: Streit im Sport
Sportgerichte entscheiden bei Streitfällen ihrer Mitglieder. Dabei schließen sie Entscheidungen von ordentlichen Gerichten aber nicht aus
Von André Zuschlag
Ohne Sportgerichte geht nichts. Wettkampfergebnisse blieben bei einem Streit immer so lange unklar, bis ein ordentliches Gericht – Monate später – entschieden hat, Sperren würden mal anerkannt, mal nicht. Der Sport würde nicht mehr funktionieren. Dennoch landen manche Streitfälle um den Sport vor ordentlichen Gerichten. Warum?
Dass Sportverbände ihre eigenen Gerichte haben, leitet sich aus der Verbandsautonomie ab. Die Sportgerichte berufen sich dabei auf Artikel 9 des Grundgesetzes, wonach ein jeder Vereine und Verbände gründen darf. Umfasst ist damit die Selbstbestimmung der Vereine über die eigene Organisation und das Recht zur autonomen Gestaltung der inneren Verfassung. Daraus ergibt sich das Recht zur eigenen Rechtsprechung – Sportverbände können ihre internen Abläufe selbst regeln, solange sie sich an die bestehenden Gesetze halten.
Fast jede Sportart hat ihre eigenen Gerichte. Die sind dann mitunter nochmal untergliedert. Im Falle des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) heißt das: Es gibt ein Sportgericht und ein Bundesgericht. Das DFB-Sportgericht ist als erste Instanz zuständig für alle Verstöße von Vereinen, SpielerInnen, TrainerInnen, Funktionären sowie SchiedsrichterInnen gegen Rechtsvorschriften des DFB im Zusammenhang mit Bundesligaspielen. Im unterklassigen Fußball sind jeweils die Landesverbände zuständig. Das Bundesgericht ist die zweite Instanz.
Erhält ein Spieler der Fußball-Bundesliga eine rote Karte, entscheidet das Sportgericht über die Strafe. Meist wird dort die Länge der Sperre diskutiert, die Sportgerichte treffen hunderttausende Entscheidungen. „Würden alle Streitigkeiten vor ordentlichen Gerichten landen, würden die ohnehin überlasteten Gerichte wohl zusammenbrechen“, sagt Thomas Summerer, der Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportrecht (DVSR).
Häufig beschäftigen sich die Sportgerichte nicht allein mit Entscheidungen aus dem Wettkampf. Regelmäßig kommt das DFB-Sportgericht zusammen, um Strafen für Vereine auszustellen, wenn bei einem Spiel Pyrotechnik auf den Zuschauerrängen gezündet wurde. Die Vereine sind dazu verpflichtet, einen reibungslosen Spielablauf zu gewährleisten. Kommen sie dem nicht nach, gibt es Strafen für den Club.
Doch das Sportgericht belangt auch direkt die Fans für Fehlverhalten in Form von Zuschauerausschlüssen. Diese Kollektivstrafe ist nicht nur bei Fan-Initiativen hoch umstritten, weil das Fehlverhalten weniger durch die Bestrafung aller sanktioniert wird. Diese Kollektivstrafen hatte der DFB zwar nach großer Kritik vor zwei Jahren ausgesetzt, will aber prinzipiell an ihnen festhalten. KritikerInnen argumentieren, dass Gesetzesverstöße jenseits des Platzes eine Aufgabe staatlicher Gerichte sei. Kollektive Bestrafungen seien deshalb rechtlich nicht haltbar, sagt etwa der Kriminologe Thomas Feltes.
Zudem halten viele Fans die Entscheidungen des Sportgerichts für intransparent. Dieser Kritik will sich Summerer nicht grundsätzlich anschließen. „Im Vergleich zu anderen Verbänden hat der DFB eine umfangreiche Gerichtsbarkeit“, sagt er. Zudem sei diese auch mit qualifiziertem Personal ausgestattet: die Vorsitzenden des DFB-Sportgerichts müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen.
Dennoch sind ordentliche Gerichte auch Schauplatz von Streit im Sport – etwa bei Transferstreitigkeiten. „Sie werden in der Regel vor ordentlichen Gerichten geführt“, sagt Summerer. So wird vor dem Landgericht Köln momentan ein Rechtsstreit um den Wechsel des Fußballers Anthony Modeste geführt. Der war 2014 vom 1. FC Köln nach China gewechselt, sein Spielerberater fordert vom 1. FC Köln zwei Millionen Euro, da er laut eigener Darstellung maßgeblich am Modeste-Transfer zu den Chinesen beteiligt gewesen sei. Der FC lehnt eine Zahlung ab, da die klagende Gegenseite keine Vermittlungsleistung erbracht habe.
Grundsätzlich gilt, dass die Rechtsprechung des Sportgerichts jene eines ordentlichen Gerichts nicht zwingend ersetzt. Der ehemalige Schiedsrichter Robert Hoyzer etwa hatte durch Wettbewerbsbetrug sowohl gegen die DFB-Statuten als auch gegen staatliche Normen verstoßen. Er wurde vom Sportgericht bestraft – und von einem ordentlichen Gericht.
Spannend wird es, wenn der Staat ein privates Schiedsgericht anerkennt, dass an seiner statt Recht sprechen darf. Im Sport ist es der Internationale Sportgerichtshof CAS. Rechtsanwalt Summerer vertritt auch die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, die seit über zehn Jahren gegen die CAS prozessiert. 2009 war sie wegen eines positiven Dopingbefunds vom Sportgericht des Eisschnelllaufverbands für zwei Jahre gesperrt worden. Dagegen klagte sie vor dem CAS, der ihre Klage abwies. Sie bestritt die Einnahme von Dopingmitteln, was sich später auch bestätigte – der Kern der Klage gegen den CAS dreht sich um die Frage, ob SportlerInnen auch vor einem ordentlichen Gericht klagen dürfen. Der Bundesgerichtshof hatte dies verneint – der CAS als Schiedsgericht sei die ausschließliche Gerichtsbarkeit für SportlerInnen. „Wobei der Athlet keine Wahl hat: Unterschreibt er die Schiedsklausel nicht, darf er im Wettkampf nicht teilnehmen“, so Summerer.
Das sei kein Problem, solange ein Schiedsgericht als unabhängig angesehen wird – wird es von Pechstein aber nicht. Denn bei der Besetzung der Schiedsgerichte haben AthletInnen fast keinen Einfluss. „Bei der Benennung der Schiedsrichter haben die Verbände ein deutliches Übergewicht“, sagt Summerer und beklagt weitere strukturelle Defizite im Aufbau des CAS, der rechtsstaatlichen Prinzipien widerspreche. Hat das Schiedsgericht nun das letzte Wort? Seit drei Jahren liegt eine Verfassungsbeschwerde von Pechstein beim Bundesverfassungsgericht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen