piwik no script img

„Die anmutige Geschmeidigkeit eines Panthers“

Freunde und Weggefährten ehren den im Mai verstorbenen Autor Wiglaf Droste mit einer Gala in der Volksbühne. Seine Polemiken verrieten viel über das Kreuzberger Milieu

Von Klaus Bittermann

Es muss 1988 gewesen sein, als mir der Name Wiglaf Droste zum ersten Mal bei der Lektüre der taz auffiel, jedenfalls las ich das schöne Wort „Klassenkampfstreber“ und wurde neugierig auf mehr. Als ich im taz-Archiv nach dem Begriff suchte, stieß ich auf eine Besprechung eines Roger-Chapman-Konzerts, die mit einer harschen Kritik des Sommers begann:

„Scheußlich, ja, moralzerrüttend ist der ekle Sommer: die Kreuzberger Kämpfenden Truppen, die Alt-Einund­acht­ziger und Klassenkampfstreber, sie schmurgeln im Prinzenbad, als wäre die Resolution schon erledigt; Kerle, die ihr Schuldenkonto ohnehin schon mit den drei Todsünden Goldkettchen, Vollbart und Stinkepfeife über Gebühr belastet haben, fügen jetzt noch Schies­ser Feinripp, Kurzbehostheit und Lochsandalette hinzu, riechen unter den Achselhöhlen wie das Tote Meer, und überhaupt ist der Sommer ein nur zu willkommener Vorwand, die letzten Rudimente von Selbstrespekt freu­dig über Bord zu werfen.“

Suada gegen den Mief

Seit dieser mir aus dem Herzen sprechenden Suada gegen den Kreuzberger Mief durchforstete ich die taz regelmäßig nach den Artikeln Wiglafs, um im tristen Berliner Alltag, der damals zwar noch fast vollkommen touris­tenfrei, aber auch grau und speziell in 36 von einer autonomen Kiezpolizei beherrscht war, die nicht immer zimperlich in der Wahl der Waffen war, wenn jemand gegen ihre ungeschriebenen Gesetze verstieß. Wiglaf kannte diese Szene genau, als die US-Journalistin Jane Kramer 1988 nach Berlin kam, um über sie zu berichten und über das Restaurant Max­­well in der Oranienstraße, das schließen musste, weil autonome Straßenkämpfer meinten, es würde die falschen Leute anziehen und hätte in Kreuzberg nichts verloren, weshalb sie einen Eimer Scheiße im Lokal auskippten. Jane Kramer war vom New Yorker und ließ sich von Wiglaf über die Szene aufklären und verschaffte ihm einen großen Auftritt in einem der wichtigsten intellektuellen Magazine der USA: „In Kreuzberg gibt es so etwas wie eine Etikette der Vergeltung. Wiglaf Droste, der Kunstkritiker der taz, sagt, wenn man Besuch von Autonomen bekomme […], dann führe man ein paar Telefongespräche, trommle seine Freunde zusammen und statte einen Gegenbesuch ab. In Kreuzberg heißt das: eine Diskussion führen. Droste hat selbst Erfahrungen mit dem Besuchtwerden. Eines Tages kam er nach Hause und stellte fest, dass seine Tür mit Blut beschmiert war (die Inschrift lautete ›666‹ und ›Heil Satan‹). Zehn Kilo tote Fische und verfaultes Fleisch lagen auf der Fußmatte. Die Täter gaben sich in der Szene als Autonome aus, aber Droste wusste, dass sie bloß frustrierte Rockmusiker waren, denen seine Artikel nicht gefallen hatten, und deshalb stattete er ihnen auch keinen ‚Gegenbesuch‘ ab. Droste ist einer der maßvolls­ten und scharfsinnigsten Kritiker der Kreuzberger Szene (wenngleich Fremde Schwierigkeiten haben, ihn von dieser Szene zu unterscheiden – in der ausgebeulten, gestreiften Zirkushose, der schwarzen Smokingjacke mit dem löchrigen T-Shirt, der roten Schnur anstelle eines Gürtels und den alten Turnschuhen mit offenen Schnürsenkeln).“

In dieser Szene, in der Schlägereien mit den „Bullen“ eine beliebte Freizeitgestaltung junger Menschen waren, half nur Polemik, um sich Gehör zu verschaffen, und zwar nicht gerade „maßvolle“, die einen wie Wiglaf schnell verdächtig werden ließ, und da reichte noch Jahre später, 1994, sogar ein so lustiger Text wie „Der Schokoladenonkel bei der Arbeit“, um ihn als Kinderschänder zu brandmarken und seine Lesungen mit Buttersäure zu verhindern.

Ein Jahr später suchte er ein Zimmer und da ich gerade eins übrig hatte, zog er bei mir ein, mit ein paar Kartons Büchern, einer Schreibmaschine und zwei Obstkisten. Auf der einen saß er, auf die andere hatte er die Schreibmaschine gestellt, auf der er seine Artikel schrieb. Vermutlich hätte sich an diesem Zustand auch die folgenden sechs Jahre nichts geändert, weshalb ich ihm einen großen Schreibtisch, einen Drehstuhl und einen Büroschrank besorgte, damit er unter einigermaßen normalen Bedingungen dichten konnte. Als er dann nach sechs Jahren wieder auszog, war der Boden seines Arbeitszimmers flächendeckend mit einer ungefähr 5 Zentimeter dicken Schicht von Papieren, Briefen, Artikeln, CDs, Schallplatten, Kassetten, Manuskripten, Zeitungen, Ausrissen seiner Artikel und Büchern übersät. Nur ein schmaler Trampelpfad führte zwischen den sanften Hügeln aus Papieren von der Tür zum Schreibtisch.

