piwik no script img

Kolumne „Durch die Nacht“Sommer ohne Sommerhit?

Kolumne
von Andreas Hartmann

Unser Autor findet diesen Sommer fast perfekt. Fast. Denn ihm fehlt noch der passende Sommerhit. Zum Glück gibt es da noch den Berliner Rapper Sido.

Früher Gangsta-Rap mit eiserner Maske, heute Sommerhit oben ohne: Rapper Sido Foto: dpa

S ehr viel heißer wird es dieses Jahr wahrscheinlich nicht werden, mehr Sommer kann kaum noch kommen. Was jetzt noch neben einem freien Tag am Badesee und einem Ventilator im Büro zum perfekten Glück fehlt, ist ein Sommerhit. Beziehungsweise: DER Sommerhit.

Ein Song halt, der ständig und überall im Biergarten, auf jeder Radiofrequenz und auf dem Balkon des Nachbarn immer dann zu hören ist, wenn das Thermometer die 30-Grad-Marke reißt. So etwas wie „Macarena“, „Mambo No 5“ oder „The Ketchup Song“, Sommerhit-Klassiker, zu denen man sich ganz automatisch einen Bacardi-Rum einschenken möchte und das Gefühl unheimlich dringlich wird, dass man endlich mal wieder in den All-inclusive-Urlaub fahren müsste.

Aber vielleicht stimmt die Behauptung auch gar nicht, dass der Sommerhit 2019 aktuell noch ganz dringend ausstehen würde, weil sonst einfach etwas fehlen würde. Vielleicht ist das zwanghafte Fahnden nach und Ausrufen von Sommerhits am Ende nur noch etwas für hoffnungslose Nostalgiker und das Genre eher tot.

Gut gebaute Männerkörper in Shorts und Ausreiten beim Sonnenuntergang auf frisch gemähten Wiesen

„Bella Ciao“ von El Profesor, im Remix des DJs Hugel zum Beispiel, galt als offizieller Sommerhit im letzten Jahres, aber die Nummer ist inzwischen dermaßen vergessen, als hätte es sie nie gegeben. Und wenn ich mir das nichtssagende Stück Plastik-House noch einmal anhöre, kann ich dazu nur sagen: Glücklicherweise ist das so. Die Strandbar, die ich mir dazu vorstelle, möchte ich eigentlich lieber nicht von innen sehen.

Wo man auch hinhört: Gangsta-Rap

Guckt man sich so um in den Charts, drängt sich aktuell nicht einmal solch eine schale Nummer wirklich als Sommerhit auf. Geschweige denn irgendein Song, der wenigstens Wörter wie „Jamaica“ oder „Summer“ im Titel hätte. Eine Hürde für die Etablierung eines echten Sommerhits 2019 scheint mir auch zu sein, dass dieser natürlich genau in den heißen Monaten des Jahres ganz weit oben gelistet sein müsste, denn nur dann ist er schließlich auch ein echter Hit für den Sommer.

Doch wie will man seinen Gute-Laune-Song, der naturgemäß möglichst so klingen sollte, wie sich ein frisches Lüftchen abends an der italienischen Adriaküste anfühlt, nach ganz weit vorne in den deutschen Hitparaden bringen, wenn dort alles vollgestopft ist mit Berliner Gangsta-und Battle-Rap? Capital Bra und Co dominieren alles. Deren wenig entspannende Songs über Koks, Nutten, Geld und noch mehr Drogen haben vielleicht das Potenzial, zu Sommerhits von in Berlin lebenden libanesischen Clan-Mitgliedern zu werden, aber es fehlt ihnen doch ganz eindeutig dieser bereits angesprochene relaxte Vibe, um auch von der Allgemeinheit als solche anerkannt zu werden.

Eine löbliche Ausnahme ist da vielleicht „Energie“, der neue Top-Ten-Hit vom ehemaligen Rapper mit der Maske, dem Berliner Sido, zusammen mit Luciano. Ganz heimlich – eine allzu offensichtliche Bewerbung gälte innerhalb des Genres wahrscheinlich als eher uncool –, so habe ich den Eindruck, bewirbt sich dieser für den Titel „Sommerhit 2019“.

Sicherlich nicht aufgrund des Gebelles Lucianos und auch nicht wegen Sidos eher unmotivierten Rap-Einlagen, aber doch wegen dem formschönen sommerlichen Video-Clip zum Song. Gut gebaute Männerkörper in Shorts und sonst nichts, Ausreiten beim Sonnenuntergang auf frisch gemähten Wiesen, Strand­impressionen, Palmen, all das, was zu einem echt guten Sommer mit dazugehört, ist hier zu sehen. „Energie“ klingt nicht unbedingt wie DER Sommerhit für Berlin 2019, sieht aber wenigstens so aus. Mehr kann man vielleicht in dieser Song-Disziplin gerade einfach nicht erwarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!