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Buch über den automobilen WahnsinnEin Autor im Metapherntaumel

Klaus Gietinger rechnet in seinem neuen Buch mit dem Auto ab. Aber selbst das hat einen besseren Kritiker verdient.

Gründe, den Automobilverkehr zu kritisieren gibt es genug, trotzdem muss die Kritik gut gemacht sein Foto: dpa

Im Prinzip gibt es zwei Formen von Zombie-Technologien. Die Anwendung der ersten bewirkt langfristig nicht korrigierbare Schäden und unberechenbare Folgekosten. Zu dieser Sorte Technologien gehören die Nutzung der Atomkraft ebenso wie der Kohlebergbau und der Abbau einiger Metalle und seltener Erden.

Die zweite Art von Zombie-Technologie stellt sich schon vor der Anwendung im großen Stil als Bumerang heraus. Das ist der Fall bei der individuellen Motorisierung, die in Staus kollabiert, bevor sich alle in Autos bewegen. Langfristig zeitigt diese Technologie dasselbe Resultat wie die erste Art. Ihre Schäden und Risiken für die Gesundheit von Anwendern wie Nichtanwendern sowie die Folgen für das Klima werden irreversibel und unberechenbar teuer.

Insofern ist es höchste Zeit für ein Buch mit dem Titel „Vollbremsung. Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen“. Bereits lange vor der Vollmotorisierung der Welt mit Autos haben die Schäden eine schreckliche Dimension angenommen. Weltweit sterben täglich 3.700 Menschen im Straßenverkehr. Momentan verkehren weltweit aber „nur“ 1,5 Milliarden Pkws. Für den Zeitraum seit der Erfindung des Automobils vor gut 100 Jahren rechnet man mit 70 Millionen Toten, drei Milliarden Verletzten und 200 Millionen Behinderten durch Unfälle. Zieht man die Folgeschäden ein, das heißt die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch autobedingte Luftverschmutzung, kommt man weltweit auf 200 Millionen Tote.

„Keine Technik hat je mehr Opfer gefordert“, bilanziert der Autor Klaus Gietinger die Lage. Gietingers Befunde sind alarmierend, ohne auf statistische Unebenheiten und Widersprüche – an einer Stelle ist von „Milliarden“ von „Opfern des Kfz“ die Rede – oder sprachliche Schlampereien einzugehen – natürlich wird niemand Opfer eines „Kfz“, sondern allenfalls des Kfz-Verkehrs.

Aber Alarmstimmung ist für einen Autor nicht die beste Voraussetzung. Gietinger bedient sich, wo es um die argumentative Durchdringung und Erklärung seiner Befunde ginge, ausgesprochen simpler Psychologismen: „Das Kapital ist maßlos, das Auto auch. (…) Das von den Faschisten gepuschte Auto“ hat „uns bewegungssüchtig gemacht“. So sind „wir Junkies“ geworden und werden vom „Drogenkartell der Autokonzerne“, den „Drogendealern“ in der Regierung, die mit den Konzernen eine „kriminelle Vereinigung“ bildet, in Abhängigkeit gezwungen.

Gietinger steigert sich in einen furiosen Metapherntaumel, den Marx einmal als „intellektuellen Grobianismus“ bezeichnet hat. Dazu zählen sinnfreie Sätze wie „Geld muss (…) dem Kfz genommen werden“ oder Kapital soll „basisdemokratisch“ gebremst werden. Starke Worte ersetzen dem Taumelnden Argumente, etwa wenn er dem Bundesverfassungsgericht unterstellt, es habe das staatliche Gewaltmonopol an „die Gesamtheit der Autofahrer“ übergeben. Der automobile Wahnsinn hat einen besseren Kritiker verdient.

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8 Kommentare

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  • 1. Bezüglich U4 in Ffm ist nicht wahr, was DJ Bomerang schrieb ("soll jetzt eine alte Idee verwirklicht werden"), denn die alte Idee, die U4 genau unter der Tram 16 zu bauen, ist tot. Stattdessen geht es um Prüfung von Linienführungen, die bislang vom Schienenverkehr gar nicht berührt werden (neues Unigelände, Bundesbank, Platenstraßenviertel). Dagegen hat sich F22 nie gestellt, nur gegen eine simple Tieferlegung der 16. Wäre der Plan dennoch verwirklicht worden, hätte es gar nicht mehr die heute sich bietende Chance gegeben, das neue Unigelände westlich anzubinden.

    2. wird in der Buchbesprechung verdreht, was tatsächlich im Buch steht. Die taz/Rudolf Walther behauptet, im Buch stehe, das BVerfG habe das Gewaltmonopol "übergeben". Im Buch steht hingegen, das BVerfG "billigt" etwas. Diese Behauptung spielt offenbar auf eine entsprechende Verfassungsbeschwerde an, die nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Ich hoffe, der Unterschied leuchtet ein.

    3. kritisierte DJ Bomerang offenbar den Begriff Massenvernichtungswaffe und die Verbreitung von Druckwerken. Nicht alle Waffen werden immer als solche benutzt - so lagern die meisten Atombomben ruhig in Bunkern. "Autos" werden regelmäßiger in Gebrauch genommen. Es ist ein philosophische Frage, wie tiefgehend die persönliche Mitverantwortung reicht. Wie eine Postbotin "Auto" fährt - auch nicht unbedingt ob überhaupt (oder Fahrrad) - haben Autoren nicht in der Hand. Ob das Engagement z.B. für eine bestimmte Ausgestaltung einer StVO ethisch genügend ist, oder der generelle Verzicht auf jegliche Post-Dienstleistung, mögen die Buchbestellenden entscheiden.

  • die atomenergie als eine zombie-technologie zu bezeichnen ist eine grosse dummheit -und eine sehr gefährliche noch dazu.

    denn die nichtfossilistischen alternativen zur atomenergie sind teuer ineffizient ,auch nicht ohne schädliche auswirkungen auf die natur ,nicht schnell genug ausbaubar und zumindest global politisch entweder gar nicht oder nicht schnell genug oder nicht mit demokratischen mitteln durchsetzbar.



    und die fortgesetzte nutzung fossiler energieträger führt irreversibel zu einem immer katastrophaleren klimawandel und wahrscheinlich zu einem apokaslyptischen zusammenbruch der zivilisation .

    ohne verzicht auf wachstum ,ohne extremes energiesparen und die planwirtschaftliche zuteilung von energie gemäss dem bedürftigkeitsprinzip (und nicht nach der zahlungsfähigkeit ),ohne autoritäres durchregieren ohne rücksicht auf gesellschatliche und parlamentarische mehrheiten ,ohne eine ausserkraftsetzung der demokratie in der frage des klimaschutzes und dass heisst in der letzten konsequenz ohne eine globale ökodiktatur ,die kollateral auch den menschen und bürger*innenrechten schaden würde auch wenn das nicht ihr zweck wäre ist ein rechtzeitiger ausstieg aus dem fossilismus ohne die nutzung der atomenergie unmöglich oder fast ausgeschlossen.

    staaten wie frankreich die sich ernsthaft aus dem fossilismus hinausbegeben setzen nicht zufällig auf die nutzung der atomenergie.

    die atomenergie hat dies sei zugegeben sehr schlimm schmutzig und grausam begonnen,aber sie ist im laufe ihrer entwicklung immer sauberer und sicherer geworden



    und kann möglicherweise noch viel sauberer und sicherer werden als sie es heute schon ist.

    die atomenergie sollte wegen den gefahren des klimawandels wieder als eine zukunftstechnologie betrachtet werden

  • 9G
    90618 (Profil gelöscht)

    Ich habe das Buch noch nicht gelesen. Daß Gietinger gegen das Auto nicht immer nur ganz sachlich argumentiert, kennt man aber von seinen anderen Werken, "Totalschaden" und "99 Crashes". Wer sachliche Kritik an der Automobilmachung lesen will, halte sich an Hermann Knoflacher oder Winfried Wolf. Dafür ist Gietinger amüsanter und trifft bei allen Pöbeleien doch immer wieder ins Schwarze.

