: Sieben für die Bremer Demokratie
Der Staatsgerichtshof wurde gestern neu gewählt – dasInteresse bei den Fraktionen ist verhalten. Dabei hat das Gericht mit seinen Entscheidungen schon große Weichen gestellt
Von Lotta Drügemöller
Peter Sperlich ist als Präsident des Oberverwaltungsgerichts ist er zugleich auch das geborene Mitglied des Staatsgerichtshofs – und wurde von seinen KollegInnen auch dort zum Präsidenten gewählt. Das Amt liegt ihm wohl: Von 2010 bis Juni war der Honorarprofessor an der Uni Bremen Präsident des Verwaltungsgerichts.
Achtmal nur hat der Staatsgerichtshof Bremen in der letzten Legislaturperiode Entscheidungen treffen müssen. Wenn das Gericht aber gefragt ist, dann geht es um nicht weniger als die Ausgestaltung und den Fortbestand der Demokratie in Bremen: „Den Vorrang der Verfassung zu wahren“, das ist hier die Aufgabe des Staatsgerichtshofs.
Gestern hat die Bürgerschaft das Gericht für die nächste Legislaturperiode ausgestattet und sechs KandidatInnen in ihr Amt gewählt; SPD und CDU durften jeweils zwei RichterInnen vorschlagen, Grüne und Linke je eineN. Das siebte Mitglied ist stets der oder die PräsidentIn des Oberverwaltungsgerichts – aktuell Peter Sperlich, der das Amt im Juli von Ilsemarie Meyer übernommen hat.
Anatol Anuschewski, Kandidat der Linkspartei, ist Anwalt für Migrationsrecht, setzt sich für minderjährige Flüchtlinge ein. Außerdem Geschäftsführer der Sowobau, die Immobilien zur sozialgebundenen Vermietung erwirbt.
Nur zwei der gewählten KandidatInnen müssen bremische BerufsrichterInnen sein, daneben füllen auch RechtsanwältInnen oder ProfessorInnen die Positionen aus. Die sieben Ehrenamtler haben im Wesentlichen drei Aufgaben: Erstens prüfen sie Gesetze darauf, ob sie verfassungskonform sind. Dabei gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter – der Staatsgerichtshof handelt nur auf Antrag.
Wolfgang Grotheer, pensionierter Vizepräsident des Landgerichts, war von 2003 bis 2008 Mitglied der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft: Bei der Wahl verhindert, beginnt seine zweite Amtszeit am Staatsgerichtshof mit Verspätung.
Zweitens kann das Staatsgericht die Gültigkeit von Wahlen oder Volksentscheiden überprüfen. Relevant wurde das 2016: Damals entschieden die VerfassungsrichterInnen, dass bei einer Neuauszählung alle Stimmen erneut gezählt werden müssen, nicht nur die für eine einzelne Partei. Die AfD rutschte damit in Bremerhaven wieder unter die Fünf-Prozent-Hürde und verlor ein Mandat.
Stephan Haberland CDU-Kandidat, hat als Gerichtssprecher Medien erklärt, warum Waldmeister kein Vorname ist. Promoviert wurde der Vizepräsi des Oberlandesgerichts aber mit einer Arbeit über den Wert der Opposition.
Drittens entscheidet das Gericht bei Streit zwischen den Organen, wer welche Kompetenzen und Pflichten hat. Zuletzt hat es dabei zweimal die Rechte der Bürgerschaft gegenüber dem Senat gestärkt: 2017 und 2019 hatten die Bürger in Wut geklagt, da der Senat ihre Anfragen in der Fragestunde nicht ausführlich beantwortet hatte. Das Gericht gab ihnen in beiden Fällen Recht und definierte das Informationsrecht zugunsten des Parlaments.
Katja Koch ist Verwaltungsrichterin und CDU-Kandidatin. Sie hat im Studienbuch zu Bremer Landesrecht den Abschnitt „Kommunalrecht und Recht der öffentlichen Sachen“ betreut, ihre Diss handelte vom Abrechnungsbetrug durch Ärzte
Der Senat fiel im Anschluss mit Missachtung der dritten Gewalt auf: Man wolle trotz des Urteils die Fragen nicht gründlicher beantworten, ließ man wissen. Eine gewisse Geringschätzung der Verfassungsgerichtsbarkeit zeigt sich auch in der Öffentlichkeitsarbeit zur gerade gelaufenen Wahl: Auf Nachfrage der taz wusste keiner der Fraktionssprecher, wen ihre Fraktionen aufgestellt hatten – geschweige denn, warum.
Sabine Schlacke ist Professorin an der Uni Münster und seit 2007 beim Staatsgerichtshof - zunächst als Vertretung, seit gestern als Vizepräsidentin. Schlacke, Kandidatin der Grünen, hat sich auf Umweltrecht spezialisiert.
Maria Ülsmann stammt aus Bremerhaven: Dort praktiziert sie als Fachanwältin für Arbeitsrecht mit Kompetenz in Vergaberecht. Ehrenamtlich engagiert sie sich beim Deutschen Roten Kreuz, so überzeugte sie auch die SPD.
Die RichterInnen werden jede Legislaturperiode neu von der Bürgerschaft gewählt. „Bei der Wahl soll die Stärke der Fraktionen nach Möglichkeit berücksichtigt werden“, fordert die Bremer Verfassung.
Die WählerInnen entscheiden so mittelbar auch über die Besetzung des Gerichts. Schließlich sind die RichterInnen unabhängig, treffen aber Entscheidungen mit politischer Reichweite; ihre Interpretationen können unterschiedlich ausfallen. So geschehen zuletzt 2014: Bremen wollte Ausländern die Teilnahme an Beiratswahlen ermöglichen. Der Staatsgerichtshof verhinderte das mehrheitlich, Richterin Ute Sacksofsky ließ ihre abweichende Meinung aber als Sondervotum vermerken.
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