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Zeitenwende in der Pflege

Ab Januar wird die Grundausbildung von Krankenpflege und Altenpflege zusammengelegt. Das gilt als Reaktion auf den Pflegenotstand und soll beide Berufe attraktiver machen. Die Gewerkschaft Ver.di und eine Studie aus Bremen bezweifeln das

Das Wenden eines Patienten ist eine Aufgabe, die wohl in allen Pflegeberufen vorkommt. Hier üben Auszubildende an einer Puppe Foto: Jens Büttner/dpa

Von Till Wimmer

Die Ausbildung in der Pflege wird im nächsten Jahr erneuert. Die bisherige Aufteilung in Altenpflege, Kinderkrankenpflege oder Krankenpflege wird durch den neuen Abschluss Pflegefachfrau*mann ersetzt. Sämtliche Auszubildenden lernen dann zwei Jahre lang gemeinsam und legen einen Schwerpunkt für die praktische Ausbildung fest. Im dritten Jahr können sie eine Spezialisierung im Bereich der Kinder- oder Altenpflege wählen. Alle anderen setzen ihre Ausbildung generalistisch fort. Das Pflegeberufe­gesetz gilt bundesweit ab Januar 2020 und löst die Landesgesetze ab.

Eine Herausforderung sei der neue „generalistische Lehrplan“, sagt Christine Gottlob, Sprecherin des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung. Denn nun müssen Kompetenzen in allen Bereichen der Pflege erworben werden.

Ein Auszubildender muss lernen, die Kinder, die erwachsenen Patienten im Krankenhaus zu pflegen, aber auch pflegebedürftige Menschen, die zu Hause oder in Heimen wohnen. „Darauf muss der Unterricht in den Schulen vorbereiten“, sagt Gottlob.

Ansonsten sehe sie nur deutliche Vorteile. Denn alle drei, die Altenpflege Gesundheitspflege und Kinderkrankenpflege brächten ihre Professionalität in den „Prozess zur Entwicklung der Generalistik ein“. Da entstünden „wertvolle Synergien“.

Wer bisher zum Beispiel im sogenannten „Lernfeld 8“ den Kurs „Alte Menschen mit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems pflegen“ durchnahm, finde diese Inhalte künftig im „Lernfeld 5“ „Menschen in kurativen Prozessen pflegerisch unterstützen und Patientensicherheit stärken“ wieder, so Gottlob.

In Hamburg zum Beispiel bieten 13 private Pflegeschulen und die staatliche Berufsschule die generalistische Ausbildung. Sie ist künftig kostenfrei und es gibt eine Ausbildungsvergütung. Finanziert wird sie von einem Fond, in den die Pflegeversicherung, das Land sowie alle Krankenhäuser und alle Pflegeeinrichtungen, die Pflegekräfte benötigen, einzahlen.

Trotzdem sieht Arnold Rekittke, Referent für Altenpflege bei Ver.di in Hamburg, die Änderung kritisch. Möglich sei eine Deprofessionalisierung in der Altenpflege. „Wichtige Inhalte wie biografisches Arbeiten oder der spezielle Umgang mit demenziellen Kranken werden einem generalistischen Lehrplan weichen müssen“, befürchtet Rekittke. Was er gut findet: „Materiell werden die Berufe durch eine Generalisierung gleichgestellt.“

In Hamburgs Asklepios-Kliniken beginnt das erste Ausbildungssemester zur Pflegefachfrau*mann im April 2020. Dass die Generalisierung eine Aufwertung der Pflege mit sich bringt, bezweifelt man dort nicht. „Die generalistische Ausbildung wird künftig in Europa anerkannt sein – das ist derzeit nicht der Fall“, sagt Franz Jürgen Schell, Medizinischer Sprecher der Asklepios-Kliniken.

Es sei aber „ein sportlicher Ansatz“ gewesen, innerhalb eines Jahres einen Beschluss mit so tiefgreifenden Veränderungen abzustimmen und rechtzeitig Lehrpläne zu erstellen. Ein offenkundiges Problem. Laut Ver.di bieten andere Träger die Ausbildung deshalb gar erst ab Sommer oder Herbst 2020 an.

Ein weiterer Bestandteil des neuen Gesetzes ist die Einführung eines Pflegestudiums, das ab dem Wintersemester 2020 auch an der Hochschule für angewandte Wissenschaften angeboten wird. Das generalistisch ausgerichtete Studium soll als Ergänzung zum beruflichen Ausbildungsweg dienen und die Pflege auf der Grundlage wissenschaftsbasierter Entscheidungen ermöglichen.

Das Pflegeberufegesetz wurde bereits 2016 vom damaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und der damaligen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) mit Hinsicht auf die sich Verändernde Bevölkerungsstruktur und dem Mangel von Pflegepersonal eingebracht. Ziel war, die Ausbildung attraktiver zu machen.

Diesem Anspruch wird die Pflegereform laut einer Studie der Uni Bremen nicht gerecht. Das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) hatte im Auftrag der Arbeitnehmerkammer Behörden, Verbände, Gewerkschaften und Pflegeschulen befragt.

Materiell sollen Altenpfleger und Krankenpfleger gleichgestellt werden

Ein zentraler Kritikpunkt an der Reform betrifft das weiterhin bestehende System verschiedener Abschlüsse. „Es wird auch in Zukunft einen Wildwuchs unterschiedlichster Assistenz- und Helferberufe geben, für die es genauso wenig eine klare Regelung gibt wie für die Akademisierung“, heißt es in dem Fazit. Und durch die Möglichkeit der Spezialisierung werde weiter ein Anreiz geschaffen, Pflegende unterschiedlich zu entlohnen.

Dass die Möglichkeit einer Spezialisierung weiterhin besteht, hatte der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) gefordert. Eben der spezialisierte Abschluss zur Alten- und Kinderkrankenpflege vermittele weniger Kompetenzen und werde nur im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt, so die Autoren der Studie.

Daher gelte es vor allem, „Gute Arbeit“ zu gestalten und eine bessere Bezahlung in diesem Bereich sozialer Dienstleitung zu erreichen. Der Organisationsgrad der Pflegenden müsse gestärkt und die Strukturen in der Pflege verbessert werden.

„Ich hoffe, dass die Generalistik dazu beiträgt, den Auszubildenden ein gesundes Selbstbewusstsein zu vermitteln“, sagt Kerstin Bringmann von Ver.di Bremen. Dazu gehöre unter anderem die Bildung von Jugendausbildungsvertretungen.

Das Gesundheitsministerium will das neue System nach sechs Jahren, also 2026, evaluieren und nachbessern. Dann soll auch geprüft werden, ob für die gesonderten Abschlüsse in der Alten- und Kinderkrankenpflege überhaupt weiter Bedarf besteht.

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