Schrulliges Hamburg

Damals führten wir inspiriert von einer schrulligen Wochenzeitung aus Hamburg noch große Debatten, und zwar über die Frage aller Fragen: „Ist der Winter in Deutschland überflüssig?“ Ich übernahm dabei die „Pro“-Seite, schrieb: „Der Graupelschauer ist ein Meister aus Deutschland“ und denunzierte den Winter als „verkappten Nazi“. Wiglaf empörte sich auf der „Contra“-Seite, „dass die Hetze gegen sibirische Temperaturverhältnisse von Klaus Bittermann vorgetragen wird, jenem Klaus Bittermann, dem Dadaismus, Surrealismus, Situationismus und Anarchie immer mehr bedeutet haben als das Wohl des Volkes. Im Gegenteil: Die Forderung des Defätisten Reinhard Lettau, das Volk abzuschaffen, unterstützt Klaus Bittermann ausdrücklich […] Mit der Unverfrorenheit des notorisch Durchgefrorenen denunziert Bittermann jene Kälte, die einst Hitlers Sechste Armee niederwerfen half, er sehnt sich hingegen nach Verhältnissen, in denen der Wüstenfuchs Rommel einst gedieh. Das sagt ja wohl alles: Wer nicht frieren will, will Krieg!“ Unsere Beiträge erschienen in der taz und Wiglaf brachte sie hier in der Volksbühne zu Gehör.

Zu Ehren von Wiglaf Droste

Die Gala: Der im Mai verstorbene Wiglaf Droste wird morgen in der (leider schon ausverkauften) Volksbühne mit einer Gala von seinen Weggefährten geehrt. Auf der von Arnulf Rating moderierten Sause treten auf: Bela B. & Rodrigo González, Friedrich Küppersbusch, Benjamin von Stuckrad-Barre, Jürgen Kuttner, Funny van Dannen, Kai Struwe, Danny Dziuk, Fritz Eckenga, Franz Dobler, Marion Brasch, Matthias Deutschmann und Ralf Sotscheck. Ein Film über Wiglaf Droste von Christoph Rüter wird gezeigt.

Der Beitrag: Der Text auf dieser Seite stammt von seinem Freund und Verleger Klaus Bittermann. Eine längere Fassung wird im demnächst posthum erscheinenden Buch „Einige meiner besten Freunde und Feinde“ zum 40-jährigen Jubiläum des Verlags Edition Tiamat zu finden sein.

Wiglaf war der Hunter S. Thompson Deutschlands. Sein Leben fand auf der Überholspur statt, er war maßlos, weil er alles genießen wollte, und das sofort. Er hatte die verantwortungslose Fröhlichkeit, mit der er die betulichen Bügelfaltenschriftsteller gegen sich aufbrachte, er spottete wie Villon über „Goldkettchenautoren“, „Ölfilmjournalisten“ und „Dauerjauler“ und nahm dabei keine Rücksichten darauf, aus welchem Lager jemand kam, ob er Gremliza hieß, Zaimoglu oder Möllemann. Und deshalb wurde er auch von seiner Kollegin Sibylle Berg angehimmelt:

„Wichtig bei der Auswahl meines Lieblingsschriftstellers ist auch, dass er verstörend gut aussieht. Wiglaf Droste vereinigt die anmutige Geschmeidigkeit eines Panthers mit der Gazel­lenhaftigkeit eines wilden Mus­tangs. Dieser Schriftsteller ist schlau und gut, ich hab ihn lieb.“Als freier Autor und Vortragsreisender verdiente er zeitweise so gut, dass er sich mehrere Häuser hätte kaufen können, was andere sicher gemacht hätten. Wiglaf gab alles, was er verdiente, wieder aus, so wie der Fußballprofi Georg Best, den er gerne zitierte: „Ich habe mein ganzes Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich verprasst.“ Und bis auf die Autos stimmte das. Er hätte auch gar nicht gewusst, was er sonst mit dem Geld hätte anfangen sollen. Sparen wäre ihm pervers vorgekommen.

Großzügiger Mensch

Er war der großzügigste Mensch, den ich je getroffen habe. Er unterstützte Freunde, die nichts hatten, ohne je darauf zu achten, ob er wieder etwas zurückbekam, und er tat das, ohne darüber zu reden. Es war für ihn eine selbstverständliche Geste. Natürlich forderte das ausschweifende Leben, das Wiglaf führte, seinen Tribut, und irgendwann gab es kein Zurück mehr in das geregelte Leben der heilen, abstinenten Welt, wie für die meisten, die aus Notwehr gegen die pathische Normalität tranken. Zu weit und vor allem zu lange hatte er sich auf gefährliches Territorium vorgewagt, auf dem die Dämonen herrschen. Wiglaf kämpfte nur hin und wieder gegen sie, als wäre er sich darüber im Klaren, dass er sowieso am kürzeren Hebel saß und dass keine Illusionen halfen, weshalb er beizeiten sein eigenes Epitaph schrieb: „Ich war nie ein Jünger des Verzichts, Und gab, wie ich es nahm und wie es kam, im Fall des Falles immer alles, und eines Morgens kommt das große Nichts.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen