piwik no script img

Brexit und das britische UnterhausJohnsons verrückte Demokratie

Der britische Premier schickt das Parlament in den Zwangsurlaub. Darf er das? Und hätte die Queen das verhindern können?

Spiel mit der Demokratie: Demonstrierende in London sind mit Johnsons Entscheidung nicht zufrieden Foto: ap

Was steckt hinter der „Prorogation“?

Das Wort bedeutet „Vertagung“ und bezeichnet die Beurlaubung des Parlaments außerhalb der üblichen Sommerferien.

Ist dieses Mittel schon einmal eingesetzt worden?

Normalerweise wird das Parlament vertagt, wenn die einjährige Sitzungsperiode zu Ende geht, also meistens im Frühjahr. Wegen des Brexit hat Boris Johnsons Vorgängerin Theresa May das Ende der Sitzungspe­riode immer wieder verschoben, sodass es jetzt bereits mehr als zwei Jahre tagt – so lange wie noch nie in den vergangenen 400 Jahren.

Die Beendigung der Sitzungsperiode wäre also überfällig, aber es wäre das erste Mal seit 1948, dass die Prorogation angewendet wird, um die Kontrollfunktion des Parlaments auszuhebeln. Damals griff die Labour-Regierung zu diesem Mittel, um die Lords im Oberhaus daran zu hindern, die geplante Verstaat­lichung der Stahlindustrie zu verzögern.

Kann die Prorogation noch verhindert werden?

Eine Gruppe von 70 Abgeordneten aller Parteien will gerichtlich dagegen vorgehen. Eine Anhörung ist für den 6. September vorgesehen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass das Gericht der Klage stattgibt, da Johnsons Vorgehen nicht illegal ist, wie ihm der Generalstaatsanwalt versichert hat. Mehr als 200 Abgeordnete haben erklärt, dass sie nach der Suspendierung des Parlaments weiterhin an einem anderen Ort tagen werden. Praktische Folgen hat das aber nicht.

Hätte die Queen Nein sagen können?

Theoretisch ja. Aber sie sieht ihre Rolle darin, die Entscheidungen der Regierung abzusegnen. Daran hat sie sich stets gehalten.

Was geschieht jetzt?

Das Parlament kehrt am 3. September aus den Sommerferien zurück. Einen Tag später will Schatzkanzler Sajid Javid den vorgezogenen Haushaltsplan verkünden, mit Milliarden Pfund für Bildung, ­Polizei und Gesundheitsdienst als Wahlkampfgeschenken, da nach dem Vollzug des Brexits mit Neuwahlen zu rechnen ist. Die Opposition kann nach Rückkehr des Parlaments einen Misstrauensantrag stellen oder versuchen, ein Gesetz einzubringen, um einen harten Brexit zu ­verhindern.

Aber für eine Debatte und eine Abstimmung bleibt nicht genügend Zeit, denn am 12. September wird das Parlament suspendiert. Nach den Parteitagen wird die neue Legislaturpe­riode am 14. Oktober mit der Verlesung der Regierungserklärung durch die Königin eröffnet. Eine Woche später wird darüber abgestimmt. Alles, was in der vorigen Legislaturperiode nicht erledigt wurde, verfällt.

Kann es noch zu einem Deal mit der EU kommen?

Kaum. Denn Johnson besteht auf Streichung des Backstop, der eine Grenze zu Irland verhin­dern soll. Die EU lehnt aber genau das ab. Die Sitzung des Europarats am 17. Oktober wäre die letzte Chance für einen Deal, über den das britische Parlament in der letzten Oktoberwoche debattieren und abstimmen könnte. Am 31. Oktober verlässt das Vereinigte Königreich dann die Europäische Union.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen