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Waldbesetzer in HamburgBaumhaus gegen Neubauten

In Hamburg-Wilhelmsburg besetzen Aktivist*innen einen Baum, um auf die Bedrohung eines Waldstücks durch ein Neubaugebiet hinzuweisen.

Drei sind oben geblieben: Besetzer in einem Wald in Wilhelmsburg Foto: Ann-Kathrin Just

Hamburg taz | Einer der Besetzer hängt so hoch in der Eiche, dass er im dichten Blattwerk nur als schwarzer Fleck auszumachen ist. Sein Gesicht ist mit einem schwarzen Tuch vermummt. Wenn er sich bewegt, schwingt der ganze Ast mit – auf gut 20 Metern Höhe. Unter ihm, auf etwa acht Metern, liegt ein provisorisch zusammengezimmertes Baumhaus, ein Podest aus Balken und Brettern.

Seit Sonntag haben hier sechs Besetzer*innen ausgeharrt, um gegen die geplante Bebauung dieses kleinen Waldstücks im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg zu demonstrieren. Geplant sind 1.000 Wohnungen in dreieinhalb Blöcken zwischen einem früheren, ziemlich verwunschenen Wirtschaftskanal, dem „Ernst-August-Kanal“, und einem großen Hafenbecken, dem Spreehafen.

Die Blöcke sollen zu je einem Drittel aus Sozialwohnungen, freifinanzierten Wohnungen und Eigentumswohnungen bestehen und sich zu einem 30 Meter breiten grünen Band am Kanal öffnen. Ein neuer Platz am Wasser und eine neue Brücke sollen die Verbindung zu bestehenden Quartieren herstellen, ein Grillplatz und ein Waldspielplatz die Lebensqualität sichern.

Damit hat die mit dem Projekt beauftragte städtische Gesellschaft IBA aus ihrer Sicht die Wünsche von Bürgern berücksichtigt, die mitgeplant haben. Die Bürgerinitiative „Waldretter Wilhelmsburg“ ficht das nicht an. Sie hatte am Sonntag zu einem Waldrettungsfest geladen, zu dem nach eigenen Angaben 800 Leute kamen und das die sechs Aktivist*innen nutzten, um die Eiche zu besetzen.

Eine Sekunde für ein Bäumchen

Ungewollt hat ihre Aktion aber zunächst einmal einen kontraproduktiven Effekt. „Es geht um jeden einzelnen Baum“, hatte einer der sechs Besetzer*innen heruntergerufen. Im Wald um sie herum kreischen jedoch die Kettensägen. Ast für Ast fällt, um dem großen Kranwagen der Bundespolizei eine Schneise zu dem Baumhaus zu bahnen. Für ein junges Bäumchen braucht der Beamte mit dem orangenen Helm nicht länger als eine Sekunde.

„Neubauten sind keine Alternative, wenn es Leerstand in der Stadt gibt“, ruft ein Aktivist von der Plattform. Bevor ein solcher Wald zerstört werde, sollten erst einmal alle Menschen ihre Zweit- oder Drittwohnungen aufgeben. In Zeiten des Klimawandels und Insektensterbens dürften nicht noch mehr grüne Flächen in der Stadt verloren gehen.

Das sieht auch der Umweltverband BUND so. Der Wald sei vor etwa 60 Jahren als Pionierwald entstanden und habe sich weitgehend ungestört entwickelt. „Das Gebiet geht mit einer hohen Artenvielfalt an Vögeln, Fledermäusen und Insekten in die nächste Sukzessionsstufe eines artenreichen Mischwaldes “, sagt Landessprecher Paul Schmid.

Doch dort, wo eben noch Natur wucherte, steht nun ein weißes Sprungkissen der Feuerwehr. Mit dem Kran ziehen Polizist*innen vier ihrer Kollegen in die Höhe, um die Gruppe, die sich selbst „Wilde Gasse“ nennt, aus dem Baum zu holen. Die Aktivist*innen klettern ihnen, so gut es geht, auf selbst gespannten Leinen, teilweise barfuß aus dem Weg.

