100 Jahre verschieben? Dann hätten diese und die nächsten Politiker*Innen-Generationen ihre Ruhe, und was dann ist, weiß der Kuckuck. Erfahrungsgemäß wird’s auch dann erst kurz vor Ultimo „richtig losgehen“!



    Und: Was du heute kannst verschieben, das verschiebe nicht erst morgen!

  • Welch Lösung Johnson anstrebt ist doch klar: keine Einigung mit der EU, damit er sich zu Hause als Opfer gerieren kann. Und dann Tyrann in GB sein, denn wie er das Parlament (miss)achtet hat er ja schon bewiesen.