    Ich verstehe aber Teile dieser Kritik nicht:

    Zunächst sehe ich nicht den Fehler in der Aussage "„Milliarden“ von „Opfern des Kfz“". Ein paar Zeilen vorher heißt es doch "drei Milliarden Verletzte". Ist das falsch?

    Die Formulierung "Opfer des Kfz" statt "Opfer des Kfz-Verkehrs" als sprachliche Schlamperei zu bezeichnen, scheint mir zu streng zu sein. Da finde ich in der taz jeden Tag viel schlimmere Schnitzer, auch in diesem Artikel!

  • In Frankfurt soll jetzt eine alte Idee verwirklicht werden, nämlich der Ausbau der U4 bis Ginnheim.



    Seinerzeit war es der Autohasser Gietinger, durch dessen Initiative der Ausbau gestoppt wurde.



    Der Autohasser Gietinger hatte nämlich schlicht keinen Bock, einige Jahre eine Großbaustelle vor der eigenen Haustür zu haben:

    www.frankfurt22.de...orderungenTOPP.pdf

    Herr Gietiger schrieb ja mal:



    "Verteufelt das Auto, es ist eine Massenvernichtungswaffe!"



    Dann versteh ich absolut nicht, warum Herr Gietinger seine Bücher nicht ausschließlich als E-Book veröffentlicht.



    Wie kommen denn seine gedruckten Bücher in Buchhandlungen oder per Amazon zum Leser. Doch wohl nur per Massenvernichtungswaffe. Eigentlich ja auch ein Aufforderung, keine Druckerzeugnisse mehr zu kaufen. Die Taz kommt ja auch per Massenvernichtungswaffe.

    Der Herr Gietinger arbeitet ja auch als Regisseur. Bei Filmdrehs kann man sich am Set die vielen Massenvernichtungswaffen ansehen, die da wohl nötig erscheinen.



    der Herr Gietinger hat doch für den Hessischen Rundfunk Tatorte gedreht.



    Wie ist er denn zu den Drehorten gekommen?



    Wär doch mal eine Anfrage beim HR wert, ob Herr Gietinger dafür einen Fahrer hatte.

    • 9G
      90618 (Profil gelöscht)
      @DJ Boemerang:

      Ich kenne die Situation in Frankfurt nicht, aber prinzipiell ist eine Straßenbahn einer U-Bahn immer vorzuziehen. Da liegt Herr Gietinger ganz richtig, vermute ich.

      • @90618 (Profil gelöscht):

        Tram 16 , Kapazität 1.200 Passagiere pro Stunde, U4 Kapazität 9.600 Passagiere pro Stunde in der halben Zeit.

    • @DJ Boemerang:

      Ja, aber...



      ...die Grünen-Politiker reisen mit dem Flugzeug



      ...Greta Thunbergs Snack ist in Plastik verpackt.



      ...und überhaupt, die Chinesen und Amis sind die großen Umweltverschmutzer!

      Na und? Nur weil Herr Gietinger kein Heiliger ist, heißt es nicht, dass er deswegen eine bestimmte Meinung nicht vertreten darf oder Argumente vorbringen.

      Sicher, die Argumente sind vielleicht in diesem Fall totaler Murks, abhängig davon ob Herr Gietinger im Privaten komplett aufs Auto verzichtet sind sie aber sicher nicht.

      Ist schon schwierig Person und Argument auseinander zu halten?

      • @KoKokol:

        Sie haben natürlich Recht. Damals gab es Nachtdrehs im Gutleut. Damals gab es auch nachts keinen ÖPNV in Frankfurt. Und 3 Kilometer in die Franz-Rücker-Allee zu ihm nach Hause mit dem Rad ist ja wohl auch ein Fall für die UN_Menschenrechtskonvention und Amnesty International. Unzumutbar für einen Autohasser.



        Oderr haben Sie schon mal einen Menschen gesehen, der 3 Kuilometer Rad fahren kann? Das wäre ja geradezu übermenschlich.