Die Stimmung ist entspannt. Ein Polizeiboot tuckert vorbei. Ein paar Unterstützer*innen haben sich auf einem Steg gegenüber versammelt, nachdem die Polizei sie von dem Weg nahe des Baumhauses verscheucht hat, und spielen Gitarre. Fünf Demonstrant*innen am Boden lassen sich wegtragen: Routine auf beiden Seiten, keine Eskalation. „Bringt uns alkoholfreies Bier mit, wenn ihr uns abholt“, ruft einer vom Baum.

Um Viertel nach vier schnappt sich Einsatzleiter Dirk Claussen ein Megaphon und bittet die Aktivist*innen noch einmal, selbst herunterzukommen. Dann werde die Polizei auch nicht ihre Personalien aufnehmen. Die Höhenretter gleiten danach wieder an Seilen vom Baum. Die Polizei will jetzt unten warten. Die drei verbliebenen Demonstranten wollen oben bleiben. Und sie werten ihren Protest selbst als Erfolg: „Bis gestern kannte diesen Wald kaum jemand.“

Wald als Schutz

Aus Sicht der Initiative Waldretter Wilhelmsburg schützt der Wald das südlich angrenzende dicht bebaute Gebiet vor Lärm und Schadstoffen sowie vor den Folgen des Klimawandels. Daneben habe er eine wichtige soziale Funktion als Erholungsort für die Menschen im Stadtteil. „Viele haben nicht die Möglichkeit, in den Urlaub zu fahren“, sagt deren Sprecherin Sigrun Clausen. Statt den Wald abzuholzen, sollten Senat und IBA ihr Versprechen wahr machen, industrielle Brachen zu bebauen, und auf die großzügig bemessenen Hafenflächen zugreifen.

Ein Streit eben darum verschärft sich wenige Kilometer weiter südlich im Stadtteil Altenwerder. Dort will der rot-grüne Senat ein ähnliches, 45 Hektar großes Waldstück für Hafenbetriebe plattmachen. Hier gibt es keine Anwohner*innen, sondern nur Industrie und Logistik – dafür aber 23.000 Bäume, sechs geschützte Fledermaus- und diverse Vogelarten, die zum Teil auf der Roten Liste stehen.

Die Naturschutzverbände Nabu und BUND klagen gegen das Projekt, das sich die Grünen von der SPD abverhandeln ließen, und das nach einem im Hafen geltenden Sonderrecht durchgedrückt werden soll. Die zuständige Bezirksversammlung Harburg hat sich einstimmig für die Erhaltung dieses „Vollhöfner Waldes“ ausgesprochen.

Kürzlich hat sich zudem eine „Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald“ gegründet, die den Senat bei seinen eigenen Klimaschutzambitionen packen will. Jeden Sonntag im September protestiert sie ab elf Uhr „friedlich, aber bestimmt“ gegen die Vernichtung des Waldes – bis auf Weiteres mit einem Spaziergang.

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6 Kommentare

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  • Vielen Dank an die Menschen Teil dieser Aktion.

    An die AutorInnen* dieses Beitrag:



    Danke für die Informationen, nur bei so manchem Abschnitt bekomme ich Bauchschmerzen.



    Es sind jene, in denen unkommentiert der Sprech der Polizei übernommen wurde.

    Die Menschen die körperliche Gewalt anwenden um die Aktivistis von den Bäumen zu holen werden als "Höhenretter" beschrieben. Sie retten hier aber niemanden, sondern bringen Menschen in Gefahr (wie z.B.: Sicherungsseil über Traversenseil laufen lassen). Aber auch den Protest aktiv versuchen zu beenden stellt eine Gefahr dar.



    Klimakrise, ihr erinnert euch? Das ist eine sehr reale Gefahr.



    Die Polizei rettet hier nicht, sondern wendet Zwang an, und setzt dabei gleichzeitig Menschen in Gefahr.

    "Ungewollt hat ihre Aktion aber zunächst einmal einen kontraproduktiven Effekt."

    Auch das ist der gleiche Narrativ den die Polizei im hambi versucht hat zu platzieren. Das die Menschen im hambi ja eigentlich dem Wald schaden durch ihr dasein.

    1. wenn die Polizei Bäume kaputt macht um Menschen gegen ihren Willen von Bäumen zu holen, ist die Zerstörung die Verantwortung der Polizei. Alles andere ist Opfer-Täter-Umkehr oder Relativierung dieser Verantwortung



    2. durch den breiten und diversen Protest wurde der Wald geschützt.



    3. zu sehen wie die Polizei sich daran beteiligt unsere Zukunft zu zerstören ist nicht kontraproduktiv, sondern notwenig eine Gegenmacht aufzubauen.

  • Sinnhaftigkeit des Protestes ist die eine Frage.



    Eine viel wichtigere (gerade in Hamburg) ist der Umgang der Polizei mit diesem - ohne jeden Zweifel absolut friedlichem- Protest.



    Die Polizei hat hier zum x-fach wiederholtem Male mit roher Gewalt in eine friedliche Meinungskundgebung von Bürgern sowie in der Folge in Dutzende! weiterere Menschen- und Grundrechte eingegriffen.

  • Saublöde Aktion. Erst gentrifiziert man große Teiler der ursprünglich mal stark migrantisch geprägte Bevölkerung des Stadtteils an die Peripherie und übernimmt die schicken aber energetisch katastrophalen Gründerzeitbauten und dann übt man zivilen Ungehorsam gegen sozialen Wohnungsbau um ein Stückchen "Natur" zu erhalten, dass durch die vormals dort ansässige Hafenindustrie ohnehin total verseucht ist.



    Und wer sich den hamburger Wohnungsmarkt nicht mehr leisten kann, soll halt einfach in eine der so zahlreichen Zweitwohnungen anmieten. So eine Luxuswohnung im Marco-Polo-Tower die von ihrem Eigentümer eh nur jedes zweite Wochenende genutzt wird ist doch ohnehin viel schöner als eine Sozialwohnung in Wilhelmsburg. Sollen sie halt Kuchen essen.

    • @Ingo Bernable:

      Die Kritik an zugezogenem Gentriefizierungspersonal ist sicherlich so angebracht wie verkürzt. Auch heute noch ist der Stadtteil "stark migrantisch geprägt", und wird das nicht zuletzt auf Grund der inzwischen glücklicherweise gefestigten Besitzverhältnisse hoffentlich auf absehbare Zeit auch bleiben. Die geplante masive Neubebauung Wilhelmsburg von Nord-Süd-Achse auf der ehemaligen Reichsstraße einerseits, und von dem hier besagten Spreehafenviertel andererseits wird hingegen einen unglaublichen Strukturwandel vor allem für das damit auf zwei von drei Seiten eingeschlossene Reiherstiegviertel bedeuten. Bisher ist es dort auszuhalten, weil es u.a. eben diese kleinen grünen Oasen gibt, wenn es einem auf der Straße zu voll wird. Das betrifft übrigens - wie die im Artikel genannten 800 Menschen auf dem Fest beweisen - bei weitem nicht nur das zugezogene Gentrifizierungspersonal. Die zunächst ein Mal zu begrüßende Sozialbindung von (gerade Mal) einem Drittel der Neubauten entfällt hingegen in wenigen Jahren, dann bleiben die Studis die dort nach Fertigstellung einziehen können praktischer Weise gleich wohnen, wenn sie dann in Lohn und Brot sind. Davon hat der jetzige Stadtteil dann vermutlich eher wenig.



      Die 'Verseuchung' des Bodens spielt auf der ganzen Insel eine Rolle und ist nur ein Grund mehr (neben der erwähnten Naherholung und der positiven Effekte für Luft, Klima und Natur), solche Areale nicht einer kurzfristigen Politik der Stadtentwicklung zu opfern. Es gibt massenweise Leerstand, und wenn der nicht ausreichen sollte können wir ja mal überlegen, ob die ewige Hafenerweiterung nicht vielleicht mehr Probleme schafft als dass sie welche löst. Aber der Hafen ist ja sakrosankt.