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Konzerneigene Versuchsstadt

Mit der Fujisawa Sustainable Smart Town baut Panasonic sich ein eigenes Ökodorf. Tatsächlich testet der Konzern dort vor allem neue Technologien – und kontrolliert, wie nachhaltig der Lebensstil ist

Unternehmen. Macht. Stadt

VW in Wolfsburg, Amazon in Seattle, Gaesa in Havanna – Unternehmen können nicht nur markt-, sondern auch stadtbeherrschend sein. Sie zahlen Gewerbesteuer, bieten Beschäftigung, sorgen sich ums Image des Standorts. Das ist ambivalent: Was ist, wenn hausgemachte Krisen, politische Entscheidungen wie Energie- und Mobilitätswende, Megatrends wie Digitalisierung die Interessen der Firmen verändern? In unserer Serie „Unternehmen. Macht. Stadt“ untersuchen wir Beispiele für diese schwierige Beziehung.

Aus Tokio Martin Fritz

Zwischen Kleinkindern im Sand­kasten und Babys im Kinderwagen tauschen die Mütter auf dem Spielplatz der Fujisawa Sustainable Smart Town (FSST) Tratsch, Rezepte und Umwelttipps aus. „Wir alle sind hierhergezogen, um bewusst nachhaltig zu leben“, erzählt Ami Nakatani mit ihrem dreijährigen Sohn auf dem Schoß. Sie zeigt auf die Einfamilienhäuser mit Solardächern. „Beim Energiesparen wurden meine Erwartungen sogar übertroffen.“ Die junge Mutter erhitzt ihr Brauchwasser mit einer Brennstoffzelle und speichert ihren Solarstrom in einer Batterie. Alle Haushaltsgeräte verbrauchen besonders wenig Strom. Klimaanlagen und LED-Lampen schalten sich automatisch ab, wenn niemand im Zimmer ist.

Die ökologische Retortensiedlung 50 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tokio war bei ihrer Eröffnung vor fünf Jahren die weltweit erste kommerzielle Smart City. Ohne staatliche Subventionen wurde sie von einem prominent besetzten privaten Firmenkonsortium unter Führung des Elektronikriesen Panasonic auf einem ehemaligen Fabrikareal verwirklicht. Das Ergebnis ist ein Ökodorf mit viel japanischem Zusammengehörigkeitsgefühl. Dafür sorgen eine eigene Verwaltung mit Datenzentrum, ein schickes Einkaufszentrum, ein Kindergarten, ein Altenheim und eine Ambulanz. Bewegungsmelder und Kameras geben das Gefühl von Sicherheit.

Die Bauherren legten Straßen und Gebäude auf 19 Hektar so an, dass der Wind vom drei Kilometer entfernten Pazifik maximal kühlt, und setzten so viel energiesparende Technik wie möglich ein. Natürlich von Panasonic, schließlich soll sich Ökologie auch rechnen. Eine stadteigene Solaranlage und die privaten Solardächer der 500 Einfamilienhäuser stellen 30 Prozent des benötigten Stroms her. Die Bewohner sollen 70 Prozent weniger Kohlendioxid (im Vergleich zu 1990) erzeugen und 30 Prozent weniger Wasser verbrauchen. „Diese Ziele haben wir ganz klar erreicht“, ist die Zwischenbilanz von FSST-Ge-schäftsführer Takashi Kameda. Gerade erweitert Panasonic die Stadt um 100 energiesparende Apartmentwohnungen, danach werden es 3.000 Bewohner sein.

Doch der Konsortiumführer, der eine halbe Milliarde Euro investierte, strebt Verbesserungen an. Die Smart City leidet unter einem grundsätzlichen Manko: „Die technische Entwicklung verläuft so rasant, dass alles schnell veraltet“, sagt Panasonic-Manager Hideki Takemura. Neue Geräte und Solarzellen arbeiten jedes Jahr effizienter. Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge eröffnen neue Möglichkeiten.

Daher will Panasonic in der Smart City künftig neue Technologien testen. Angefangen wurde mit Paketboxen für Lieferdienste vor jeder Haustür. Die Bewohner öffnen sie über eine eigene Smartphone-App, wegen extrem sparsamer Elektronik benötigen die Boxen keine teuren Außenstromkabel mehr. Bald experimentiert der Betreiber mit Diensten rund um den 5G-Mobilfunk.

Auf den Siegeszug der elektrischen Mobilität ist die japanische Smart-Stadt erstaunlich gut vorbereitet. Alle Häuser mit einem Parkplatz haben außen eine eigene Ladevorrichtung.Nur: Niemand benutzt sie. Alle Bewohner fahren Autos mit Verbrennungsmotor. Zwei stadt­eigene Elektrofahrzeuge und ein Hybridauto, die billig zu mieten sind, stehen meist herum. Beliebter sind die kostenlosen elektrischen Fahrräder mit Kindersitzen. Die Mütter machen damit gerne Ausflüge zu einem nahegelegenen Aquarium.

Auf E-Mobilität ist die Smart-Stadt gut vorbereitet. Doch noch wird sie kaum genutzt

Das FSST-Konsortium setzt auf Zeit und sinkende Preise. Die Leasinggesellschaft Orix schaffte gerade drei weitere elektrische Mietautos an. „Der ‚Sharing‘-Gedanke breitet sich immer mehr aus“, hofft Manager Takemura.

Eine andere Herausforderung kam weniger überraschend: Die meisten Bewohner hatten sich mit dem Hauskauf zwar bewusst für einen nachhaltigen Lebensstil entschieden. Aber im Alltag ließ ihre Öko-Achtsamkeit bald nach. „Dagegen arbeiten wir bewusst an“, sagt Verwaltungschef Kameda. „Jeder Haushalt erhält monatlich einen zweiseitigen „Energiereport“. Darin bereitet die Verwaltung die Verbrauchsdaten aus dem Energiemanagementsystem jedes Haushalts grafisch auf und zeigt die Menge des eingesparten Kohlendioxids an – „mit garantiertem Datenschutz“.

Zugleich schüren Wettbewerbe die Öko-Motivation der Stadtbewohner. Wer innerhalb einer Nachbarngruppe am wenigstens verbraucht, erhält Gutscheine für die Geschäfte in der Einkaufsstraße. Vier von fünf Bewohnern machen mit.

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